Der deutsche Energiemarkt befindet sich im Umbruch. Vorstellungen zu dessen zukünftiger Gestaltung existieren viele und die Thematik ist komplex. Im Interview mit dem en:former spricht Energiemarktexperte Julius Ecke über Stromimporte und -exporte, Kraftwerkstilllegungen und deren Auswirkungen sowie die Zukunft des deutschen Strommarktes und die Rolle, die neue Technologien und Marktmodelle dabei spielen.
en:former: Immer wieder heißt es, in Deutschland sei es problemlos möglich, weitere Kohlekraftwerke vom Netz zu nehmen. Würden Sie dem zustimmen?
Eine kurzfristige Stilllegung von Kraftwerken würde schnell dazu führen, dass Deutschland nicht mehr in der Lage ist, seine Spitzenlast allein zu decken. Das wäre natürlich riskant, macht es uns doch vom europäischen Ausland abhängig.
Strom wird zunehmend über Ländergrenzen hinweg transportiert. Theoretisch wird die Versorgung dadurch sicherer, weil mehr Quellen zur Verfügung stehen. Laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft werden jedoch die Überkapazitäten an gesicherter Leistung europaweit abnehmen. Ist die Versorgungssicherheit dadurch gefährdet?
Grundsätzlich sind Im- und Exporte energiewirtschaftlich sinnvoll zur Optimierung des Kraftwerkeinsatzes und des Stromhandels. Zu einer Gefahr für die Versorgungssicherheit kann dies jedoch werden, wenn man sich zu stark auf das Vorhandensein von Kraftwerkskapazitäten im Ausland auch zu Spitzenlastzeiten verlässt. Eine zu große Abhängigkeit von Kraftwerken im Ausland, die neben technischen Unwägbarkeiten auch von politischen Einflüssen abhängig sind, sollte daher vermieden werden. Dabei ist in der Tat festzustellen, dass die ehemals vorhandenen Überkapazitäten im europäischen Ausland schwinden, nicht zuletzt durch den Rückgang von Kernenergie- und Kohlekraftwerken auch in verschiedenen Nachbarländern.
Welche Auswirkungen hätte ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung auf den Strompreis?
Wir gehen davon aus, dass der Strompreis für die Endverbraucher, und stärker noch für die deutsche Industrie, in der Größenordnung von bis zu fünf Euro pro Megawattstunde ansteigen würde. Gibt es kalte Winter oder konjunkturbedingt besonders hohen Stromverbrauch, kann es dann deutlich mehr werden.
Welche Wirkung hätte das für das Klima?
Die Erzeugung der stillgelegten Kraftwerke würde durch Gaskraftwerke in Deutschland und den europäischen Kraftwerkspark ersetzt werden. Im Ergebnis würden die Emissionen sinken, langfristig können die Wechselwirkungen des europäischen Emissionshandels diesen Effekt jedoch kompensieren.
In Großbritannien gibt es einen Kapazitätsmarkt. Dort werden Kraftwerksbetreiber dafür bezahlt, dass sie Anlagen verfügbar halten für den Fall, dass sie gebraucht werden. Wäre das auch ein Modell für Deutschland? Müssten dafür wieder neue Kraftwerke gebaut werden?
Bedingt durch den Ausstieg aus der Kernkraft und die rückläufigen Kapazitäten der Kohlekraftwerke sehen wir ab Mitte der 2020er Jahre einen Bedarf für neue Kraftwerke. Wir erwarten daher, dass die Diskussion rund um Mechanismen zur Finanzierung neuer Kraftwerke auch in Deutschland wieder an Fahrt gewinnen wird. Welche Mechanismen sich durchsetzen, dass kann noch nicht beantwortet werden. Kapazitätsmärkte, ähnlich dem britischen Modell, dürften dann eine der zu prüfenden Optionen sein. Alternativ dazu, und aktuell von der Politik bevorzugt, sind auch umfangreiche Kraftwerksreserven eine Option.
Welche Technologien spielen in Zukunft eine Rolle?
Aus heutiger Sicht spielen langfristig, wenn man sich an den politischen Zielen orientiert, nahezu alle Technologien (Gaskraftwerke, KWK, Batteriespeicher, Power-to-Gas) mit ihren jeweiligen Stärken eine wichtige Rolle. Ihre Relevanz entwickelt sich dabei aber in Phasen. Kurz- bis mittelfristig sollte man aber den Beitrag „neuer“ Technologien, insbesondere zur Versorgungssicherheit, dabei nicht überbewerten.
Der Netzausbau kommt langsamer voran als der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Virtuelle Kraftwerke sollen die Stromerzeuger besser vernetzen und ihre Produktionskapazitäten aufeinander abstimmen. Welche Lösungen kann diese Technologie bringen?
Unter dem Begriff „virtuelles Kraftwerk“ werden häufig verschiedene Konzepte verstanden. Eine verbesserte Vermarktung von Erneuerbaren an den Strom- und Regelleistungsmärkten wurde durch die Direktvermarktung weitgehend erreicht. Hierbei kommen bereits „virtuelle Kraftwerke“ erfolgreich zum Einsatz. Durch eine bessere netzbezogene Steuerung von Erneuerbaren können darüber hinaus perspektivisch Beiträge zur Steigerung der Kosteneffizienz und zur Verminderung von Abregelungen geleistet werden, wir sehen bisher aber nur wenig Potenzial zur Vermeidung von Netzausbau.