Nach den Tiefständen zu den Höhepunkten der Covid-19-Pandemie im vergangenen Jahr sind die Erdgaspreise noch vor dem Winter auf ein noch nie dagewesenes Niveau angestiegen. Private Verbraucher in ganz Europa werden mit hohen Heizungs- und Stromrechnungen konfrontiert, die sich viele nicht leisten können.
In Großbritannien wurde das Problem durch unerwartete Kraftwerksausfälle sowie einem Brand des IFA-1-Interkonnektors (Link auf Englisch), der Verbindungsleitung zwischen dem Vereinigten Königreich und Frankreich, noch weiter verschärft. Das schränkt die Möglichkeiten, Strom zu einer Zeit zu importieren, in der nur wenig Wind weht, weiter ein. Infolgedessen musste die Stromproduktion durch Kohleverbrennung wieder hochgefahren werden – trotz der nachteiligen Folgen für die Umwelt.
Das Problem ist jedoch keineswegs nur auf Großbritannien beschränkt. Ganz im Gegenteil: Die Preise von Europas wichtigstem Flüssiggas-Hub, dem niederländischen TTF, sind ebenfalls sehr hoch und in ganz Europa ist der Anteil von Kohlestrom im Energiemix gestiegen.
Im Jahr 2020 hatte die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien den größten Anteil aller Zeiten an der europäischen Stromerzeugung. Dies war vor allem auf eine Kombination aus erhöhter Kapazität und geringer Nachfrage zurückzuführen.
Dadurch sank die Kohleverstromung im Vereinigten Königreich auf ein Minimum und in der gesamten EU auf einen historischen Tiefstand. Das führte zu einer erheblichen Verringerung der Treibhausgasemissionen. Gleichzeitig ging auch die Stromerzeugung der Gaskraftwerke sowohl in Großbritannien als auch in der EU im Vergleich zum Vorjahr weiter zurück.
2021 hat sich die Strom- und Gasnachfrage wieder erholt, allerdings lieferten Windparks in diesem Jahr weniger Strom als erwartet. Dadurch ist der Anteil von Strom aus Gas am Energiemix in ganz Europa wieder gestiegen.
Europa bezieht Gas aus drei Quellen: aus der heimischen Produktion, aus Pipeline-Importen und in Form von verflüssigtem Erdgas (LNG), das mit Schiffen angeliefert wird.
Die einheimische Produktion in Europa geht schon seit langem zurück und verzeichnete vor kurzem einen zusätzlichen Abfall durch den Produktionsrückgang im großen Gasfeld Groningen in den Niederlanden. Für Europa hat dies eine größere Abhängigkeit von Gasimporten zur Folge, selbst wenn die Nachfrage relativ stabil bleiben sollte.
Bei LNG ist die Nachfrage weltweit bereits auf einem hohen Niveau. Das ist in erster Linie auf den wirtschaftlichen Aufschwung in Asien zurückzuführen sowie auf das Ziel vieler Länder, Kohle durch kohlenstoffarmes Gas zu ersetzen.
Vor allem China hat in den vergangenen Jahren ein umfangreiches Programm zur Umstellung von Kohle auf Gas aufgestellt. Dadurch dürfte das Land 2021 vermutlich zum weltweit größten Abnehmer von LNG werden und dabei Japan überholen. Dies wird der Volksrepublik dabei helfen, die Kohlenstoffintensität seiner Wirtschaft zu verringern – ein entscheidendes Element im globalen Kampf gegen den Klimawandel.
Andere große LNG-Nutzer wie Südkorea und Japan haben außerdem keine Import-Pipelines für Gas. Ihre Nachfrage nach dem Gas ist daher relativ unflexibel und sie können nur den Einsatz von Kohle und Öl erhöhen. Insgesamt geht daher trotz ansteigender weltweiter LNG-Kapazitäten, insbesondere in den USA, der Großteil des verfügbaren LNG nach Asien. Hier zahlen Käufer Rekordpreise für diese Jahreszeit.
Für Europa sind die wichtigsten Pipelinegas-Lieferanten Norwegen, Russland, Algerien, Lybien – und seit Kurzem auch Aserbaidschan über die erst kürzlich fertig gestellte Trans-Adria-Pipeline, die Gas nach Süd-Italien liefert. Vor allem die russische Gaspipelinekapazität nach Deutschland und in die Türkei ist sehr groß, insbesondere aufgrund des Baus von neuen Unterseeleitungen. Aber überschüssige Pipeline-Kapazitäten zu haben ist nicht gleichbedeutend mit einem Überangebot.
Laut einer im September vom Oxford Institute for Energy Studies veröffentlichten Arbeit (Link auf Englisch) überstiegen die russischen Gasexporte nach Europa in der ersten Jahreshälfte frühere Höchstwerte. Das deutet darauf hin, dass Russland womöglich an den Grenzen seiner Möglichkeiten wirtschaftet. Unterdessen hat Norwegen versprochen, seine Gasexporte nach Europa ab dem 1. Oktober zu erhöhen. Tatsache bleibt jedoch, dass die weltweite Nachfrage nach Gas das Angebot übersteigt und somit die Preise in die Höhe treibt.
Eine weitere große Veränderung in Europa ist die fortlaufende Schließung von Kohlekraftwerken. Das Vereinigte Königreich zum Beispiel plant, bis 2024 die gesamte Kohleverstromung einzustellen. Viele andere europäische Länder verfolgen ähnliche Ziele. Sie wollen damit die Treibhausemissionen reduzieren. In der Folge wird das Vereinigte Königreich jedoch ab 2024 nicht mehr auf seine Kohlekraftwerke zurückgreifen können, sollten die Gaspreise in Zukunft ein weiteres Mal stark ansteigen.
Und wie Gas ist auch Kohle derzeit nicht günstig: Die Preise für den Brennstoff und auch für CO2-Zertifikate im Rahmen des EU-Emissionshandels befinden sich auf einem Rekordniveau. Die kostengünstigste Form der Stromerzeugung sind deshalb die Erneuerbaren Energien (EE), bei denen keine Brennstoffkosten entstehen. Ihr Betrieb hängt außerdem nicht von Importen ab und sie sind nicht von Schwankungen bei den internationalen Brennstoffpreisen betroffen. Kurz: Erneuerbare sind eine günstige, saubere und lokal verfügbare Energiequelle.
Und nach dem Jahr 2024 hängen die Bewältigung der Klimakrise sowie die Sicherheit des Energiesystems – zumindest in Großbritannien – von größeren EE-Kapazitäten ab. Erneuerbare unterliegen zwar Schwankungen, mit einem entsprechenden Ausbau der Kapazitäten können sie aber mehr Grundlast erzeugen. Dieser Grundlastbeitrag wird durch eine geografische Vielfalt und einen Technologie-Mix mit sich überschneidenden Schwankungsmustern verstärkt. Die Offshore-Windenergie, die von der Internationalen Energieagentur als „Grundlast-Erzeuger“ (Link auf Englisch) bezeichnet wird, ist dabei besonders relevant. Klar ist aber auch, dass für das Gelingen der Energiewende und die Nutzung des grünen Stroms der Ausbau der Stromnetze vorangetrieben werden muss.
Außerdem wird die Systemflexibilität künftig eine wichtige Rolle spielen, zum Beispiel bei der Energiespeicherung – sei es in der Form von Batterien, Pumpspeichern oder Wasserstoff sowie bei Mechanismen wie der Nachfragesteuerung. Zumindest in den nächsten zehn Jahren wird Erdgas aber trotz seines hohen Preises weiterhin entscheidend für die Versorgungssicherheit bleiben. Um die Umwelt zu schützen, sollte es jedoch wieder wie in 2020 nur zum Einsatz kommen, wenn EE die Stromnachfrage nicht decken können und weniger als preisbestimmende Hauptstütze des Stromsystems fungieren (wie in 2021).
Um das zu erreichen, haben sich das Vereinigte Königsreich und die EU ehrgeizige Ziele für EE gesetzt. Auf dem Weg dorthin müssen sie das Tempo beim Ausbau beschleunigen, so argumentiert der Global Wind Energy Council in einem kürzlich erschienenen Bericht über die Offshore-Windkraft (Link auf Englisch). Die Analyse legt die Vereinfachung von Genehmigungsverfahren sowie einen soliden politischen Rahmen als Schlüsselfaktoren für eine Stärkung der Ausbaurate fest.