Selbst wenn im Jahr 2045 unser Strombedarf zu 100 Prozent durch Erneuerbare gedeckt würde, alle Elektroautos fahren und Unternehmen Stahl mithilfe von grünem Wasserstoff herstellen würden, würde Deutschland voraussichtlich noch zwischen 37 bis 73 Millionen Tonnen CO2 jährlich ausstoßen. Das wären immerhin zwischen fünf und zehn Prozent der gegenwärtigen Treibausgas-Emissionen. Zu dieser Schätzung kommt die aktuelle Studie „CO2-Entnahmen: Notwendigkeit und Regulierungsoptionen“ des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) sowie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.
Die Wissenschaftsplattform Klimaschutz hat dieses Gutachten in Auftrag gegeben. Sie berät die Bundesregierung als Stimme der Wissenschaft bei der Umsetzung und Weiterentwicklung der deutschen Klimastrategie. Denn um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, müssen diese nicht oder kaum vermeidbaren Rest-Emissionen ausgeglichen werden. Die Studie macht deutlich, dass dazu in Zukunft Kohlendioxid in beträchtlichem Maße aus der Atmosphäre entnommen werden müsse. Das beinhaltet auch, dass das Kohlendioxid gebunden wird. Der Kohlenstoff wird beispielsweise durch Wiederaufforstung in Pflanzen oder durch Pflanzenkohle im Boden gespeichert oder in den Untergrund gepresst.
Die Wissenschaftler haben sich daher in der Studie ausführlich mit den Themen negative Emissionen und CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre beschäftigt (einen kürzeren, guten Überblick dazu bietet ein Kurzdossier des MCC). Auf rund 60 Seiten fassen sie den Stand der Forschung zusammen und informieren über mögliche Technologien, Hindernisse für den großskaligen Einsatz sowie Optionen für Regulierung und Förderung. Beispielsweise gehen sie auf Entnahmetechnologien wie Bioenergie mit Abscheidung und Speicherung des CO2 (BECCS), Direct Air Carbon Capture and Storage (DACCS) oder Wiederaufforstung ein und diskutieren, wie diese mithilfe CO2-Bepreisung gefördert werden könnten.
Das Fazit: Die Politik müsse jetzt schon handeln, um die beträchtliche Innovationslücke in diesem Bereich zu schließen und die notwendigen Rahmenbedingungen zu entwickeln. Denn mit der groß angelegten CO2-Entnahme müsse bereits 2030, also schon in acht Jahren, begonnen werden.
„Entscheidend ist, dass die Bundesregierung jetzt eine Strategie für die langfristige Entwicklung und Nutzung negativer Emissionen entwickelt“, sagte Ottmar Edenhofer, Direktor des MCC und einer der beiden Vorsitzenden des Lenkungskreises der Wissenschaftsplattform anlässlich der Studienveröffentlichung. „Die Strategie sollte die Einsatzmöglichkeiten und Potenziale verschiedener Optionen genauer untersuchen, die notwendigen rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen sowie Fördermaßnahmen entwickeln und nicht zuletzt einen breiteren gesellschaftlichen Diskurs zu dieser Thematik anstoßen.“