Neben Wind- und Sonnenkraft könnte Erdgas als Gewinner aus der Klimawende hervorgehen. Das hat mehrere Gründe. Einer davon: Der fossile Brennstoff hat gleich zwei regenerative Doppelgänger.
Tatsächlich ist Erdgas der einzige fossile Energieträger, dem Prognosen eine wachsende Bedeutung bis zum Jahr 2040 in Aussicht stellen. Bis dahin, berechnen zum Beispiel die Ökonomen des britischen Mineralölkonzerns BP, werde sein Anteil am globalen Energiemix von heute 24 auf 26 Prozent steigen. Während Öl und Kohle deutlich an Bedeutung verlören.
Dafür führen die Analysten im BP World Energy Outlook 2018 eine ganze Reihe von Gründen an. Zum einen werde die weltweite Verfügbarkeit stark zunehmen. Denn als Liquefied Natural Gas (LNG), in verflüssigter Form also, nimmt Erdgas sechshundertmal weniger Volumen ein, als im gasförmigen Zustand. Bereits Mitte der 2020er könnten die USA, als dann weltgrößter Produzent, große Mengen ihres Schiefergases als LNG mit Schiffen auch nach Übersee exportieren.
Die großen Treiber am Gasmarkt aber werden – wie in fast allen Bereichen des globalen Energiemarktes – Indien und China sein: „Denn Gas scheint gut zu den Prioritäten der dortigen Politik zu passen“, heißt es im aktuellen World Energy Report des Internationalen Energieagentur IEA. Nicht nur weil es sich sowohl zur Erzeugung von Wärme und Strom wie auch als Fahrzeugkraftstoff eignet. Mit dem vergleichsweise emissionsarmen Energieträger, argumentieren die IEA-Experten, könnten die dortigen Regierungen auch auf weitverbreitete Sorgen über die Luftqualität eingehen.
Eine ähnliche Entwicklung sagt die EU-Kommission für die 28 Mitgliedsländer vorher: Kohle- und Ölverbrauch verlieren deutlich an Bedeutung. Gas hingegen nicht oder kaum. Im Unterschied zur globalen Betrachtung, in der der Verbrauch aller Fossilen in absoluten Zahlen weiterhin steigt, geht der Kohle- und Ölverbrauch in Europa deutlich zurück. Der Gaskonsum aber bleibt laut EU bis 2040 nahezu konstant.
Dazu muss man erklären: Ähnlich wie BP und IEA berechnen die EU-Analysten in ihrem „Benchmark-Szenario“ die Entwicklung der Energiemärkte anhand aktueller Trends. Und die beinhalten nun einmal, dass die meisten Länder ihren Klimazielen hinterherhinken. Eine entschiedenere Klimapolitik dürfte zu einem anderen Ergebnis führen.
Doch selbst dann bliebe abzuwarten, wie schnell der Erdgaskonsum sinkt. Denn unter Klimaaspekten schneidet fossiles Erdgas gegenüber Kohle und Öl deutlich besser ab, weil bei seiner Verbrennung erheblich geringere CO2-Emissionen anfallen.
Gleichwohl müssen fossile Energien die schwankende Leistung von Wind- und Sonnenkraft ausgleichen, um eine lückenlose Versorgung mit Energie zu bezahlbaren Preisen sicherzustellen. Das gilt ganzjährig für die Stromerzeugung und, speziell im Winter, für den Wärmemarkt, auf dem Erdgas der dominierende Energieträger ist.
Was in Europa zusätzlich dafür spricht, dass Erdgas hier noch lange eine bedeutende Rolle spielen könnte, ist die bestehende Infrastruktur: Pipelines ermöglichen grenzüberschreitenden Transport in großen Mengen. Und in vielen Ländern – darunter Deutschland – bestehen engmaschige Verteilnetze.
Natürlich existiert auch ein flächendeckendes Stromnetz. Aber das arbeitet bei Spitzenlasten schon heute an der Kapazitätsgrenze, weil sich der Ausbau seit Jahren verzögert. Würden die Haushalte nun auch noch von Gas- auf Elektroheizung umrüsten, um regenerativ heizen zu können, dann wäre die Kapazität des Stromnetzes nochmals knapper als ohnehin.
Dafür würden zusätzliche Investitionen notwendig, während Betrieb und Erhalt des bestehenden Gasnetzes wegen der geringeren Auslastung alsbald unrentabel würden, schreiben Analysten des Kölner Think-Tanks ewi Energy Research & Scenario in ihrer Studie „Energiemarkt 2030 und 2050 – Der Beitrag von Gas- und Wärmeinfrastruktur zu einer effizienten CO2-Minderung“, die sie im Auftrag von Gelsenwasser, Open Grid Europe und RheinEnergie erstellt haben.
Dabei könne es sich sogar klimapolitisch lohnen, die Gasinfrastruktur zu erhalten, argumentieren die Autoren. Denn in diesem Fall stünde sie auch dann noch in vollem Umfang zur Verfügung, wenn die CO2-neutralen Doppelgänger des Erdgases – Biogas und synthetisches Methan – zu konkurrenzfähigen Preisen und Mengen verfügbar werden.
Biogas wird aus den Gärgasen von Biomasse gewonnen. Synthetisches Methan wird wie andere E-Fuels aus Kohlendioxid, das zum Beispiel aus Abgasen von Kraftwerken oder aus der Umgebungsluft abgespalten wird, und Wasserstoff, das durch Elektrolyse aus Wasser gewonnen wird.
Das gewonnene Methan soll komplett CO2-neutral sein. Aus diesem Grund stammt die für den Prozess nötige Energie aus Ökostrom. Wind- und Sonnenkraftanlagen werden derzeit abgeschaltet, wenn sie mehr Strom als benötigt produzieren würden, damit sie das Stromnetz nicht überlasten.
Mit dem sogenannten Power-to-Gas-Verfahren könnten Windräder und Photovoltaikanlagen jedoch die Energie zur Produktion von Methan beisteuern, das Gaskraftwerke dann später wieder in Strom und Wärme umwandeln könnten. Letztlich ließen sich über diesen Umweg also auch herkömmliche Autos und Gasheizungen mit Wind- und Sonnenkraft betreiben. Gas wäre dann also ein Speicher für regenerative Energien.
Bisher ist dieser Kreislauf zwar noch zu teuer. Seine Chancen auf Marktreife erhöhen sich aber, wenn das flächendeckende Verteilnetz erhalten bleibt. Mit dieser Perspektive, folgern die ewi-Autoren, könne die kontinuierliche Nutzung von Erdgas also helfen, eine kosteneffiziente Energiewende auf den Weg zu bringen: „Die Infrastrukturen bieten die Option für eine effiziente CO2-Vermeidung in einer heute noch überhaupt nicht absehbaren Zukunft nach 2030.“
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