Im Juni 2021 hat die Internationalen Energieagentur (IEA) in ihrem Bericht „Net Zero by 2050“ einen globalen Weg zu Netto-Null-Emissionen skizziert. Demnach muss der Einsatz aller Erneuerbaren Energiequellen erheblich beschleunigt werden. In Großbritannien und dem übrigen Nordeuropa liegt der Schwerpunkt jedoch hauptsächlich auf der Entwicklung der riesigen Offshore-Windressourcen. Und während in der Region der Ausbau des Windsektors bisher die entscheidende Komponente der Energiewende ist, ist es in laut IEA-Szenario die Solarenergie, die bis 2050 zur größten einzelnen Energiequelle wird.
In Großbritannien hat sich die Solarkapazität bisher in Schüben entwickelt: Von nur 95 Megawatt (MW) im Jahr 2010 stieg sie binnen einem Jahr auf ein Gigawatt (GW). Bis 2014 erreichte sie 5,5 GW und machte dann, getrieben von staatlichen Subventionen, einen weiteren Sprung auf 9,6 GW im Jahr 2015. In den folgenden vier Jahren verlangsamte sich der Ausbau, obwohl die Kosten so stark fielen, dass die Notwendigkeit staatlicher Unterstützung entfiel. Im Jahr 2019 lag die Kapazität bei 13,3 GW – weniger als ein Drittel der Solarkapazität in Deutschland.
In den zwölf Monaten bis März 2021 wurden schließlich weitere 663 MW zugebaut, nachdem die staatliche Förderung ausgelaufen. Diese Entwicklung spiegelt die Wettbewerbsfähigkeit der Solarenergie gegenüber anderen Erzeugungsformen wider. Insgesamt sind in Großbritannien derzeit etwas mehr als 14 GW an Solarkapazität installiert.
Das sei zu wenig, argumentiert der Branchenverband Solar Energy UK in einem neuen Bericht (auf Englisch? mit dem Titel „Lighting the Way. Making net zero a reality with solar energy“. Großbritannien solle bei der Solarenergie ein Ziel von 40 GW bis 2030 festlegen– wie schon bei der Offshore-Windenergie. Der Verband fordert einen klareren Weg für die Entwicklung der Solarenergie, um die Geschwindigkeit des Ausbaus mit den Zielen des Landes in Einklang zu bringen, bis 2035 die Kohlenstoffemissionen um 78 Prozent gegenüber 1990 zu senken.
Der Verband ist nicht der einzige, der zu dem Schluss kommt, dass die Geschwindigkeit des Solarausbaus nicht ausreicht, um die Klimaziele Großbritanniens zu erreichen. Der britische Ausschuss für Klimawandel CCC (auf Englisch) schätzt, dass Wind- und Solarenergie bis zum Jahr 2035 zwischen 75 und 90 Prozent des britischen Stroms liefern müssen, wobei mit Solarenergie allein 60 Terawattstunden (TWh) pro Jahr erzeugt werden sollen. Das wäre das Fünffache verglichen mit 2019. Der Ausbau auf 40 GW bis 2030 ist laut CCC das Minimum, das mit den britischen Klimazielen für 2035 vereinbar ist.
Um die erforderliche Zubaurate von jährlich 2,6 GW zu erreichen, sind laut Solar Energy UK neue Rahmenbedingungen erforderlich. Notwendig seien dafür Änderungen der Planungsgenehmigungen, der Netzentgelte und der Unternehmenssteuern für die Entwicklung von Solaranlagen in industriellem Maßstab möglich. Darüber hinaus befürwortet der Bericht, Solarprojekten den Zugang zum CfD-System des britischen Energieministeriums zu garantieren. Differenzverträge (Contracts for Difference, kurz CfD) sind das Hauptinstrument der Regierung zur Förderung Erneuerbarer Energien in Großbritannien.
Im Bereich der kommerziellen Projekte (vier Kilowatt bis fünf MW) sollten zudem die Freibeträge für Investitionen in Solarprojekte sowie die Förderprogramme für öffentliche Körperschaften ausgeweitet werden. Gleichzeitig sollten Bauvorschriften mit Energieeffizienzzielen in Einklang gebracht werden, um die Installation von Solaranlagen zu unterstützen. Für Solarkraftanlagen auf Wohngebäuden empfiehlt der Verband eine Mehrwertsteuerbefreiung für Erzeugungs- und Speicheranlagen, Unterstützung für Nachrüstungen sowie Änderungen der Bauvorschriften, um den Ausbau der Solarenergie zu fördern.
Von der Entwicklung verschiedener Formen der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien profitiert das gesamte Elektrizitätssystem. Wind und Solarenergie sind zwar volatil, haben jedoch auf täglicher und saisonaler Basis unterschiedliche Erzeugungsprofile, sodass sie sich in der Regel gegenseitig ergänzen. So ist es in Großbritannien im Winter, wenn die Sonne weniger schein, windiger. Im Sommer hingegen ist es sonniger, aber weniger windig. Bezieht man die Energiegewinnung auf dem Meer und die zuschaltbare Biomasse mit ein, steigt der Anteil der garantierten Stromerzeugung und die Herausforderung der Volatität verringert sich. Ein Elektrizitätssystem, das ein breites Spektrum an erneuerbaren Energiequellen umfasst und eine breite geografische Verteilung aufweist – irgendwo in Großbritannien weht der Wind fast immer – schafft also ein System, das stärker, zuverlässiger und belastbarer ist als die Summe seiner Teile.
Darüber hinaus ist der Einsatz von Solarenergie, wie auch die Entwicklung von Offshore-Wind, ein wichtiger Motor für das dringend benötigte Wirtschaftswachstum, während sich das Land von der Covid-19-Pandemie erholt. Ein beschleunigtes Wachstum in der Solarbranche könnte 13.000 zusätzliche Vollzeitarbeitsplätze schaffen und mindestens 17 Milliarden Pfund an zusätzlichen wirtschaftlichen Aktivitäten generieren, so der Bericht von Solar Energy UK.