Im ersten Teil der Serie hat der en:former gezeigt, wie große Digitalkonzerne ihre Emissionen senken und verstärkt auf Erneuerbare setzen. Im zweiten Teil geht es um eine Branche, die in der Diskussion eher übersehen wird: der Lebensmitteleinzelhandel. Dabei brauchen die Supermarkt- und Discounter-Filialen viel Energie, vor allem Strom zur Kühlung der Lebensmittel. Die Unternehmen sind daher bestrebt, ihren Energieverbrauch und damit verbundene Emissionen zu senken.
46 Terawattstunden oder rund 165 Terajoule – so viel Strom und Wärme benötigen die knapp 55.000 Supermärkte und Discounter in Deutschland pro Jahr. Damit verbraucht der Lebensmitteleinzelhandel annähernd so viel Energie wie die deutsche Stahlindustrie mit ihren riesigen Hochöfen. Vor allem die Kühlung der Lebensmittel braucht Unmengen von Strom.
Angesichts dieses hohen Bedarfs arbeiten Deutschlands große Lebensmittelketten daran, ihren Energieverbrauch zu senken und verstärkt auf Erneuerbare Energie zu setzen. Zum einen wollen sie so Kosten sparen, zum anderem wollen sie die mit dem Energieverbrauch verbundenen Emissionen reduzieren. Und auch viele Händler in anderen europäischen Staaten versuchen auf diesem Weg, ihre Klimabilanz zu verbessern.
Und erste Erfolge können sie verbuchen: Der Stromverbrauch pro Quadratmeter Verkaufsfläche pro Jahr sinkt bei allen Lebensmittel-Handelsketten in Deutschland, Österreich und der Schweiz kontinuierlich. Das zeigen neuste Zahlen der Studie „Energiemanagement im Einzelhandel 2019“ vom EHI Retail Institute, einem Forschungs- und Beratungsinstitut für den Handel.
„Es passiert viel in der Branche, die Professionalität ist in den vergangenen zehn Jahren enorm gewachsen“, sagt Benjamin Chini, Projektleiter Energiemanagement vom EHI. Das Institut begleitet den Handel im deutschsprachigen Raum seit dem Jahr 2008 bei Fragen rund um Energie. Während die Umstellung auf LED-Beleuchtung in den vergangenen Jahren großes Thema war, steht nun ein möglichst genaues Energiemonitoring im Fokus. Dabei wird mithilfe von intelligenten Stromzählern (Smart Meter) aufgezeichnet, an welcher Stelle wie viel Strom verbraucht wird. „Diese Transparenz birgt große Potentiale, die wirklich alle Lebensmittelhandelsketten Deutschlands sehr gut genutzt haben“, erklärt Chini.
Die Analyse des EHI zeigt: Im sogenannten Food-Bereich entfallen 79 Prozent der gesamten Energiekosten auf elektrischen Strom und 21 Prozent auf Wärmeenergie. Die Kosten lagen laut EHI-Studie im Jahr 2018 bei 51,18 Euro pro Quadratmeter Verkaufsfläche und damit 2,21 Euro niedriger als 2017. Auch insgesamt verbrauchten die Handelsketten 1,2 Prozent weniger Strom als im Vorjahr, der Verbrauch sank leicht von 321 auf 317 kWh je Quadratmeter Verkaufsfläche. Grund für die Ersparnis sind die mittlerweile zu fast 100 Prozent abgedeckten Tiefkühlanlagen, der Einbau von Türen an Kühlanlagen sowie die Änderung der Beleuchtung. Bereits 40 Prozent der in der Studie berücksichtigten Supermärkte sind auf LED-Technologie umgestellt.
Vorreiter in Deutschland ist die REWE Group, die als erster Lebensmitteleinzelhändler seine Filialen flächendeckend auf zertifizierten Strom aus Wasser, Wind oder Solar umstellte. REWE hat sich das Ziel gesetzt, seine Treibhausgasemissionen pro Quadratmeter Verkaufsfläche bis 2022 gegenüber 2006 zu halbieren – bis Ende 2018 hat der Konzern immerhin schon 43 Prozent Minderung erreicht. Gelungen ist diese Ersparnis durch weniger Stromverbrauch bei der Beleuchtung, der Optimierung der Kälte-, Heizungs- und Lüftungsanlagen und durch den Einsatz von klimafreundlichen Kältemitteln.
Selbst erzeugter Strom aus Photovoltaik rückt immer mehr in den Fokus der Lebensmittelketten. Waren es bis Ende 2017 bei der REWE Group 46 Photovoltaikanlagen auf Filialdächern, sind es bei Aldi-Süd bereits über 1300 Filialen mit PV-Anlagen auf dem Dach. Sie produzieren pro Jahr knapp 130 Millionen Kilowattstunden Strom und damit so viel, wie 36.000 Drei-Personen-Haushalte verbrauchen. Weitere Technologien wie ein System zur Wärmerückgewinnung aus Kälteanlagen oder Geothermie zum Beheizen oder Kühlen von Gebäuden werden ebenfalls von Aldi Süd getestet.
Aldi-Süd hat 1300 PV-Anlagen auf dem Dach, so werden jährlich knapp 130 Millionen Kilowattstunden Strom produziert, so viel wie 36.000 Drei-Personen-Haushalte verbrauchen.
Auch in anderen europäischen Ländern tut sich was: In Frankreich planen große Einzelhandelsgruppen wie Carrefour, E. Leclerc und Auchan Flächen mit Solaranlagen zu versehen. Carrefour ist im Frühjahr 2019 eine Partnerschaft mit dem Photovoltaikunternehmen Urbarsolar eingegangen, dieses überbaut nun nach und nach Parkplätze der Carrefour-Filialen mit Photovoltaikanlagen, die die Supermärkte mit Strom versorgen. Bis heute sind es aber erst knapp 50 Märkte.
Der britische Konzern Tesco setzt dagegen auf Wind: Der größte Lebensmittelhändler im Vereinigten Königreich hat mit dem Energieversorger EDF renewables eine sogenannte Stromkaufvereinbarung (PPA = Power Purchase Agreement) getroffen. Tesco erhält den Strom aus zwei schottischen Onshore-Windparks mit einer Leistung von insgesamt 96 Megawatt. Zudem sollen sukzessiv die Dächer der Supermärkte mit Solaranlagen ausgerüstet werden.
Tesco hofft, so 90.000 Tonnen CO2 jährlich einzusparen, das entspräche den Emissionen von 15.000 Autos im Jahr. Bis zum Jahr 2030 will Tesco seine Märkte zu 100 Prozent mit Strom aus Erneuerbaren versorgen. Laut Benjamin Chini gibt es auch in Deutschland schon Überlegungen in Richtung Stromkaufvereinbarung für Windräder: „Spruchreif ist hier aber noch nichts.“
Insgesamt lobt Benjamin Chini die Bemühungen des Handels. Besonders beim Bau neuer Supermärkte können die Lebensmittelhändler ressourceneffizient planen. „Die Herausforderung ist der Altbestand“, so Chini weiter. Denn bei einem alteingesessenen Innenstadt-Supermarkt lässt sich eine Photovoltaikanlage nicht so einfach aufs Dach bauen, weil er beispielsweise im Erdgeschoss eines Wohnhauses mit mehreren Eigentümern liegt. Hier müsse das Einsparen von Energie anders erreicht werden.
Nachhaltiges Energie- und Ressourcenmanagement ist ein wichtiges Thema in der Investitionsplanung der Ketten: Allein 53 Prozent der Lebensmittel-Handelsketten im deutschsprachigen Raum haben in den vergangenen fünf Jahren jeweils mehr als 25 Millionen Euro in Energieeffizienzmaßnahmen investiert. Bei 24 Prozent der Konzerne liegen die Investitionen teilweise sogar weit über 50 Millionen Euro.
„Es ist noch viel Luft nach oben, niemand darf sich jetzt auf den positiven Zahlen ausruhen“, sagt Benjamin Chini. Für die nächste Energiemanagement-Studie im Einzelhandel wolle das EHI gucken, wo es noch Einsparungspotentiale gibt und was in der Kältetechnik möglich ist.