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Die Wärmewende – eine Frage von Gas oder Strom
Heiz- und Kühlsysteme verbrauchen Unmengen an Energie. Erneuerbare Energieträger spielen dabei bisher kaum eine Rolle

Heiz- und Kühlprozesse sind extrem energieintensiv: Um genug Energie auf die Pedale zu bringen, um einen Liter kaltes Leitungswasser zum Kochen zu bringen, müssen Tour-de-France-Sieger wie Geraint Thomas oder Chris Froome 15 Minuten lang „Vollgas“ geben. Ein normal trainierter Mensch müsste dafür eine ganze Stunde strampeln. Kein Wunder also, dass viele Herdplatten, Wasserkocher und kleine Klimaanlagen für einzelne Räume oft eine höhere Nennleistung haben als manche Motorroller, die mit ihren 1600 Watt, gut 2 PS, auf 45 Stundenkilometer beschleunigen.

Die physikalischen Gesetze lassen sich natürlich nicht ändern. Trotzdem birgt der Wärmemarkt riesige Potenziale zum Einsparen von Treibhausgasemissionen: bessere Gebäudeisolierung, effizientere Geräte und die Nutzung regenerativer Energiequellen sind die Standardlösung der Energiewende. Doch so einfach ist die „Wärmewende“ nicht.

Kaum jemand heizt mit Strom

Lassen sich Klimaanlagen – genau wie Haushaltsgeräte, die gesamte Informationstechnologie und viele Industrieanlagen – ganz einfach mit erneuerbarem Strom betreiben, werden Heizungen im Gegensatz dazu nur in Ausnahmen elektrisch betrieben.

In Deutschland werden laut Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH) rund 60 Prozent der zentralen Wärmeerzeuger mit Gas befeuert und weitere 30 Prozent mit Öl. In Großbritannien werden laut einer Studie des „Oxford Institute for Energy Studies“ (OIES) 86 Prozent der installierten Heizkapazität – Prozesswärme eingeschlossen – mit Gas befeuert. In den Niederlanden seien es sogar 94 Prozent. Neun von zehn Haushalten verfügen dort über einen Gasboiler für Warmwasser und Heizung.

In anderen Ländern der Europäischen Union haben Fernwärme, Strom oder Biomasse zwar höhere Anteile an der Wärmeversorgung. Insgesamt werden EU-weit aber nur 12 Prozent der Wärmeenergie aus Strom gewonnen. So einfach wie bei Kaffeemaschinen, Rechenzentren oder gar elektrischen Metallschmelzverfahren lassen sich die Heizungen also nicht auf emissionsfreien Strom umstellen.

Erst der Strom, dann die Wärme

Genau hierin sieht der britische Energieexperte Malcolm Keay vom OIES einen der Hauptgründe dafür, dass die Klimapolitik der EU und ihrer Mitgliedstaaten bisher vor allem auf den Stromsektor abzielt. In einem Paper über die „Dekarbonisierung“ des Wärmemarktes in Großbritannien schreibt  er: „Die CO2-Reduktion im Stromsektor hat kaum direkten Einfluss auf das Leben der Verbraucher (abgesehen von den Preisen).“ Ganz anders sei das im Wärmesektor, so Keay, umso mehr müsse er reguliert werden, um zur Energiewende beizutragen.

Doch das geschieht bisher kaum. Deutschland agiert bisher vor allem mit überschaubaren finanziellen Anreizen zu energieeffizienterem Bauen. Die Niederlande sind resoluter, dort dürfen seit Juli keine Neubauten mehr mit Gasheizung versehen werden; stattdessen sollen sie mit industrieller Abwärme, Wärmepumpen oder Geothermie beheizt werden. Was aus dem Altbestand werden soll, ist in beiden Ländern genauso offen wie im Vereinigten Königreich.

Elektrische Wärme würde Stromnetze belasten

Um den gesamten Wärmemarkt auf Strombetrieb umzustellen, müssten allein in den vier größten EU-Ländern (Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien) 62 Millionen Gasheizungsanlagen verschrottet werden.

Hinzu kommt: Die in vielen EU-Ländern – darunter Großbritannien, die Niederlande und Deutschland – sehr gut ausgebauten Gasnetze würden nahezu nutzlos. Die ohnehin überlasteten Stromnetze dagegen müssten zusätzlich massiv ausgebaut werden, weil der Wärmemarkt in Europa extrem zyklisch ist.

Im Vereinigten Königreich etwa, rechnet Keay vor, liegt die winterliche Spitzennachfrage nach Wärme – gemessen in Watt – etwa sechs Mal so hoch wie das Jahresmaximum beim Stromverbrauch. Dieser Unterschied würde sich zwar wohl dank Effizienzfortschritten – wie der Verwendung von Wärmepumpen – verringern. Um den Maximalbedarf zu transportieren, schreibt Keay, müssten die Netze dennoch zumindest auf die doppelte Menge Strom ausgerichtet sein – Kapazität, die im Sommerhalbjahr weitgehend ungenutzt bliebe, weil die Klimatisierung von Gebäuden – zumindest im privaten Bereich – in diesen Breiten kaum eine Rolle spiele.

Biogas als „grüne“ Wärme

Letzteres könnte sich zwar relativieren, wenn umpolbare Wärmepumpen verbaut würden, die im Winter heizen und im Sommer kühlen. Dennoch: Allein in Großbritannien würden 23 Millionen Gasboiler überflüssig. Kein Wunder also, dass dort über eine bestimmte Alternative nachgedacht wird: „Green Gas“.

Dabei geht es um „Power-to-X“-Verfahren, bei denen mittels Wind- oder Sonnenstrom synthetische Brennstoffe erzeugt werden. Noch sind sie sehr teuer. Langfristig aber könnte es preisgünstiger, oder zumindest bequemer für die Verbraucher werden, fossile Brennstoffe gegen nachhaltig erzeugte Doppelgänger – synthetisches Methan und Diesel – oder Wasserstoff zu ersetzen.

Könnte. Denn das ist eine der zentralen Fragen: Was kostet weniger – der Umbau der Heizsysteme oder die Erzeugung regenerativer Brennstoffe? Die Beratungsunternehmen Element Energy und E4tech haben in einer Studie mehrere Szenarien mit verschiedenen Technologien durchgerechnet. Demnach kämen die britischen Verbraucher mit Wasserstoff-Heizungen langfristig wahrscheinlich am günstigsten weg.

Die Kosten sind hoch, aber tragbar

Teurer wird das Heizen aber in jedem Fall – je nach dem werde ein britischer Haushalt im Zieljahr 2050 durchschnittlich zwischen 100 und 300 Pfund mehr dafür ausgeben als heute. Allerdings beruhigen die Autoren, würden diese Mehrkosten durch das erwartete Wirtschaftswachstum überkompensiert: „Die Gesamtkosten für Wärme machen dann in allen Szenarien einen deutlich geringeren Anteil des Bruttoinlandsproduktes aus als 2015.“

Auch OIES-Analyst Keay vermutet, dass die Wasserstoff-Lösung langfristig die günstigere Variante wäre. Allerdings, betont er, gelte das zunächst einmal nur für Großbritannien. In Skandinavien oder Deutschland etwa, wo Fernwärme wesentlich verbreiteter ist als auf der Insel, könne das Ergebnis ganz anders aussehen.

Welche Wende der europäische Wärmemarkt also nehmen wird, ist derzeit völlig unklar. Klar ist laut Keay nur, dass die EU und ihre Mitglieder alsbald Gesetze für die Dekarbonisierung des Wärmemarkts in die Wege leiten müssten, wenn sie ihre Klimaziele 2050 erreichen wollen.

Bildnachweis: Dmitry Kalinovsky, shutterstock.com

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