Bis 2030 will Deutschland 65 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien gewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen neue leistungsstarke Freiflächen-Solaranlangen gebaut werden – auch gerade, weil der Ausbau der Windenergie auf dem Land eingebrochen ist. Doch der Platz in Mitteleuropa ist begrenzt. Wie kann also verhindert werden, dass die Solarenergie in Konkurrenz zu anderen Nutzungsformen wie der Landwirtschaft gerät? Ein Ansatz, der weltweit erforscht wird, ist die sogenannte Agrophotovoltaik: In der Höhe erzeugen Photovoltaikmodule Strom, und darunter wächst Gemüse.
Das größte Solarforschungsinstitut Europas ist das Fraunhofer Institute for Solar Energy Systems (ISE) in Freiburg. Seit dem Jahr 1981 wird hier an Zukunftslösungen für die Energiewende gearbeitet und das nicht nur im Labor, sondern auch unter Realbedingungen.
Eines ihrer Projekte ist eine Agrophotovoltaikanlage in Herdwangen-Schönach, etwa 30 Kilometer nördlich des Bodensees. Auf dem Demeterhof der Hofgemeinschaft Heggelbach steht seit drei Jahren eine 2.500 Quadratmeter große Pilotanlage.
Auf fünf Meter hohen Stahlkonstruktionen erzeugen die Solarmodule eine Leistung von 195 Kilowatt Strom. Darunter kann ein Trecker oder Mähdrescher problemlos durchfahren. Angebaut haben die Landwirte in den letzten drei Jahren unter der Stahlkonstruktion Winterweizen, Kartoffeln, Sellerie und Kleegras. Mit der Ernte der ersten zwei Jahre waren die Beteiligten laut ISE insgesamt zufrieden – obwohl es weniger Erträge gab, da die Module weniger Sonnenlicht durchlassen. Trotz geringerer Erträge wird die Landnutzungseffizienz um 60 Prozent gesteigert, wie das Fraunhofer ISE gemeinsam mit der Innovationsgruppe APV-RESOLA errechnet hat.
„Agrophotovoltaik macht überall dort auf der Welt Sinn, wo es einen Flächenkonflikt gibt“, sagt Tabea Obergfell, Geoökologin vom Fraunhofer ISE. Und diesen Flächenkonflikt gibt es in vielen eng besiedelten Ländern wie Deutschland. „Wenn wir 1-2 Prozent der Ackerflächen in Deutschland durch Agrophotovoltaik doppelt nutzen würden, wäre das großartig. Es würde uns dem Ziel, bis 2030 mehr als die Hälfte unseres benötigten Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen, deutlich näherbringen.“
Mit den „Stromgestehungskosten“, die Investitionen, Betrieb und Instandhaltung beinhalten, sind die Forscher des ISE in Heggelbach zufrieden. Sie liegen bei neun Cent je Kilowattstunde. Damit ist Agrophotovoltaik günstiger als private Dachanlagen, aber teurer als Freiflächenphotovoltaik.
In Deutschland wird bislang entweder die Landwirtschaft gefördert oder die Photovoltaik. Doch die Agrophotovoltaik wird weder über die PV-Freiflächenausschreibungsverordnung noch über die EEG-Einspeisevergütung gefördert. Bislang sind solche Anlagen also nicht wirtschaftlich zu betreiben.
„Viele kleine Höfe müssen aufgeben, während sich große, energieintensive Betriebe durchsetzen. Diese müssen ökonomisch hochleistungsfähig sein, um konkurrenzfähig zu bleiben. Um zu überleben, bauen viele Landwirte lieber Energie als Nutzpflanzen an. Bislang war dies hinsichtlich der Flächennutzung eine Entweder-Oder-Entscheidung“, erklärt Tabea Obergfell.
Das Forschungsprojekt in Heggelbach ist mittlerweile abgeschlossen, die Anlage bleibt. Die Hofgemeinschaft kann sich komplett mit dem selbst erzeugten Strom versorgen und sogar noch Strom ins örtliche Netz einspeisen. Jedes Jahr wird etwa so viel Strom erzeugt, wie 62 Vier-Personen-Haushalte verbrauchen.
Gerade in sehr heißen Regionen mit hoher Sonneneinstrahlung zahlt sich Agrophotovoltaik aus, denn hier können Pflanzen, die beschattet werden müssen, besser wachsen. Auch windschwache und trockene Regionen können davon profitieren. Das Projekt AgroPV-Chile, das vom deutschen Fraunhofer ISE zusammen mit dem chilenischen Fraunhofer Centro de Tecnologías para Energía Solar (CSET) durchgeführt wird, läuft seit drei Jahren. Die Ergebnisse der landwirtschaftlichen Produktion und der Solarstromerzeugung sind laut Fraunhofer ISE sehr positiv, sodass der Forschungsschwerpunkt dort weiter ausgebaut werden soll.
Das Potenzial der Agrophotovoltaik für die trockenen und halbtrockenen Regionen von Nord- und Zentralchile wird laut ISE als groß eingeschätzt, da große Teile der Bevölkerung von der Landwirtschaft leben und von Trockenheit, Wüstenbildung und Wassermangel betroffen sind. Dadurch, dass die Solarpanele Schatten werfen, senken Agrophotovoltaik-Anlagen nachweislich den Bedarf an Wasser und bieten Nutztieren Schatten. Auch Pflanzen, die bei starker Sonneneinstrahlung eigentlich nicht wachsen würden, können in einem APV-System angebaut werden. Und der erzeugte Strom kann landwirtschaftliche Betriebe und Dörfer versorgen.
Weltweit ist die Agrophotovoltaiktechnik bislang überwiegend zu Forschungszwecken im Einsatz. Staatlich gefördert wird sie aber schon in Frankreich, Japan und China.
Die weltweit größte Solaranlage mit einer Leistung von rund 700 Megawatt ist tatsächlich eine Agrophotovoltaik-Anlage, sie steht in China am Rande der Wüste Gobi. Die Fläche darunter war landwirtschaftlich nicht nutzbar. Heute wachsen unter den schattenspendenden Solarpanelen Beerensträucher. Das Grundwasser wird mithilfe des gewonnenen Solarstroms hochgepumpt, die Pflanzen werden tröpfchenbewässert.
In Japan sind seit der Fukushima-Katastrophe zahlreiche landwirtschaftliche Flächen radioaktiv belastet. Zwar wurden die obersten kontaminierten Bodenschichten abgetragen, damit ging aber auch der fruchtbare Humus verloren. Durch die Errichtung von Agrophotovoltaik-Anlagen auf Reisfeldern kommen die Bauern heute mit den Erlösen aus dem Solarstrom finanziell besser über die Runden als nur mit Reisanbau.
Die Form der Doppelnutzung durch Agrophotovoltaikanlagen bietet sich in sehr sonnenreichen Ländern und dort an, wo es ein Flächenproblem gibt. Wenn sie an die Anlagen denkt, die weltweit schon stehen, hat Tabea Obergfell auch für Deutschland Hoffnung. „Die Politik hat noch nicht begriffen, dass wir hier eine neue Technologie an den Start gebracht haben“, sagt sie. Es müssten politisch einige Weichen gestellt werden, damit Agrophotovoltaik ein Baustein der Energiewende werden kann.