Frankreich braucht in Zukunft deutlich mehr Strom. Bis 2035 wird der Stromverbrauch Frankreichs auf 580 bis 640 TWh pro Jahr ansteigen, was verglichen mit 460 TWh heute einem Anstieg von etwa 26 bis 29 Prozent entspricht. Die Prognosen stammen vom aktualisierten Energieausblick für 2030 bis 2035 (Link in Französisch) des französischen Übertragungsnetzbetreibers (ÜNB) Réseau de Transport d’Electricité (RTE).
Die Prognosen spiegeln ein Szenario wider, in welchem das Doppelziel der Dekarbonisierung und Reindustrialisierung bis 2035 erreicht wird. Ein zweites Szenario geht von einem langsameren Anstieg des Stromverbrauchs aus, sieht jedoch das Erreichen der beiden Ziele drei bis fünf Jahre später vor.
Laut der Studie steigt die Stromnachfrage vor allem wegen einer viel stärkeren Elektrifizierung der Wirtschaft, insbesondere im Verkehr und in der Industrie. Außerdem gehen die Experten in dem Energieausblick zum einen davon aus, dass größere Anstrengungen unternommen werden, um den Strom effizienter zu nutzen. Zum anderen sehen sie vor, dass die Bemühungen um Energieeinsparungen seit dem Angriffs Russlands in der Ukraine fortgesetzt werden.
Nach Schätzungen des Übertragungsnetzbetreibers könnten durch Verbesserungen der Energieeffizienz 75 bis 100 TWh pro Jahr eingespart werden. Durch die Fortsetzung der Energieeinsparungen wären zusätzliche 25 TWh pro Jahr möglich. Laut RTE stellt das Ziel der Steigerung der Energieeffizienz eine „echte Herausforderung“ dar, da dafür zahlreiche Gebäude thermisch saniert werden müssten.
Eine zentrale Gemeinsamkeit aller Szenarien im Energieausblick in der Studie des Übertragungsnetzbetreibers RTE: die Ziele lassen sich auch nur erreichen, indem der Ausbau der Erneuerbaren zur Erzeugung von Grünstrom signifikant beschleunigt wird. Jegliches Versäumnis, beispielsweise in den Bereichen Solarenergie, Onshore- oder der Offshore-Windkraft, würde noch größere Anstrengungen an anderer Stelle erfordern, so RTE.
Und wie sieht die aktuelle Entwicklung aus? Frankreichs Solarkapazität stieg im Jahr 2022 stark um 17,5 Prozent auf 17,4 Gigawatt (GW), während die installierte Windkapazität des Landes ein Wachstum um 12,7 Prozent auf 21,1 GW verzeichnete.
RTE schätzt, dass Frankreich bis 2035 mindestens 270 TWh Strom aus Erneuerbaren benötigt – im Idealfall könnte es sogar bis zu 320 TWh produzieren. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 waren es 112,6 TWh, einschließlich Wasserkraft (44,6 TWh).
Die Stromerzeugung aus Wasserkraft lag im vergangenen Jahr aufgrund hoher Temperaturen und mangelnder Niederschläge auf einem Rekordtief seit Jahrzehnten. Selbst wenn das Niveau aber wieder steigen sollte, dürfte wohl der größte Teil des empfohlenen Ausbaus auf Erneuerbare Energien wie Wind- und Solarenergie entfallen. Denn Frankreich hat sein Wasserkraftpotenzial bereits weitgehend ausgeschöpft.
Schätzungen über das noch verfügbare Potenzial für Wasserkraft zufolge könnten noch zusätzliche 91 TWh ausgebaut (Link in Englisch) werden. Allerdings hauptsächlich durch kleine Wasserkraftwerke sowie die Renovierung bestehender Anlagen.
Insgesamt geht RTE davon aus, dass sich die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien bis 2035 mehr als verdreifachen muss.
Die Kernenergie spielt ebenfalls eine wichtige Rolle in der Stromversorgung, wird aber bis 2035 keine großen Kapazitätszuwächse verzeichnen. Laut RTE besteht die Herausforderung in diesem Sektor zunächst darin, das frühere Verfügbarkeits-Niveau wieder zu erreichen. Während für 2035 eine Stromerzeugung aus Kernkraft von 400 TWh angestrebt wird, gibt RTE als „vorsichtige und erreichbare Hypothese“ 360 TWh jährlich bis 2030-35 an.
Im Jahr 2022 erzeugte Frankreich 295 TWh aus Kernenergie – der niedrigste Stand seit 1988. Dies hängt damit zusammen, dass die Reaktoren wegen Sicherheits- und Modernisierungsmaßnahmen vorübergehend abgeschaltet wurden.
In der Zwischenzeit soll durch den Einsatz von Systemflexibilität – zum Beispiel eine verbesserte Nachfragesteuerung und Batterien – eine Sicherheitsmarge von etwa 5 GW im Systembetrieb gewährleistet werden.
Angesichts der Notwendigkeit eines raschen und tiefgreifenden Ausbaus der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien und der Forderung nach einer umfassenderen Elektrifizierung des Landes schätzt RTE, dass sich das Investitionsniveau im Stromsektor bis 2035 verdreifachen muss (Link in Englisch). Allerdings stünden dank den Einsparungen durch geringere Importe fossiler Brennstoffe bis zu 190 Milliarden US-Dollar zur Verfügung.
Zudem dürften trotz der zusätzlichen Ausgaben die langfristigen Kosten für die Stromerzeugung nach Ansicht des Übertragungsnetzbetreibers nicht steigen, sondern auf einem ähnlichen Niveau wie heute bleiben.
Bildnachweis: © RWE, Stephane Adam