Die ständige Verfügbarkeit von Energie ist zentral für moderne Gesellschaften. Eine hohe Versorgungssicherheit ist daher essenziell für den Wohlstand. Und damit auch entscheidend für den Erfolg der Energiewende.
Man mag es als kleinere oder größere Unannehmlichkeiten empfinden, wenn an der spannendsten Stelle des Films plötzlich der Fernseher ausgeht. Ärgerlicher wird ein Stromausfall im privaten Bereich, wenn er so lange dauert, dass das Eisfach zu tauen beginnt. Für Unternehmen können Unterbrechungen der digitalen Kommunikationskanäle erhebliche Verluste bedeuten. Unplanmäßige, bereits kürzeste Stillstände von industriellen Produktionsanlagen stellen eine existenzielle Bedrohung dar. Denn damit wird ein Betrieb, der Teil einer hochkomplexen Wertschöpfungskette ist, unzuverlässig.
Bisher ist die Stromversorgung in Europa sehr zuverlässig. Und genau diese Versorgungssicherheit gehört zu den Standortvorteilen von industriell geprägten Regionen entlang von Rhein und Maas oder in Mittelengland.
Doch die volatile Produktion der erneuerbaren Energien Wind und Sonne stellt die Übertragungsnetzbetreiber vor große Herausforderungen. Speisen sie nicht genug ein, müssen andere Energieträger einspringen. Derzeit können diese Versorgungssicherheit nur konventionelle Kraftwerke leisten.
Großbritannien stand vor einigen Jahren vor derselben Situation wie Deutschland heute: Kraftwerke wurden aus Altersgründen geschlossen oder weil sie aufgrund des Marktdesigns, das auf einen Ausbau der Regenerativen zielt, nicht mehr wirtschaftlich waren. Seit 2014 steht der Gefahr der Unterkapazität in Großbritannien – wie in Frankreich und weiteren EU-Ländern – ein sogenannter Kapazitätsmarkt entgegen. Darin werden Stromproduzenten allein für das Bereithalten von Kapazität entlohnt. Mit Blick auf den auf 2025 terminierten Kohleausstieg im Vereinigten Königreich, sagte Lawrence Slade, Chef des Branchenverbades Energy UK 2016: „Der Kapazitätsmarkt ist der richtige Mechanismus, neue Investitionen anzuregen, damit Kunden jederzeit genug Strom haben.“ Zuletzt aber erzielten die Anbieter allerdings so niedrige Preise, dass schon wieder Bedenken laut wurden, sie könnten wichtige Investitionen in neue, emissionsärmere Kraftwerke bremsen.
In den Niederlanden besteht der Ansatz, Klimaschutz und Versorgungssicherheit mit Biomasse als Brennstoff für Kohlekraftwerke in Einklang zu bringen. Doch Biomassestrom ist bedeutend teuer als Kohle. Die Regierung subventioniert sie deshalb – noch. Denn es gibt Pläne, die Zuschüsse zu streichen. Einen marktlichen Ansatz, das Kapazitätsproblem zu lösen gibt es in den Niederlanden bisher nicht.
In Deutschland gilt – wie in den Niederlanden ein Energy-only-Market. Darauf wird nur eingespeiste Leistung, nicht aber die Bereitstellung von Kapazität vergütet. In Deutschland erhalten lediglich die Betreiber von Braunkohlekraftwerken, die in Sicherheitsbereitschaft gehalten werden, eine pauschale Vergütung. Doch die Sicherheitsbereitschaft endet 2023. Zudem gibt es in Süddeutschland die Netzreserve. Dabei werden Kraftwerke im Winter aktiviert, um den dann besonders hohen Strombedarf abzudecken. In Norddeutschland geschieht das durch Windstrom, mit dem Süddeutschland wegen zu niedriger Netzkapazitäten nicht versorgt werden kann.
Großbritannien, Frankreich und andere Länder setzen dem einen „Kapazitätsmarkt“ entgegen, in dem die Betreiber von Kraftwerken, die die jederzeitige Verfügbarkeit mit Strom garantieren, dafür vergütet werden, dass sie ausreichend Kapazität bereithalten für den Fall, dass sie benötigt wird, um den Verbrauch zu decken. In Deutschland und den Niederlanden dagegen herrscht ein Energy-only-Market, in dem nur eingespeiste Leistung vergütet wird. Deshalb könnte die gesicherte Leistung schon bald nicht mehr genügen, um Spitzenlasten abzudecken.
Die Wahrscheinlichkeit von Versorgungslücken könnte also steigen. Stromimporte aus französischen, belgischen oder tschechischen Kernkraftwerken können nur einen Teil der Lücke schließen. Aber Stefan Kapferer, Chef des deutschen Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), gibt zu bedenken: „Auch im EU-Ausland wird gesicherte Leistung in Form von konventionellen Kraftwerken abgebaut.“ Sich in dieser Situation darauf zu verlassen, dass die Nachbarländer in Extremsituationen mit Strom aushelfen können und würden, wäre riskant. Meist sind die Zeiten, in denen es bei der Versorgung knapp wird, in Mitteleuropa nahezu deckungsgleich. ENTSO-E, der Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber, prognostiziert eine Verschlechterung der Versorgungssicherheit für eine Vielzahl seiner Mitgliedsländer in den 2020er-Jahren.
Energie ist für den Wohlstand der Industriegesellschaft etwa so wichtig wie Kapital und Arbeit zusammen. Dietmar Lindenberger, EWI
Die Folgen von energetischen Engpässen würden auch zu deutlichen Wohlstandseinbußen führen. Der Ökonom Dietmar Lindenberger vom Energiewirtschaftliches Institut (EWI) an der Universität zu Köln geht davon aus, dass die Wirtschaftsleistung in Gesellschaften wie denen der EU-Länder etwa zur Hälfte von Energie abhängig ist. Im Branchenmagazin „Energiewirtschaftliche Tagesfragen“ sagte er: „Energie ist für den Wohlstand der Industriegesellschaft etwa so wichtig wie Kapital und Arbeit zusammen.“
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