Indien ist der Treiber des globalen Energieverbrauchs, die Erneuerbaren erobern die Welt, die Hoch-Zeit der Kohle ist vorbei, in den USA sprudeln die Öl-Quellen – das Wichtigste aus dem aktuellen „World Energy Outlook“ der Internationalen Energieagentur.
Auf den ersten Blick überrascht das, was die Experten der Internationalen Energieagentur (IEA) in ihrem jüngsten Ausblick verkünden, nicht wirklich: Die weltweite Nachfrage nach Energie wird weiter wachsen – und zwar um satte 30 Prozent bis zum Jahr 2040. Um diese Zahl etwas greifbarer zu machen: Das entspricht einer Erhöhung des heutigen globalen Verbrauchs um ein weiteres China UND ein weiteres Indien.
Die Haupttreiber dieser Entwicklung sind jedoch nicht die üblichen Verdächtigen aus der Volksrepublik. Vielmehr entfällt laut der Prognose der IEA, die 1974 in Folge des Ölpreisschocks von einer Reihe Industrienationen gegründete wurde, fast 30 Prozent des Nachfragewachstums auf Indien. Der Energieverbrauch steigt dort doppelt so schnell wie in China.
China ist ein entscheidender Motor der Transformation hin zu einer CO2-armen Wirtschaft. IEA
Vier fundamentale Veränderungen bilden den Hintergrund des so genannten „World Energy Outlook“: die rasch wachsende Bedeutung der erneuerbaren Energien und deren sinkende Kosten, die wachsende Bedeutung der Elektrizität im Energiemix, der Wandel Chinas hin zur Dienstleistungsgesellschaft und zur sauberen Energieerzeugung sowie der Aufstieg der USA zum weltgrößten Öl- und Gaslieferanten. Der Outlook, der zuweilen auch „Bibel der Energiewirtschaft“ genannt wird, untersucht, wie sich diese Entwicklungen einzeln und im Zusammenspiel miteinander bis zum Jahr 2040 auswirken. Zu einem Zeitpunkt, wenn voraussichtlich mehr als neun Milliarden Menschen auf der Erde leben.
Das Mehr an Energie, das diese Menschen verbrauchen, stammt vor allem aus einer Kraft: der Elektrizität. Diese wird 40 Prozent des weltweiten Verbrauchsanstiegs stemmen. Das entspricht in etwa dem, was Öl während der letzten 25 Jahre abgedeckt hat. Elektromotoren, vernetzte IT-Geräte, Klimaanlagen – all das will betrieben werden. „Der Stromverbrauch für die Raumkühlung ist in China 2040 höher als der Gesamtstromverbrauch in Japan heute“, schreiben die Experten. Zudem steigt die Zahl der Stromkunden durch die Ausweitung des Zugangs zu Elektrizität um 45 Millionen Menschen. Und das selbstverständlich jährlich. Erste Anzeichen dieser Entwicklung sind bereits sichtbar: 2016 waren die Investitionen im Elektrizitätssektor erstmals höher als die in Öl und Gas.
Woher kommt der ganze Strom? Die Antwort ist einfach: neben Erdgas vor allem aus Wind, Sonne und Wasser. 40 Prozent des Anstiegs des Primärenergieverbrauchs werden aus den erneuerbaren Energien gedeckt. Entscheidend sei, dass vor allem Solarenergie für viele Staaten zur kostengünstigsten Energiequelle avanciere und in Regionen wie Südostasien oder Afrika ganzen Bevölkerungsgruppen den Zugang zu Energie überhaupt erst ermögliche. Strom aus Wind, Sonne und Wasser gewinnt: Zwei Drittel der gesamten weltweiten Investitionen in Stromerzeugungsanlagen fließen dorthin, und das trotz sinkender Kosten für ihren. Die Kosten für neue Photovoltaikanlagen etwa sind seit 2010 um 70 Prozent gesunken.
Der Anteil von Ökostrom an der Gesamtstromerzeugung beträgt im Zieljahr derzeit noch kaum vorstellbare 40 Prozent. Und das nicht in Deutschland oder Europa, sondern weltweit.
Diese explosionsartige Öko-Expansion, die die Energieagentur in der Vergangenheit regelmäßig unterschätzte, markiert auch absehbar das Ende der Boom-Jahre der Kohle. Seit 2000 sind die Kapazitäten zur Kohleverstromung um fast 900 Gigawatt (GW) gestiegen. Die IEA ist sich sicher: Von heute bis 2040 kommen „nur“ noch 400 GW hinzu. In einem Land wie Indien wird sich der Anteil der Kohle am Stromerzeugungsmix von aktuell drei Vierteln auf unter die Hälfte reduzieren.
China ist ein Treiber dieses Wandels, wenn nicht der wichtigste. „Wenn sich China verändert, ändert sich alles“ – unter diese Überschrift stellt die Energieagentur eines der zentralen Kapitel ihres Berichts. Der chinesische Präsident hat eine „Energierevolution“ und den „Kampf gegen die Umweltverschmutzung“ angemahnt. Zusammen mit dem Übergang zu einem stärker dienstleistungsorientierten Wirtschaftsmodell schlägt der Energiesektor eine neue Richtung ein. Wer genau hinguckt, sieht das schon: Der Energieverbrauch in der Volksrepublik wächst jährlich nicht mehr um acht Prozent wie früher, sondern nur noch um zwei. Bald wird sich selbst diese Zahl halbieren.
Heute werden fast zwei Drittel des Energiebedarfs in China durch Kohlekraftwerke gedeckt. In den kommenden Jahren wird dieser Anteil nicht nur deutlich schrumpfen, sondern auch von den Erneuerbaren überholt werden. Die IEA betont: „China ist ein entscheidender Motor der Transformation hin zu einer CO2-armen Wirtschaft.“
Während sich die Volksrepublik also zu grünen Energieformen hinwendet, gehen die Impulse in den USA vom „schwarzen Gold“ aus. Allein die Schieferöl-Förderung steigert ihre Produktion zwischen 2010 und 2025 um acht Millionen Barrel pro Tag. Dies entspräche dem stärksten Zuwachs an Ölförderung, der je in der Geschichte der Ölmärkte von einem einzelnen Land erreicht wurde.
In Bezug auf das weltweite Öl-Angebot macht die Förderung in den Vereinigten Staaten bis 2025 80 Prozent des Anstiegs aus. Die Verbraucher werden es ihnen danken – die sprudelnden US-Quellen halten den Ölpreis in Schach. So könnte es sein, dass die aktuellen Notierungen von 50 bis 70 Dollar je Barrel bis 2040 Bestand haben werden. Dies bedeutet natürlich auch, dass die IEA davon ausgeht, dass Konsumenten rund um die Welt (noch) nicht bereit sind, sich vom Öl zu verabschieden. Das Verbrauchswachstum schwächt sich vom Jahr 2025 an zwar ab, die Nachfrage nimmt aber weiter zu – nur eben nicht mehr ganz so stark. Daher wird auch in gut 20 Jahren noch die Mehrheit der dann zwei Milliarden Pkw auf der Welt mit Benzin oder Diesel fahren. Strom packen geschätzte 900 Millionen Wagen in den Tank.
Für das Klima halten die IEA-Experten also keine wirklich guten Nachrichten parat. Die weltweiten energiebedingten CO2-Emissionen nehmen bis 2040 leicht zu. „Diese Entwicklung reicht bei weitem nicht aus, um die schwerwiegenden Folgen des Klimawandels zu vermeiden“, stellen die Fachleute fest. Einziger Hoffnungsfunke: Im Vergleich zum letzten Report von 2016 liegt der Emissionsausstoß in der neuesten Version des World Energy Outlooks 600 Millionen Tonnen niedriger.
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