Was wäre, wenn? Diese Frage beschäftigt Entscheider in Wirtschaft und Politik in Bezug auf die Energiewende immer wieder. Und sie ist meist nicht so einfach zu beantworten. Denn das Thema ist nicht nur hochkomplex, es betrifft auch unterschiedlichste Sektoren. Jede Handlung kann Auswirkungen bis weit in die Zukunft haben. Wie wäre es also, wenn man alle Variablen vorher gegeneinander abwägen könnte?
Genau das versucht eine Computer-Simulation, die Forscher des Schweizer Forschungszentrums Paul-Scherrer-Institut (PSI) und der Columbia University (Link in Englisch) in den USA gemeinsam entwickelt haben. Mit ihr können verschiedene wirtschaftliche, technologische, gesellschaftliche, geophysikalische und politische Variablen miteinander kombiniert werden. Insgesamt ergeben sich daraus 4.000 mögliche Szenarien für den Verlauf der Energiewende bis zum Jahr 2100.
Insgesamt 72.000 wirtschaftliche, technologische, gesellschaftliche, geophysikalische und politische Variablen kombinierten die Wissenschaftler in einer riesigen Datei. Sie enthält 4.000 Szenarien für den Verlauf der Energiewende bis zum Jahr 2100 in unterschiedlichen Regionen. Die Ergebnisse erschienen kürzlich in einem Artikel im Fachmedium Energy Policy.
Wir haben 18 Unsicherheitsfaktoren berücksichtigt, darunter das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum, die Klimasensitivität, das Ressourcenpotenzial, die Auswirkungen von Veränderungen in der Land- und Forstwirtschaft, die Kosten für Energietechnologien und die Entkopplung von Energiebedarf und wirtschaftlicher Entwicklung. James Glynn, Leiter der Analyseplattform für die Modellierung von Energiesystemen an der Columbia University
Die Simulation basiert auf der sogenannten Monte-Carlo-Methode, einem Verfahren aus der Wahrscheinlichkeitstheorie. Konkret haben die Forscher einen Algorithmus entwickelt, der ermitteln kann, zu welchem Ergebnis eine Kombination einzelner Variablen am wahrscheinlichsten führen wird. Dazu haben sie zunächst vier Szenario-Gruppen entwickelt.
Für jede dieser vier Szenario-Gruppen haben die Wissenschaftler dann unterschiedliche Variablen-Kombinationen errechnet, wie die Energiewende am wahrscheinlichsten verlaufen wird.
2C_SSP2 geht davon aus, dass eine globale Erwärmung bis zum Jahr 2100 um maximal zwei Grad Celsius angestrebt wird.
2DS_SSP2_DA30 entspricht 2C_SSP2, allerdings werden hier erst ab dem Jahr 2030 weitere Klimaschutzmaßnahmen ergriffen.
1p5c_OS_SSP2 simuliert die Entwicklungen, wenn weiter das 1,5-Grad-Ziel verfolgt wird.
BASE_SSP2 dient als Referenzszenario und beschreibt, was passieren würde, wenn die aktuellen Maßnahmen fortgesetzt würden.
Das Ergebnis: Um das Pariser 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, sollten rasch „beispiellose und weitreichende klimapolitische Maßnahmen zusammen mit Investitionen in klimafreundliche Technologien“ erfolgen.
Die Kosten für das Energiesystem würden dadurch bis 2050 um bis zu 85 Prozent steigen. Ein Großteil davon müsste in Entwicklungs- und Schwellenländer investiert werden. Ein Argument für diese enormen Ausgaben: Die Folgen einer Erderwärmung um zwei Grad werden den Forschern zufolge voraussichtlich genauso teuer oder sogar noch teurer.
Auf die Frage, wie die Energiewende ausreichend Fahrt aufnehmen kann, gibt die Simulation eine klare Antwort: Energieeffizienz und Elektrifizierung – und zwar in allen Sektoren. Während der Primärenergieverbrauch je nach Szenario bis 2050 um zehn bis 80 Prozent zurückgehen wird, könnte sich der Strombedarf verdoppeln. Um diesen Mehrbedarf decken zu können, müssen die Erneuerbaren Energien stark ausgebaut werden. Aus dem Bereich der Erzeugungstechnologien wird die Solarenergie laut dem Modell für Investitionen die attraktivste sein, weil sie auch ohne Förderung am wettbewerbsfähigsten ist.
In Bereichen, die sich nur schwer elektrifizieren lassen, wie die energieintensive Industrie oder der Schwerlastverkehr, wird darüber hinaus Wasserstoff unverzichtbar: 99 Prozent aller Szenarien deuten darauf hin, dass der Bedarf steigen wird. Am stärksten dann, wenn erst ab 2030 weitere Maßnahmen für die Energiewende ergriffen werden (2DS_SSP2_DA30-Szenarien). Grüner Wasserstoff, der mit Strom aus Erneuerbaren Energien erzeugt wurde, ist demnach die beste Option.
Ein Energiesystem, das den Übergang zu einer kohlenstofffreien Wirtschaft ermöglicht, ist kapitalintensiv und erfordert die Mobilisierung von Ressourcen aller Akteure. […] Unsere Studie liefert hierfür eine fundierte Basis. Evangelos Panos, Labor für Energiesystemanalysen des PSI
Das Modell verdeutlicht, dass es in der Energiewende nicht eine universelle Lösung geben wird, sondern vielmehr Kombinationsmöglichkeiten von Maßnahmen und Technologien. Diese unterscheiden sich vor allem durch die Höhe der Investitionskosten und die damit verbundenen Risiken.
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