Das Ziel ist klar: Bis zum Jahr 2050 soll Deutschland weitgehend treibhausgasneutral werden. Die Bundesregierung orientiert sich am Pariser Klimaabkommen, wonach in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts weltweit Treibhausgasneutralität erreicht werden soll. Doch die Fragen, was das im Einzelnen bedeutet und welche Maßnahmen in den kommenden Jahren notwendig sind, werden intensiv diskutiert. Langjährige Diskussionen um die Abstandsregeln für Windräder oder um die lang erwartete nationale Wasserstoffstrategie zeigen das.
Die aktuelle Studie „Stromnetz 2050“ gibt nun einen Ausblick, wie umfangreich das deutsche Energiesystem in den kommenden 30 Jahren umgebaut werden muss. Der Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW hat in der Studie untersucht, welche Anforderungen an Erzeugungsanlagen und Stromnetze in einer weitgehend klimaneutralen Energiezukunft erfüllt sein müssen. Weitgehend klimaneutral bedeutet dabei eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 90 Prozent im Vergleich zu 1990. Das Ergebnis kurz zusammengefasst: Deutschland befindet sich erst am Anfang der Energiewende. Um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, müssen sowohl die Erzeugungskapazitäten der Erneuerbaren als auch die Stromnetze im großen Umfang ausgebaut werden.
Denn der Bedarf nach Strom wird der Prognose zufolge erheblich wachsen. In Deutschland rechnen die Studienautoren mit einem Anstieg der Netto-Stromnachfrage um über 50 Prozent auf mehr als 800 Terawattstunden (TWh). Zum Vergleich: In den vergangenen Jahren lag der Gesamtstromverbrauch laut BDEW bei ungefähr 550 TWh. Haupttreiber für den wachsenden Bedarf sind der Wärme- und der Transportsektor. Allein für die Elektrifizierung dieser beiden Sektoren werden 315 TWh benötigt.
Die Studie prognostiziert, dass vor allem elektrisch betriebene Fahrzeuge mit Batterie solche mit Verbrennungsmotor ersetzen werden. Brennstoffzellenfahrzeuge werden dank höherer Energiedichte und kürzerer Tankzeiten für längere Strecken eingesetzt. 80 Prozent der benötigten Energie wird durch Strom gedeckt, 20 Prozent durch Wasserstoff. Insgesamt wird der Endenergieverbrauch im Verkehr deutlich zurückgehen, da E-Autos deutlich effizienter sind: Mit einer Kilowattstunde Strom kommt ein Elektrofahrzeug rund 3,5-mal so weit wie ein vergleichbares Fahrzeug mit Verbrennungsmotor und gleicher Energie in Form von Superbenzin.
Eine ähnlich starke Elektrifizierung wie beim Verkehr wird es bei der Wärmeerzeugung voraussichtlich nicht geben. Die Studienautoren erwarten, dass bis 2050 rund 40 Prozent der Wärmeversorgung in Deutschland elektrifiziert werden – dank effizienter Wärmepumpen und Widerstandsheizungen. Der Rest wird durch hocheffiziente Gas-und-Dampf-Anlagen (GuD-Anlagen) mit Kraft-Wärme-Kopplung und Heizwerken in Nah- und Fernwärmenetzen sowie dezentralen Gasheizungen gedeckt. Zudem können Wärmespeicher genutzt werden, um auch die Stromnachfrage intelligent zu steuern.
Die stark wachsende Stromnachfrage sowie die Klimaziele machen einen massiven Ausbau von Windenergie und Photovoltaik notwendig, so die Studie. Die Energieträger Sonne und Wind sind die Grundlage der deutschen Energiewende. Laut Prognose muss sich die installierte Leistung der Windenergie von 58 Gigawatt (GW) im Jahr 2018 auf 177 GW im Jahr 2050 verdreifachen, davon entfallen 55 GW auf Offshore-Windparks. Parallel wird die installierte Leistung von Photovoltaikanlagen von 44 GW im Jahr 2018 auf 173 GW im Jahr 2050 ansteigen.
Der Studie zufolge muss der Netzentwicklungsplan 2030, der maßgeblich für den Netzausbau ist, weiterentwickelt werden. Vor allem in Nord- und Nord-West-Deutschland könnten in Zukunft kritische Netzengpässe auftreten. Grund hierfür ist vor allem der verstärkte Ausbau der Offshore-Windenergie in der Nordsee, die rund ein Drittel des aus erneuerbaren Energien produzierten Stroms liefern. Dieser Strom muss in die bevölkerungsstarken und industrialisierten Zentren im Westen und Süden transportiert werden, wo die Nachfrage durch die Elektrifizierung des Wärme- und Transportsektors zusätzlich stark wachsen wird.
Der Transportbedarf in Nord-Süd-Richtung wird demnach weiter zunehmen. Im Vergleich zum Netzentwicklungsplan 2030 müssen nach der Prognose Übertragungsnetze mit einer Länge von über 15.700 Kilometer ausgebaut werden. Das entspricht rund 40 Prozent der aktuellen Stromkreise des deutschen Übertragungsnetzes.
Bildnachweis: Transnet BW