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„Alles, was wir jetzt bauen, muss und wird H2-ready sein“
OGE-Netzexperte spricht im Interview über aktuelle Herausforderungen für Gasnetzbetreiber

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wirkt sich massiv auf die Energieversorgung in Europa aus. Das betrifft insbesondere den Energieträger Erdgas: Zuletzt stammte fast die Hälfte der EU-Erdgasimporte aus Russland. Um diese Abhängigkeit zu verringern, suchen viele Länder aktuell nach Alternativen. Deutschland plant zum Beispiel, verflüssigtes Erdgas (LNG) aus Übersee zu beziehen. Dazu sollen bereits im Winter 2022/2023 Spezialschiffe vor der Küste vor Anker gehen, die LNG ins Netz einspeisen können (der en:former berichtete).

Dadurch käme es zu einer Verlagerung im Gasnetz. In den Pipelines würde weniger Gas von Versorgern aus dem Osten zu Verbrauchern im Westen fließen, dafür würde sich die Einspeisung im Norden deutlich erhöhen. Experten sprechen von einer Flussumkehr. Solche Veränderungen stellen die Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) vor Herausforderungen. Denn sie müssen trotz der veränderten Marktlage sicherstellen, dass die benötigten Mengen bei den Verbrauchern ankommen.

Dr. Heiner Volker Temming ist Teamleiter Netzplanung bei der Open Grid Europe GmbH (OGE), Deutschlands größtem FNB, und hat mit dem en:former darüber gesprochen, wie Betreiber mit der Situation umgehen:

Herr Dr. Temming, wie hat sich die Einspeisung in den vergangenen Monaten entwickelt?

Dr. Heiner Volker Temming

Seit Beginn des Krieges kommt weniger Gas aus Russland. Dafür sind unter anderem die Mengen aus Norwegen stark und die aus Belgien – dort gibt es ein wichtiges LNG-Terminal in Zeebrügge und über den Interconnector eine Verbindung nach Großbritannien – sehr stark angestiegen. Bereits jetzt fließt weniger nach Frankreich. Dafür ist absehbar, dass künftig größere Mengen an Länder in Osteuropa geliefert werden müssen, die bis dato stark von russischem Gas abhängig sind.

Schon bald sollen große Mengen aus LNG-Terminals an der deutschen Küste dazukommen. Was bedeutet das für das Gasnetz?

Antwort

Wir erleben gerade, dass sich viele Grundbedingungen sehr schnell ändern. Im Prinzip ‚dreht‘ unser Netz um 90 Grad, die Einspeisungen erfolgen hauptsächlich aus Norden und Westen statt wie bisher aus dem Osten und Norden. Darauf müssen wir als Netzbetreiber reagieren. Dazu gehört, dass wir überlegen müssen, wo künftig mehr und wo weniger Kapazitäten benötigt werden.

Ist das aktuelle Gasnetz überhaupt für diese Veränderungen ausgelegt?

Antwort

Grundsätzlich ist das deutsche Gasnetz sehr gut ausgebaut und unsere Leitungen können inzwischen alle bidirektional betrieben werden, das heißt, Gas kann in beide Richtungen fließen. Es geht also vor allem um Logistik, also darum, wie die neuen Quellen integriert werden. Hier müssen wir Szenarien entwickeln, wie das Gas zum Abnehmer kommt. Daran arbeiten wir in enger Abstimmung mit den anderen Fernleitungsnetzbetreibern und den zuständigen Behörden.

Ein Prozess, den Sie in der Netzentwicklungsplanung regelmäßig durchlaufen. Was ist dieses Mal anders?

Antwort

Aktuell ist der Aufwand deutlich höher. Wir müssen viel mehr und sehr unterschiedliche Fälle berücksichtigen. Außerdem macht es die dynamische Entwicklung schwieriger, planbare Größen für unsere Modellierung zu ermitteln. Denn wir müssen auf der einen Seite natürlich die Versorgungssicherheit gewährleisten, auf der anderen Seite wollen wir aber keine neuen Kapazitäten aufbauen, die am Ende vielleicht gar nicht benötigt werden.

Welche Möglichkeiten gibt es neben dem Netzausbau?

Antwort

Es gibt noch Mechanismen, die wir bereits nutzen und die für den Übergang wirkungsvoll sind. Wir haben zum Beispiel den Kontakt zu anderen Fernleitungsnetzbetreibern, auch im Ausland, intensiviert. So können wir schauen, wo im Netz verfügbare Kapazitäten sind und diese nutzen. Außerdem arbeiten wir mit anderen Unternehmen und den zuständigen Behörden daran, um die Möglichkeiten zur Nutzung der Gasspeicher als „Puffer“ zu optimieren. Hierdurch können in der Übergangszeit wirkungsvoll Engpässe im Abtransport vermieden werden. Das ist logistisch zwar ein ziemlich hoher Aufwand, aber nicht unmöglich.

Bei der Integration von LNG-Terminals kommt man aber nicht um Ausbauten herum, oder?

Antwort

Das kommt darauf an, ob das Terminal eine Hauptroute trifft. OGE ist beispielsweise mit der Anbindung von Spezialschiffen beauftragt, um in Wilhelmshaven LNG anzulanden. Weil dort bisher keine Pipeline verläuft, bauen wir die Wilhelmshavener Anbindungsleitung (WAL). Sie wird das Gas rund 30 Kilometer bis nach Etzel leiten, wo sie in der Ferngasleitung Netra eingebunden wird.

Die WAL soll Ende 2022 bereits fertiggestellt werden – das ist rekordverdächtig. Doch auch, wenn es aktuell um die Aufrechterhaltung der Versorgungsicherheit geht: Besteht nicht die Gefahr, dass wir die Erdgasleitung in ein paar Jahren – im Zuge der Energiewende – nicht mehr brauchen?

Antwort

Auf keinen Fall! Auch wenn der Druck gerade hoch ist und Projekte deutlich schneller umgesetzt werden, als das unter normalen Umständen der Fall ist: Die schnelle, einfache Lösung darf es nicht sein. Alles, was wir jetzt bauen, muss und wird zukunftsfähig – und das heißt hier H2-ready – sein. Wir wollen die Zeit nach dem Erdgas mitgestalten. Ein Beispiel dafür ist das Projekt H2ercules, das OGE zusammen mit RWE plant und ab 2026 realisieren möchte.

Dabei werden Elektrolysekapazitäten in Norddeutschland geschaffen und über Pipelines an industrielle Großverbraucher im Süden und Westen angeschlossen. Kann die aktuelle Verlagerung im Gasnetz dazu beitragen, direkt auch ein wasserstofffähiges Nord-Süd-Netz zu schaffen?

Antwort

Kurzfristig scheinen sich die aktuellen Entwicklungen eher blockierend auf die Planung eines Wasserstoffnetzes auszuwirken, denn sie binden viele Ressourcen. Dem ist aber nicht so, denn mittel- und langfristig sehe ich gute Chancen, dass wir über jetzt entstehende Leitungen in Zukunft Wasserstoff transportieren können, der zum Beispiel mit Strom aus Offshore-Windkraft erzeugt wird.

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