In dem Container befindet sich die Power-to-Gas-Anlage. Ein 1-MW-Elektrolyseur nutzt den Strom aus dem Wasserkraftwerk Wyhlen am Hochrhein zur Produktion von grünem Wasserstoff. In Zukunft könnten solche Anlagen deutlich größer werden, Elektrolyseure mit einer Leistung von bis zu 100 MW sind in Planung. © Energiedienst AG
Ausführlich hat der en:former in einer mehrteiligen Serie Power-to-X-Technologien vorgestellt: Potenziale und Wirkungsweise von Power-to-Gas, Power-to-Liquid und Power-to-Heat sowie wichtige Pilotprojekte. Im letzten Teil geht es um die Frage, wie es in Zukunft mit der Technik weitergeht. Im Fokus des Interesses ist grüner Wasserstoff, der mithilfe von Strom aus Erneuerbaren Energien gewonnen wird.
Mitte März hat die EU-Kommission ihre neue Industriestrategie präsentiert und Maßnahmen genannt, wie sie die europäische Industrie beim Übergang zu Klimaneutralität und Digitalisierung umfassend unterstützen will. Als eine der wichtigsten Elemente nennt die Kommission eine Allianz für sauberen, „grünen“ Wasserstoff. Die Idee dahinter: Anstatt Kohle, Erdgas oder Öl soll Wasserstoff in der Produktion eingesetzt werden. So könnte Wasserstoff helfen, die Industrie zu dekarbonisieren. Aber auch im Schwerlast-, Schiffs- oder Flugverkehr bieten grüner Wasserstoff oder daraus erzeugte CO2-freie synthetische Kraftstoffe die Möglichkeit, CO2-Emissionen zu mindern.
Die Hoffnungen und Erwartungen, die die Politik mit dem flüchtigen Element verbindet, sind groß. So nennt Bundesforschungsministerin Anja Karliczek Wasserstoff „das Erdöl von morgen“. Und Wirtschaftsminister Peter Altmaier erklärt in Bezug auf Wasserstoff-Technologien: „Wir starten jetzt die nächste Stufe der Energiewende.“ Noch im April will die Bundesregierung die Nationale Wasserstoffstrategie vorlegen.
Entscheidend dabei ist der Zusatz „sauberer“ Wasserstoff. Denn Wasserstoff wird bislang überwiegend aus Erdgas gewonnen, wobei viel CO2 freigesetzt wird. Damit rücken Verfahren in den Mittelpunkt, mit denen Wasserstoff klimaneutral erzeugt werden kann: Die Power-to-Gas(PtG)-Technologie. Die grundlegenden Verfahrensschritte sind zwar gut erforscht, allerdings wird die Technik bislang nur in kleinen Demonstrationsanlagen erprobt. Das Problem: Der so erzeugte Wasserstoff ist um ein Vielfaches teurer als der aus Erdgas. Unternehmen, Verbände, Forschungseinrichtungen und die Politik diskutieren daher Maßnahmen, wie die Technologie marktfähig gemacht werden kann.
Immerhin erfahren PtG-Anlagen unter allen Power-to-X-Anwendungen (Erläuterung weiter unten) die größte Aufmerksamkeit. Zum einen dient strombasierter Wasserstoff als sauberer Energieträger, zum anderen kann er als Rohstoff gerade in vielen Industrieprozessen rasch zu erheblichen Reduzierungen von Treibhausgasemissionen führen. Laut einer Untersuchung der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH, einem Beratungsunternehmen für nachhaltige Energieversorgung, werden durch den in der deutschen Industrie genutzten Wasserstoff jährlich über 20 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt – erhebliche Mengen an Treibhausgasen könnten also durch PtG-Verfahren eingespart werden
So zeigt die Untersuchung, dass das Interesse an der Technologie stark zunimmt. Anfang 2019 waren 50 Power-to-Gas-Anlagen mit einer elektrischen Gesamtleistung von circa 50 Megawatt (MW) in Betrieb oder in Planung. Innerhalb eines Jahres wurden weitere PtG-Projekte mit einer Elektrolyseleistung von insgesamt fast 600 MW angekündigt. Mehr als 300 PtG-Anlagen sind weltweit in Planung oder zumindest im Gespräch.
Der Studie der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik zufolge nimmt mit der wachsenden Anzahl auch die Anlagengröße zu. Mehrere Elektrolyseure mit einer elektrischen Nennleistung größer als 30 MW sollen in den nächsten Jahren in Deutschland errichtet werden. Und in Deutschland, Großbritannien oder den Niederlanden sind industrielle Elektrolyseure mit 100 MW-Leistung und mehr angekündigt. In Dänemark und in den Niederlanden gibt es Projekte, so genannte Power-to-X-Inseln zu errichten. Auf diesen künstlichen Eilanden in der Nordsee sollen Elektrolyseure den Strom aus riesigen Offshore-Windparks im industriellen Maßstab in Wasserstoff und synthetischen Treibstoffe umwandeln.
Unter den Staaten, die auf Power-to-X-Technologie setzen, gilt Deutschland als Vorreiter der Technologie. Beispielsweise will die Bundesrepublik mit ihrem Ideenwettbewerb „Reallabore der Energiewende“ zukunftsfähige Energietechnologien unter realen Bedingungen im industriellen Maßstab erproben. Unter den Projekten befinden sich auch mehrere Wasserstoffvorhaben. Zudem unterstützt der Bund sogenannte H2-Regionen, in denen auf lokaler bzw. regionaler Ebene erforscht wird, wie grüner Wasserstoff erzeugt und in Netzwerken vor Ort im Verkehr, in der Industrie oder zur Wärmeversorgung eingesetzt werden kann.
Ein Beispiel für eine H2- Region ist das Projekt GET H2 Nukleus: Zwischen Lingen in Niedersachsen und Gelsenkirchen im Ruhrgebiet soll das erste öffentlich zugängliche Wasserstoffnetz entstehen. Auf einer Länge von 130 Kilometern soll es die Erzeugung von grünem H2 in Lingen mit industriellen Abnehmern in Niedersachsen und NRW verbinden. Mitte März haben BP, Evonik, Nowega, OGE und RWE Generation eine entsprechende Absichtserklärung für die Entwicklung eines solchen Wasserstoffnetzes vorgestellt.
Auch wenn deutlich mehr PtG-Anlagen geplant – beziehungsweise im Gespräch – sind, wird es wahrscheinlich dauern, bis die Technik marktfähig ist. Denn noch sind die Herstellungskosten von grünem Wasserstoff deutlich über denen von Wasserstoff, der mithilfe fossiler Energieträger erzeugt wird. Dem Handelsblatt zufolge kostet ein Kilogramm grüner Wasserstoff heute rund zehn US-Dollar. Sogenannter grauer Wasserstoff, etwa mit Erdgas erzeugt, liegt dagegen im Schnitt bei einem bis zwei US-Dollar pro Kilogramm.
Es ist das bekannte Henne-Ei-Problem neuer Technologien: Damit Elektrolyse im industriellen Maßstab betrieben werden kann, braucht es genug Nachfrage nach grünem Wasserstoff. Und umgekehrt entsteht größere Nachfrage erst, wenn die entsprechende Technologie da ist, um kostengünstig Wasserstoff anzubieten. Experten rechnen allerdings damit, dass die Herstellungskosten in Zukunft deutlich sinken könnten. Bisher dienen die eher kleinen Power-to-Gas-Anlagen der Erforschung der Technologie. Durch deutlich größere Anlagen und damit verbundene Skaleneffekte könnten die Preise deutlich reduziert werden. Hinzu kommt, dass einerseits die Elektrolyseure heute noch mit erheblichen Steuern und Abgaben belastet sind, die grünen Wasserstoff massiv benachteiligen. Andererseits fehlen wirtschaftliche Anreize für die Nachfrager, weil sie grünen Wasserstoff zumeist nicht auf ihre Treibhausgasminderungsziele anrechnen lassen können.
Damit eine Nachfrage nach Wasserstoff, der mithilfe von Strom aus Erneuerbaren erzeugt wird, entsteht, werden verschiede Ansätze diskutiert. Beispielweise hat die Power-to-X-Allianz, ein Zusammenschluss von Verbänden und Unternehmen der Energiewirtschaft, folgendes Modell vorgelegt: Für jede Tonne CO2 aus fossilen Energieträgern, die durch die Nutzung von erneuerbaren Energieträgern aus Power-to-X ersetzt wird, soll ein Innovationsbonus gutgeschrieben werden. Ausgezahlt werden könnten diese Boni etwa über die staatliche KfW-Bank. Die Power-to-X-Allianz schlägt vor, über fünf Jahre hinweg jährlich jeweils eine Elektrolyseleistung von einem Gigawatt auszuschreiben.
Einen anderen Weg schlägt die „Global Powerfuel Alliance“, die „Internationale Zivilluftfahrtorganisation“ der Vereinten Nationen, vor: Weltweit soll dem herkömmlichen Kerosin auf Erdölbasis synthetisches Kerosin in einer bestimmten Quote beigemischt werden. Das synthetische Kerosin kann im Power-to-Liquid-Verfahren mithilfe von Strom aus Erneuerbaren produziert worden ist. Die Idee dahinter: Die durch die Quote hohe Nachfrage soll eine Kettenreaktion auslösen, die schon in anderen Bereichen der Energiewende zu beobachten war: mehr Investoren, schnellere Lernprozesse, größere Anlagen und dadurch erhebliche Kostensenkungen.
Einen dritten Weg, der über die Nachfrageseite kommt, bringt die Stahlindustrie ins Spiel: Um die Stahlerzeugung vom traditionellen Hochofenverfahren, bei dem Kohle zur Reduktion eingesetzt und damit viel CO2 emittiert wird, wegzukommen, setzen ThyssenKrupp, Salzgitter und andere Stahlkocher auf die Direktreduktion mit Wasserstoff. Weil diese aber deutlich teurer ist als das herkömmliche Verfahren, schlagen sie mit Hilfe von Agora Energiewende die Einführung sogenannter „Carbon Contracts for Difference“ vor. Das Prinzip: die Stahlproduzenten vermeiden mit diesem Verfahren CO2 – die CO2-Vermeidungskosten liegen aber über dem, was am Markt durchsetzbar ist. Wessen Aufschlag, also Differenz, am geringsten ist, erhält in einer Ausschreibung des Zuschlag für eine Förderung seiner Anlage.
Ob diese Vorschläge jemals umgesetzt werden, ist noch nicht abzusehen. Was aber sicher ist: Nach dem heutigen Stand der Technik braucht es Power-to-X-Technologien, um viele Industrieprozesse oder beispielsweise auch den Flug-, Schiffs- und Schwerlastverkehr klimafreundlicher zu machen und auch den Wärmesektor zu dekarbonisieren. Außerdem könnte mithilfe der Technologien Strom aus Sonne und Wind in großem Maßstab gespeichert werden – was bei einem wachsenden EE-Anteil am Strommix immer wichtiger wird, um dann die Stromversorgung zu sichern, wenn gerade mal Dunkelflaute ist. So könnte Power-to-X in Zukunft zu einem zentralen Element der Energiewende werden.
Unter der Bezeichnung Power-to-X werden alle Verfahren zusammengefasst, bei denen Strom (englisch: Power) in andere Energieträger oder Rohstoffe (X) umgewandelt wird. Überall dort, wo eine unmittelbare Elektrifizierung wie beim E-Auto nicht möglich ist, soll Strom auf diese Weise die Energiewende vorantreiben.
Beim Power-to-Gas-Verfahren wird mithilfe von Strom aus Erneuerbaren Energien Wasserstoff in einer Elektrolyse produziert. Der klimaneutrale Wasserstoff kann direkt genutzt werden. So kann das Gas in das Gasnetz eingespeist werden – als reiner Wasserstoff oder als Beimischung zum konventionellen Erdgas –, in Brennstoffzellen Strom erzeugen oder als Grundstoff für die Industrie dienen. Außerdem kann der Wasserstoff für andere Power-to-X-Verfahren als Grundlage dienen.
In weiteren Verfahrensschritten lässt sich grüner Wasserstoff zu synthetischem Erdgas, Benzin, Diesel oder Kerosin weiterverarbeiten, sogenannten E-Fuels. Dabei muss wieder Kohlenstoff zugefügt werden – stammt dieser aus Biomasse, aus Klärschlamm oder wird direkt aus der Luft gewonnen, ist das vollkommen CO2-neutral. Beispielsweise bietet synthetisches Kerosin, das mit Hilfe von Strom aus Erneuerbaren erzeugt worden ist, bislang die einzige Methode, klimaneutral zu fliegen.
Auf diese Weise kann regenerativ erzeugter Strom helfen, die Sektoren Industrie, Wärme oder Verkehr zu dekarbonisieren. Die sogenannte Sektorenkopplung wird von Experten als wichtiges Instrument angesehen, dass Europa seine Klimaziele erreicht.
Bildnachweis: © Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg