Ein Energieträger ist Haushaltsmüll schon heute: Laut Umweltbundesamt nutzen ihn alle in Deutschland betriebenen Müllverbrennungsanlagen zur Erzeugung von Strom, Wärme oder beidem. Der energetische Gesamt-Nutzungsgrad liegt im Durchschnitt bei circa 50 Prozent. Dabei emittieren die Kraftwerke rund fünf Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.
Statt den Restmüll zu verfeuern, könnte man ihn auch nahezu vollständig recyceln und die enthaltenen Rohstoffe zurückgewinnen. Versuchsanlagen, die das können, existieren bereits: Darin lösen sich Siedlungsabfälle durch Vergasung sozusagen in Luft auf. Genauer gesagt: Sie werden in verschiedene Gasgemische zerlegt, aus denen dann – je nach Verfahren – unterschiedliche Rohstoffe isoliert werden können.
Ähnliche Verfahren sind bereits seit etwa 100 Jahren bekannt. Nun aber rückt die Gewinnung von Wasserstoff aus Müll zunehmend in den Fokus der Investoren. Kein Wunder also, dass Unternehmen, die sich am Aufbau der Wasserstoffwirtschaft beteiligen, sich nun für diese Art der Kreislaufwirtschaft bei der Müllentsorgung interessieren.
Eines davon ist RWE. Mit dem Projekt FUREC (Fuse Reuse Recycle) will der Essener Energiekonzern eine Anlage in den Niederlanden bauen, die pro Jahr die Siedlungsabfälle von rund zwei Millionen Menschen recycelt. Aus 700.000 Tonnen Müll sollen rund 54.000 Tonnen Wasserstoff produziert werden.
Wasserstoff ist schon lange ein begehrter Rohstoff, der als Grundstoff in der chemischen Industrie eingesetzt wird. Nun wird er im Rahmen der Energiewende zunehmend auch als Energieträger relevant. Bisher wird H2 allerdings fast ausschließlich aus fossilen Brennstoffen – in erster Linie Erdgas – gewonnen. Künftig soll sich das ändern und Wasserstoff verstärkt klimaneutral hergestellt werden.
Nachhaltig gewonnener Wasserstoff kann als Energieträger helfen, die Treibhausgasemissionen zu senken. Insbesondere im Transportsektor gilt er als wirtschaftlichere und vor allem umsetzbarere Alternative zu CCUS-Technologien. Dabei wird entstehendes CO2 einfangen und dauerhaft am Eindringen in die Atmosphäre gehindert. Auch in der Stahlindustrie kann Wasserstoff Kohlenstoff als Reduktionsmittel ersetzen, wodurch – vereinfacht gesagt – Wasserdampf anstelle von CO2 entsteht.
Grüner Wasserstoff gilt dabei häufig als einzige Option der Dekarbonisierung. Verschiedene Studien gehen daher davon aus, dass der weltweite H2-Bedarf in den kommenden 30 Jahren massiv ansteigen wird.
Die gewonnenen Rohstoffe könnten an Kunden im Chemiepark Chemelot verkauft werden, in dem RWE auch die FUREC-Anlage plant. Denkbar sei zudem eine Belieferung von Industriekunden im Ruhrgebiet oder Rotterdam, teilt RWE mit. Der Standort liegt in der Region Süd-Limburg unweit der deutschen Grenze auf der Höhe von Köln.
Da Siedlungsabfälle zum größten Teil aus organischen Stoffen bestehen, fallen neben dem Wasserstoff auch große Mengen CO2 an. Dieses sollen ebenfalls eingefangen und als wichtiger Grundstoff der chemischen Industrie vermarktet werden. Laut Bundesforschungsministerium nutzt die chemische Industrie in Deutschland jährlich rund 21 Millionen Tonnen Kohlendioxid, etwa zur Produktion von Kunststoffen. Rund 90 Prozent davon stammen aus fossilen Quellen.
Insgesamt rechnet RWE damit, dass der Industriepark Chemelot seinen jährlichen Erdgasverbrauch mithilfe der FUREC-Anlage um mehr als 280 Millionen Kubikmeter senken kann. So viel Gas verbrauchen die 1,1 Millionen Limburger Einwohner etwa in einem halben Jahr. Die CO2-Ersparnis beziffert RWE mit 400.000 Tonnen. Das entspricht laut der international Energieagentur (IEA) dem durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausstoß von rund 50.000 Bundesbürgern oder Niederländern.
Mitte Januar 2023 hat der EU-Innovationsfond, der mit Erlösen aus dem CO2-Zertifikatehandel finanziert wird, Fördermittel in Höhe von 108 Millionen Euro für das FUREC-Projekt bewilligt. Insgesamt rechnet RWE mit Kosten von mehr als 600 Millionen Euro.
Angespornt durch die Förderung will der Energiekonzern nun die nötigen Genehmigungsverfahren sowie Vorverträge mit möglichen Anlagenbauern, Mülllieferanten und Abnehmern für die gewonnenen Rohstoffe vorantreiben. Eine endgültige Investitionsentscheidung soll 2024 fallen.
RWE würde mit FUREC sein Engagement beim Aufbau einer H2-Wirtschaft ausweiten. Genau das ist auch Ziel der Beteiligung am Joint Venture GetH2 (Link in Englisch), das grenzüberschreitende Projekte für Gewinnung, Transport und Nutzung von nachhaltigem Wasserstoff beinhaltet.
Bisher wird grüner Wasserstoff meist per Elektrolyse gewonnen. Dabei können jedoch nur etwa Dreiviertel der eingesetzten Energie als Wasserstoff gespeichert werden. In großem Umfang wird Elektrolyse also erst klimafreundlich, wenn ausreichend Erneuerbare zur Verfügung stehen, um den direkten Strombedarf zu decken, der einen deutlich höheren Wirkungsgrad hat.
Die Vergasung von Müll benötigt vergleichsweise wenig Strom, weil ein Großteil der benötigten Energie aus dem Müll selbst stammt. Für sich genommen ist das Verfahren zwar nicht unbedingt preiswerter. Rechnet man jedoch den Erlös für die Müllentsorgung gegen, glauben Experten, könnte Wasserstoff aus Abfällen mittelfristig zu konkurrenzfähigen Preisen angeboten werden.