Brasilien wird beim Ausbau der Erneuerbaren Energien zukünftig in neue Dimensionen vorstoßen. Denn im Januar wurde ein Erlass verabschiedet, der den rechtlichen Rahmen für die Entwicklung der Offshore-Windenergie festlegt. Der brasilianische Windenergieverband ABEEólica bezeichnete den Erlass als „entscheidenden Fortschritt“ für den Sektor. Noch in diesem Jahr könnte die erste Auktion für Offshore-Windparks stattfinden.
Brasilien hat bereits in mehrfacher Hinsicht seinen Pioniergeist im Bereich der Erneuerbaren unter Beweis gestellt: Es gehörte zu den ersten Staaten, die Auktionsverfahren für die Entwicklung von Erneuerbaren einführten. Bereits im Jahr 2004 wurde ein Gesetz dazu verabschiedet.
Die erste alleinige Auktion für Onshore-Wind wurde im Jahr 2009 durchgeführt. Das Ergebnis war ein sprunghafter Anstieg der installierten Leistung von 2,2 Gigawatt (GW) im Jahr 2013 auf 17,2 GW im Jahr 2020. Im vergangenen Jahr überschritt die Kapazität sogar die 20-GW-Marke. Damit besitzt das Land die mit Abstand höchste Leistung in Südamerika und gehört zu den achtgrößten Onshore-Märkten weltweit.
Die brasilianische Geschichte der Erneuerbaren Energien weist jedoch noch weitere bemerkenswerte Charakteristika auf: Die Stromerzeugung ist die siebtgrößte der Welt – gleichzeitig ist sie eine der grünsten. Denn ein Großteil wird durch Wasserkraft abgedeckt. Wasserkraft machte 64 Prozent der insgesamt 619,1 Terawattstunden (TWh) aus, die das Land im Jahr 2020 erzeugte. Insgesamt verfügt Brasilien über eine installierte Leistung der Wasserkraft von 109,3 GW – mehr als die USA und nach China die zweitgrößte der Welt.
Damit werden zwar große Mengen grünen Stroms produziert, jedoch bringt diese Abhängigkeit von der Wasserkraft auch ganz eigene Herausforderungen mit sich. Beispielsweise sanken durch eine schwere Dürre im vergangenen Jahr die Wasserstände in den Reservoirs stark. Dadurch war Brasilien gezwungen auf die Stromerzeugung durch Erdgas zurückzugreifen.
Darüber hinaus drohen verändernde Klimamuster die Niederschläge im Nordosten, in der Mitte und im Südwesten des Landes zu verringern. Gleichzeitig könnten sie im Norden, im mittleren Westen und im Süden Brasiliens ansteigen.
Neben einer erhöhten Verdunstung infolge der steigenden Temperaturen, könnten die veränderten Niederschlagsmuster auch dazu führen, dass viele der Wasserkraftwerke im Land nicht mehr ausreichend genutzt werden können. Prognosen zum Klimawandel (Link in Englisch) zeigen ein zunehmendes Wasserdefizit in fast ganz Brasilien.
Brasilien ist außerdem der weltweit zweitgrößte Produzent von Biokraftstoffen und verwendet bereits seit 1931 Ethanol in seinem Kraftstoffmix. Jedoch variierte die Nutzung des Kraftstoffes – sie war stark abhängig vom Preis und der Verfügbarkeit von Öl sowie der Nachfrage nach Zucker. Denn Brasilien gewinnt Ethanol hauptsächlich aus Zuckerrohr.
Ab 1975 erhöhte Brasilien den Ethanolanteil im Benzin und begann gleichzeitig mit der Umstellung seiner Fahrzeuge auf einen 100-prozentigen Ethanolverbrauch. Die ersten komplett mit Ethanol betriebenen Autos wurden 1979 hergestellt.
Das dafür benötigte Zuckerrohr wird in Brasilien zweimal im Jahr geerntet. Die bei der Ernte anfallenden Rückstände, die sogenannte Bagasse, kann als Biomasse verbrannt werden. Ein weiteres Nebenprodukt bei der Ethanolherstellung ist Vinasse. Diese wurde auch in anaeroben Vergärungsanlagen zur Erzeugung von Biomethan verwendet. Im Jahr 2020 erzeugte Brasilien durch Biomasse fast so viel Strom wie durch Gaskraftwerke, wobei beide ungefähr auf dem gleichen Level wie Windkraft lagen.
Insgesamt machen Biokraftstoffe etwa 25 Prozent der Verkehrskraftstoffe (Link in Englisch) im Land aus – ein im internationalen Vergleich außergewöhnlich hoher Anteil, der noch weiter ansteigt. Bioenergie macht außerdem mehr als 50 Prozent der Wärmeversorgung aus, während Wind- und Solarenergie den ohnehin schon hohen Anteil der erneuerbaren Stromerzeugung aus Wasserkraft noch verstärken.
Bisher blieb eine große erneuerbare Energieressource jedoch ungenutzt – die Offshore-Windkraft. Diese Ressource will Brasilien nun erschließen. Dabei hat das Energy Research Office (EPE) eine führende Rolle bei der Förderung der Offshore-Windenergie übernommen. Das Institut hat die Ressourcen des Landes erfasst und kartiert. In der Folge hat EPE die Offshore-Windenergie in Brasiliens möglichen zukünftigen Energiemix einbezogen.
Die Ergebnisse finden weltweit Beachtung: Das EPE schätzt, dass Brasiliens lange Küstenlinie ein technisches Potenzial für etwa 700 GW bietet. Und zwar für fest-installierte Anlagen, die in bis zu 50 Meter Wassertiefe errichtet werden können. Diese Schätzung bezieht sich auf Windgeschwindigkeiten von über sieben Meter pro Sekunde (m/s) in einer Höhe von 100 Metern über dem Meeresspiegel. Obwohl es viele Standorte mit einem hohen Potenzial im Land gibt, befinden sich die besten Standorte im Nordosten Brasilien – auf diese Region entfällt fast die Hälfte des technischen Potenzials.
Bis Januar 2022 befanden sich sechs Offshore-Projekte in vorläufigen Genehmigungsverfahren durch das brasilianische Institut für Umwelt und erneuerbare natürliche Ressourcen (Ibama). Diese Umweltgenehmigungen umfassen in Brasilien auch geplante Übertragungsleitungen in das nationale Stromnetz. Diese können sowohl umfangreiche Onshore- als auch Offshore-Abschnitte umfassen.
Und bis zum Juli des vergangenen Jahres beantragten insgesamt gerade einmal sieben Projekte mit einer Gesamtleistung von 15,2 GW eine Umweltgenehmigung. Diese Zahl hat sich erheblich erhöht. Aktuell werden fast 50 Projekte mit mehr als 80 GW von der Ibama geprüft. Das ist ein Vielfaches der Leistung, die das ursprüngliche Ziel der Regierung (von 16 GW bis 2050) vorsah.
Obwohl bisher 33 Offshore-Windgebiete ausgewiesen wurden, ist noch kein Windpark in Betrieb. Die große Anzahl der Anträge führte zu dem Problem, dass sich viele Projekte überschneiden. Darüber hinaus muss die Regierung noch viele der Regeln und Vorschriften für die Entwicklung festlegen. Auch der Erlass aus dem Januar wird voraussichtlich erst in diesem Juni in Kraft treten.
Mit den hohen Leistungsmerkmalen der Offshore-Windenergie, den sinkenden Kosten und einem klareren Rechtsrahmen könnte Brasilien in den nächsten zehn Jahren die Grundlagen für einen riesigen neuen Erneuerbaren-Sektor schaffen. Dieser wäre in der Lage, den Bedarf seiner energiehungrigen Küstenregionen zu decken. Dabei könnte die Offshore-Windenergie die Wasserkraft sowohl unterstützen als auch ergänzen und damit gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen Brasiliens leisten.