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Scheitert Portugals Energiewende am Netzausbau?
Weltweit führende Solarpreise sind nur ein Zeichen für Portugals großes Potenzial an Erneuerbaren Energien

Wenn man an Portugal denkt, kommen einem Sonne, Strände, Vinho Verde und die riesigen Wellen vor dem Surfer-Hotspot Nazaré in den Sinn. Aber Portugals sonniges Klima hat noch andere Vorteile: Im vergangenen Jahr machte es mit einem Weltrekord für den niedrigsten Preis für Solarstrom Schlagzeilen. Das spanische Unternehmen Enerland gab ein Angebot für zehn Megawatt (MW) Solarstrom zu einem Preis von gerade einmal 11,14 Euro pro Megawattstunde ab. Insgesamt wurden im Rahmen der Ausschreibung 670 MW an neuen Kapazitäten vergeben, von denen 315 MW mit Speicheranlagen gekoppelt sein werden.

Portugal hatte bis 2020 Solaranlagen mit einer Kapazität von etwas mehr als einem Gigawatt (GW) installiert und plant, diese bis zum Ende des Jahrzehnts auf neun GW zu erhöhen. Die Solarenergie könnte dann fast ein Fünftel des portugiesischen Stroms erzeugen. Und sie hätte das Potenzial, bis 2050 noch viel mehr zu produzieren. Bis dahin will Portugal wie viele andere europäische Länder klimaneutral werden, also netto keine Kohlenstoffemissionen mehr verursachen.

Wasserkraft bildet das flexible Rückgrat der Stromversorgung

Aber, oh Schreck, in Portugal ist es nicht immer sonnig! Die Wintermonate sind vor allem in Zentral- und Nordportugal verregnet. Doch auch das wird genutzt:  Das Rückgrat des portugiesischen Elektrizitätssystems sind 17 große Wasserkraftwerke mit einer Kapazität von mehr als sieben GW. Sie liegen hauptsächlich an in Ost-West-Richtung verlaufenden Flüssen, die in den Atlantischen Ozean münden. Vier von ihnen verfügen über eine Pumpspeicherkapazität von insgesamt 2,8 GW, die wesentlich zur Flexibilität des Systems beiträgt.

Darüber hinaus dürfte Portugal bis 2024 den neuen Komplex Tamega mit drei Wasserkraftwerken im Norden des Landes fertigstellen. Das Hybridprojekt, zu dem auch 300 MW Windkraft gehören, wird die Kapazität um 1,16 GW erhöhen und auch Pumpspeicherkraftwerke umfassen. Die drei im Bau befindlichen Wasserkraftwerke Gouvaes, Daivoes und Alto Tamega an den Flüssen Tamega und Torno werden die Grundlast- und Speicherkapazität erheblich erweitern.

Windkraft im Aufwind

Während das Land gerade erst an der Oberfläche seines äußerst kostengünstigen Solarpotenzials kratzt, hat die Onshore-Windenergie den Energiemix zuletzt am stärksten verändert: Die Kapazität der an Land installierten Windräder ist seit 2003 gestiegen und hat Ende 2020 5,24 GW erreicht. Gemessen an der jährlichen Stromerzeugung ist die Windkraft zum wichtigsten regenerativen Energieträger geworden: So hat die Winderzeugung die Wasserkraft in den drei vorangegangenen Jahren übertroffen. Seit 2013 hat sich das Expansionstempo jedoch verlangsamt. Damals wurde die Einspeisevergütung für die Erzeugung Erneuerbarer Energien abgeschafft.

Offshore-Windboom

Es könnte sich jedoch ein neuer Windboom anbahnen. Denn Portugal ist seit langem innovationsfreudig, hat Pionierarbeit im Bereich der Wellenkraft geleistet und ist nun eines der ersten Länder der Welt, das einen schwimmenden Offshore-Windpark installiert hat. Das Land verfügt über zahlreiche Küstenlinien, doch der Meeresboden fällt steil von der Küste in die Tiefe des Atlantiks ab. Das bietet wenig Spielraum für festinstallierte Windturbinen. Schwimmende Offshore-Windkraftanlagen, die sogenannte Floating-Technologie, können das Windkraftpotenzial so deutlich erhöhen.

Das Projekt WindFloat Atlantic nutzt ein Halbtaucherfundament, um drei 8,4-MW-Turbinen von Vestas 20 Kilometer vor der Küste von Viana do Castelo aufzustellen. Nach Angaben der Entwickler hat das Projekt in seinem ersten Betriebsjahr die Erwartungen weit übertroffen.

Mit mehreren neuen schwimmenden Offshore-Windkraftkonzepten, die auf den Markt kommen, beginnt an Portugals windiger Atlantikküste ein neues Kapitel zuverlässiger regenerativer Energieerzeugung. Der ohnehin schon hohe Anteil der Erneuerbaren kann damit noch weiter steigen.

Erneuerbare schwanken im Wechsel der Jahreszeiten

Saisonalen Schwankungen stellen für Portugal jedoch eine zentrale Herausforderung dar: Die Solarenergie kann von April bis Oktober viel Strom liefern, im Winter nimmt die Verfügbarkeit ab. Die Wasserkraftreserven des Landes und der Durchfluss durch Laufwasserkraftwerke nehmen ab November zu, sind aber im Sommer schnell erschöpft, während die Windenergie im Winter zulegt und später im Jahr tendenziell sinkt.

Über das ganze Jahr hinweg liefert die Wasserkraft für gewöhnlich etwa ein Fünftel der Elektrizität des Landes. Im ersten Quartal 2021 waren es jedoch 44 Prozent, die Windkraft kam auf 28, Biomasse auf 5,6 und Solarenergie auf zwei Prozent. Das verdeutlicht die Saisonabhängigkeit. Fossile Brennstoffe hatten in diesem Zeitraum einen Anteil von weniger als 20 Prozent am Strommix.

Portugals Erneuerbare Energien Produktion, in TWh

Quelle: BP Statistical Review of World Energy 2021

Aber wenn der Winter naht, ist es möglich, den Zezere in Zentralportugal zwischen den Wasserkraftwerken Bouca und Castelo de Bode flussaufwärts zu überqueren, ohne nasse Füße zu bekommen. Außerdem stellt die Klimaerwärmung eine erhebliche Bedrohung für das portugiesische Stromsystem dar. Geringere Niederschläge können sich stark auf die Stromerzeugung aus Wasserkraft auswirken und die Funktion der Pumpspeicherkraftwerke einschränken, die Flexibilität des Systems zu gewährleisten.

Portugal ist außerdem eines der waldreichsten Länder Europas. So ist Holz die meistgenutzte Quelle erneuerbarer Wärmeenergie. Die steigenden Temperaturen und lange Trockenphasen führen jedoch unter anderem zu einer Häufung von Waldbränden. Dabei wird nützliche Biomasse verbraucht und die Stromübertragungsinfrastruktur beschädigt.

Fossile Brennstoffe auf dem Rückzug

Saisonal bedingte Schwankungen werden mithilfe von Gaskraftwerken, die überwiegend mit Flüssigerdgas (LNG) betrieben werden, Gasimporten aus Spanien und Interkonnektoren, also grenzüberschreitende Stromleitungen, nach Spanien aufgefangen.

Im Einklang mit den Klimaschutzzielen der Regierung ist die Kohle inzwischen so gut wie verschwunden. Das letzte Kohlekraftwerk des Landes soll im November geschlossen werden. Die Kohleverstromung wurde wegen steigender CO2-Preise im europäischen Emissionshandelssystems (EU-ETS) und der schrittweisen Abschaffung der Befreiung von nationalen Kohlenstoff- und Energieproduktsteuern aus dem Energiemix verdrängt.

Seit April 2020 wird auch die Steuerbefreiung für die Gasverstromung nach und nach abgeschafft. Das soll den Einsatz Erneuerbarer Energien begünstigen, auch wenn Gas voraussichtlich bis mindestens 2040 Teil des Energiemixes bleiben wird.

Elektrifizierung als Herausforderung

Um die entstehende Lücke zu schließen, muss der Erneuerbaren-Sektor stark ausgebaut werden. Und die Elektrifizierung wird zusätzlich an Bedeutung gewinnen. Strom aus regenerativen Quellen soll bis zum Jahr 2050 86 bis 88 Prozent des Endenergiebedarfs abdecken, die Stromerzeugung soll bis dahin komplett grün sein. Gleichzeit wird erwartet, dass der Anteil der Elektrizität an der Endenergienachfrage von 25 Prozent im Jahr 2019 auf 66 bis 68 Prozent ansteigen wird. Der Energieverbrauch insgesamt wird jedoch durch Energieeffizienzmaßnahmen stark sinken.

Die eigentliche Herausforderung für Portugal liegt also nicht in der Verfügbarkeit von erneuerbaren Energiequellen, sondern in deren Anschluss, Übertragung und Verteilung. Und: In einem Land mit hohen Strompreisen auf einen hohen Elektrifizierungsgrad zu setzen, könnte sich als schwierige Forderung an die Verbraucher erweisen.

In der ersten Hälfte des Jahres 2020 hatte Portugal die achthöchsten Strompreise für private Haushalte in der EU, obwohl das Einkommensniveau im EU-Vergleich eher niedrig ist. 67 Prozent des Endkundenpreises setzten sich aus verschiedenen Gebühren und Steuern zusammen. Für die Industrie hatten sie einen Anteil von 58 Prozent. Doch hohe Stromkosten sind ein Hindernis für die Elektrifizierung. Ein weiterer Stolperstein für Entwickler von Stromerzeugungsanlagen waren und sind Netzanschlüsse. Gründe sind die mangelnde Verfügbarkeit und komplexe Genehmigungsverfahren.

Der Erfolg der weltweit führenden portugiesischen PV-Ausschreibungen ist daher nicht zuletzt auf die Einbeziehung garantierter Netzanschlüsse zurückzuführen: In Portugal werden immer mehr Kapazitäten direkt an das Verteilnetz und nicht an das Hochspannungsnetz angeschlossen. Die Internationale Energieagentur berichtet, dass im Jahr 2019 5,9 GW Kapazität – das entspricht etwa 25 Prozent der gesamten installierten Kapazität – an das Verteilnetz angeschlossen wurden. Dabei handelte es sich fast ausschließlich um Erneuerbare-Anlagen.

Vor allem in ländlichen Gebieten kann die Stromqualität ein Problem darstellen, da schwankende Spannungspegel es privaten Nutzern zeitweise unmöglich machen können, Strom in das Verteilnetz einzuspeisen. Auch Stromausfälle sind keine Seltenheit, was die Bereitschaft der Verbraucher verringert, in elektrisch betriebene Produkte zu investieren.

Die Kapazitäten für Erneuerbare Energien aus verschiedenen Technologien mit sich überschneidenden Erzeugungsprofilen auszubauen sowie die Energiespeicherung und -effizienz zu verbessern, sind allesamt entscheidende Elemente der portugiesischen Netto-Null-Ambitionen. Sie sollen nicht nur ein nachhaltiges Energiesystem, sondern auch ein Ende der hohen Importabhängigkeit des Landes von fossilen Brennstoffen ermöglichen.

Die zentrale Rolle der Elektrifizierung dabei bedeutet jedoch, dass Portugal die Quadratur des Kreises zwischen den Kosten für Investitionen in das Stromnetz und der Bezahlbarkeit der Stromversorgung für seine Bürger schaffen muss.

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