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Die Schweiz setzt auf mehr Wasserkraft
Vom Ausbau der eidgenössischen Speicherkraftwerke könnte auch die Energiewende in der EU profitieren

425 Meter tief stürzt das Wasser durch die senkrechten Fallrohre des Pumpspeicherkraftwerks (PSW) Nant de Drance und durchströmt sechs Francis-Pumpturbinen. In weniger als fünf Minuten erreichen sie ihre volle Leistung und erzeugen dann jeweils 150 Megawatt (MW) Strom.

Binnen zehn Minuten kann dieser Prozess umgekehrt werden. Dann pumpen die Turbinen das Wasser aus dem unteren Reservoir namens „Emosson“ zurück in den oberen Stausee „Vieux Emosson“. Sein Fassungsvermögen erlaubt 20 Stunden Volllastbetrieb. Über diesen Zeitraum erzeugt Nant de Drance mit 900 MW so viel Strom wie ein Kernreaktor oder ein moderner Kohlekraftwerksblock.

Derzeit befinden sich die sechs Turbinen von Nant de Drance in der finalen Testphase, heißt es von der gleichnamigen Betreibergesellschaft, Mitte 2022 soll das PSW demnach ans Netz gehen. Sein flexibles Speicher- und Erzeugungspotenzial dürfte ein weiterer Baustein für die sichere Versorgung mit Erneuerbarer Energie sein – nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland und anderen EU-Nachbarländern.

Wachsender Bedarf an Wasserkraft und Stromhandel

Die Wasserkraft spielt in der Alpenrepublik seit Jahrzehnten eine bedeutende Rolle, 2020 machte sie nach Angaben des schweizerischen Bundesamts für Energie 58 Prozent des in der Alpenrepublik erzeugten Stroms aus. Einschließlich der Importe, die zu großen Anteilen auch aus Wasserkraft – vor allem aus Frankreich, Norwegen, Finnland und Slowenien – stammten, deckte die Wasserkraft sogar zwei Drittel des eidgenössischen Strombedarfs.

Doch das Potenzial ist noch längst nicht ausgeschöpft – weder das der Wasserkraft in der Schweiz, noch das des Außenhandels mit Strom. Beides hängt eng miteinander zusammen und beides wird in absehbarer Zeit noch wichtiger.

Strommix (Verbrauch) der Schweiz 2020

Denn bisher kommt noch rund ein Drittel des Stroms aus Kernkraft, und deren Ende ist auch in der Schweiz besiegelt: Die drei bestehenden Kraftwerke dürfen zwar so lange laufen, wie sie als sicher gelten. Ersetzt werden dürfen sie laut Beschluss in Bundesrat (Regierung) und Parlament jedoch nicht.

Beschleunigte Verfahren sollen Investitionen beflügeln

Wie wichtig der Ausbau Erneuerbarer Energien in der Schweiz ist, weiß man auch in der Politik. Anfang Februar hat die Schweizer Regierung ein entsprechendes Gesetz auf den Weg gebracht, das zum einen den Ausbau der Photovoltaik durch Steuervorteile attraktiver machen soll. Zum anderen soll es die Genehmigungsverfahren für große Wasser- und Windkraftprojekte beschleunigen.

Dies ist nach Ansicht des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands (SWV) auch dringend nötig: „Die drohende Versorgungslücke im Winter kann nur geschlossen werden, wenn die ermittelten Potenziale an zusätzlichen Wasserspeichern innerhalb der gesteckten Frist bis 2040 realisiert werden können“, teilte der Verband dem en:former mit.

20 Prozent mehr Wasserspeicher bis 2040

Der Schweizer Wasserbauprofessor Robert Boes von der ETH Zürich teilt diese Einschätzung: „Bei vielen Projekten geht es nur darum, das Speicherpotenzial bestehender Stauseen durch Erhöhung der Staumauer zu steigern.“ Verglichen mit dem Neubau einer Talsperre bedeute dies einen überschaubaren Eingriff in die Natur, auch die Investitionen seien vergleichsweise klein. „Doch selbst solche Genehmigungen können schnell mal 15 Jahre dauern“, sagt Boes. „Das ist zu lang, so kann man nicht angemessen auf den steigenden Bedarf reagieren.“

Boes ist Koordinator einer Studie zum Erzeugungs- und Speicherpotenzial der Wasserkraft in der Schweiz. Den darin vorgeschlagenen Ausbau der saisonalen Speicherkapazität der Wasserkraftwerke um 2 TWh bis 2040 hat der „Runde Tisch Wasserkraft“ aufgegriffen. Dafür haben sich die Vertreter von Umweltverbänden, betroffener Branchen und der Kantone in einer Gemeinsamen Erklärung auf 15 konkrete Projekte geeinigt. Das saisonale Speicherpotenzial der Schweiz würde damit um mehr als 20 Prozent auf rund 11 TWh steigen. Zum Vergleich: 2020 lag der Stromverbrauch der Schweiz bei rund 55 TWh.

Größere Stauseen gegen winterliche Importabhängigkeit

Mit dem Ausbau des Speichervolumens will die Schweiz in erster Linie ihre Abhängigkeit von Stromimporten nach dem Ende der Kernkraft reduzieren. Bisher ist das Land zwar über ein Jahr gesehen meist Nettoexporteur von Elektrizität – außer in sehr trockenen Jahren: Die Produktion kann laut SWV bis zu 20 Prozent über oder unter dem Durchschnitt liegen.

Im Winter aber muss die Schweiz regelmäßig Strom aus den Nachbarländern einführen, um den Bedarf zu decken, weil die Wasserkraft auch erheblichen saisonalen Schwankungen unterliegt.

Im Frühjahr laufen die Kraftwerke auf Hochtouren. Schneeschmelze und ergiebige Niederschläge bringen genug Wasser, um gleichzeitig die Speicherseen aufzufüllen. Wenn das Schmelzwasser zur Jahresmitte hin abnimmt, sind die Speicher voll. Ab dem Herbst bleibt auch das Schmelzwasser der Gletscher aus, und Niederschläge fallen immer häufiger als Schnee, sodass die Pegel der Fließgewässer und mit ihnen der Ertrag der Laufwasserkraftwerke deutlich sinken. Größere Speicher könnten die Energie noch gleichmäßiger übers Jahr verteilt werden. Oberhalb größerer natürlicher Seen haben die Stauseen bereits einen nennenswerten Einfluss auf die Wassermengen in den Flüssen und damit die Produktion von Laufwasserkraftwerken, sagt Boes: „In gewissem Maße übernehmen die Stauseen hier die natürliche Speicherfunktion, die mit dem Abschmelzen der Gletscher verloren geht.“

Die Schweiz als Speicher- und Transitland

Die Pumpspeicherkraftwerke erfüllen zudem eine weitere Aufgabe – und zwar über das Schweizer Stromnetz hinaus. Schon heute werden sie auch mit Strom aus Nachbarländern, vor allem Deutschland, betrieben, wenn dort die Produktion den Verbrauch übersteigt. Bei Bedarf geben die Schweizer PSW den Strom wieder ins Ausland ab, wenn auch nicht unbedingt zurück ins Herkunftsland.

Nicht nur deshalb ist die Schweiz ein regelrechtes Transitland für Strom. Deutschland etwa exportiert große Mengen direkt nach Italien. Laut einer Studie des Schweizer Bundesamts für Energie fließen zudem bis zu 30 Prozent des Stromhandels zwischen Deutschland und Frankreich physisch über die Schweiz.

Diese Rolle beschert der Alpenrepublik ein Strom-Außenhandelsvolumen, das mit rund 60 Terawattstunden (TWh) etwa dem gesamten Eigenverbrauch des Landes entspricht. Zum Vergleich: Deutschland im- und exportierte 2020 gut 93 TWh Strom – weniger als 20 Prozent des Eigenverbrauchs (488 TWh).

Beschränkter Zugang zu EU-Strommarkt

Mit dem Ausbau der volatilen Energiequellen Wind und Sonne könnten die Wasserspeicher der Schweiz noch wichtiger für das gesamte europäische Stromnetz werden. Auf diesen Bedarf setzen gewissermaßen auch die Betreiber der großen PSW. Dank der Flexibilität und Leistung sei Nant de Drance dafür prädestiniert, die Energiewende auch in EU-Ländern zu erleichtern und unterstützen, heißt es aus dem Unternehmen.

Das Problem: Die Schweizer Kraftwerke haben nur begrenzten Zugang zum attraktiven Strommarkt der EU. Dadurch entgehen ihnen die hohen Preise, die dort gezahlt werden, wenn während Lastspitzen wenig Wind weht und/ oder die Sonne nicht scheint.

Stromabkommen würde vielen Seiten helfen

Derzeit liegen die Verhandlungen für ein Stromabkommen zwischen Schweiz und EU auf Eis. Dabei würde eine Einigung nicht nur den Betreibern bessere Vermarktungschancen bieten. Die Schweizer Stromspeicher könnten mit ihrem flexiblen Angebot auch dazu beitragen, die Spotmarkt- und Regelenergiepreise in EU-Ländern zu senken und die Versorgungssicherheit zu erhöhen.

Nicht zuletzt würden wohl auch die Schweizer Endkunden profitieren, denn die Wasserkraft wird – ähnlich wie bei der EEG-Umlage in Deutschland – aus Abgaben auf den Verbraucherpreis subventioniert. Die Förderung können die Eigner der Betriebsgesellschaften, meist mehrere Energieunternehmen, beantragen, wenn sie Strom aus Wasserkraft unter den Gestehungskosten am Markt absetzen mussten. Dies traf laut Bundesamt für Energie 2020 für fast jede zweite Kilowattstunde der Landeserzeugung aus Wasserkraft zu.

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