Die Einwohner der australischen Stadt Melbourne werden wahrscheinlich überrascht sein, wenn sie große Kästen an den örtlichen Strommasten sehen. Diese enthalten Batteriespeicher und sind eine innovative Lösung für das Problem der Überlastung des örtlichen Stromnetzes. Hinter dem Versuchsprojekt steht der australische Energieversorger United Energy. Er hat von der australischen Agentur für erneuerbare Energien eine Finanzierung in Höhe von vier Millionen Australischen Dollar (AUD) für den elf Millionen AUD teuren Versuch erhalten.
Doch von Anfang an: Elektrizitätsnetze wurden entwickelt, um Strom von großen Kraftwerken zu den Verbrauchern zu bringen. Dabei wird die Spannung von der Hochspannung für die Fernübertragung auf Mittelspannung reduziert und dann auf Niederspannung für die lokalen Verteilnetze – eine Einbahnstraße.
Im Niederspannungssystem spielen Transformatoren eine Schlüsselrolle. Sie halten die Spannung innerhalb bestimmter Parameter. Das ist wichtig, weil eine zu hohe Spannung Geräte und Maschinen beschädigen kann. Da die Transformatoren nur innerhalb ihrer Auslegungsgrenzen arbeiten können, kann es zu Verteilungsengpässen kommen, wenn die Nachfrage in einer bestimmten Ortschaft steigt.
Gleichzeitig wird durch die Installation von Solaranlagen auf Hausdächern die Auslegung der lokalen Verteilernetze verändert. Denn durch sie wird eine Erzeugungsquelle am entgegengesetzten Ende des Systems platziert. Die Installation einer großen Anzahl von Photovoltaikanlagen auf Gebäuden kann deshalb die lokale Stromqualität beeinträchtigen. Und das kann aufgrund des Spannungsanstiegs auch nachteilige Folgen für die Anlagen selbst haben.
United Energy hat sich mit diesen Problemen befasst. Die daraus gezogenen Lehren sollen weitreichende Anwendung finden. Ein aussichtsreiches Vorhaben, da die Solarenergie für den Normalverbraucher in einem größeren Umfang verfügbar ist als jede andere Technologie für Erneuerbare Energien: Im Jahr 2020 war sie erneut die Erzeugungstechnologie mit der höchsten installierten Nettokapazität weltweit. Das spiegelt nicht nur ihre niedrigen Kosten, sondern auch ihre Verfügbarkeit wider.
Laut dem Global Market Outlook 2021-2025 von SolarPower Europe belief sich der weltweite Zubau von Dach-Solaranlagen 2020 auf 60,6 Gigawatt (GW), was einem Anstieg von 46 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht.
Die solare Energieerzeugung schwankt jedoch: Sie steigt mit dem Sonnenaufgang, erreicht in der Regel mittags einen Spitzenwert und fällt dann in der Nacht auf null ab. Die Netzanbindung ist daher für private Nutzer sehr wichtig. Um Solarmodule optimal nutzen zu können, müssen Haushalte überschüssigen Strom in der Mittagszeit exportieren und dann Netzstrom importieren, wenn die Sonne zu schwach scheint oder untergegangen ist.
Das bedeutet: Je mehr Solaranlagen in einem Ort installiert werden, desto mehr Strom wird in das örtliche Verteilnetz eingespeist, vor allem zur Mittagszeit. Und um Strom zu exportieren, muss die Spannung einer Solaranlage höher sein als die des örtlichen Verteilernetzes. Wenn die Spannung zu hoch wird, schalten sich die Wechselrichter in privaten Solaranlagen allerdings ab. Die Folge: Im Moment der maximalen Erzeugung geht regenerativer Strom verloren. Das ist nicht nur eine Verschwendung von Erneuerbarer Energie, sondern beeinträchtigt auch die Rendite der Solaranlage der Haushalte.
Am akutesten ist das Problem in ländlichen Gebieten, vor allem am „Ende der Leitung“, und in Entwicklungsländern mit schlecht ausgebauten lokalen Verteilungsnetzen. Doch auch in städtischen Wohngebieten kann es zu Problemen kommen, wenn Dach-Solaranlagen zur Norm werden.
Eine – bisher nur individuelle – Lösung ist die Installation einer Batterie zusammen mit einer Solaranlage für Wohnhäuser. Das Projekt von United Energy zielt nun darauf ab, lokale Systemvorteile für alle zu schaffen. Das Einzelhandelsunternehmen Simply Energy wird dazu das Netz der auf Masten montierten Batterien als Teil seines virtuellen Kraftwerkssystems verwalten, um die Nachfrageseite zu steuern.
In Zeiten hoher Solarstromerzeugung fungieren die Batterien als Ausgleichspunkte. Der Strom geht so nicht verloren, sondern steht dem Netz nach der Erzeugungsspitze zur Verfügung. So können auch Häuser ohne Solaranlage von der Erneuerbaren Energie profitieren. Durch die Platzierung der Speicher im Herzen des lokalen Verteilnetzes können sowohl teure und störende Aufrüstungen als auch die Einschränkung der Solarstromerzeugung in Privathaushalten vermieden und die Stromqualität verbessert werden. Dies wiederum dürfte dazu führen, dass an einem Ort künftig viel mehr dezentrale Solaranlagen installiert werden können, wodurch die grüne Stromerzeugung gefördert wird.
Nach der Erprobung von zwei Speicherboxen sollen im Rahmen des Projekts „Electric Avenue“ von United Energy in den nächsten 18 Monaten 40 30-Kilowatt-Boxen in der gesamten Region um Melbourne installiert werden. Sie könnten 3.000 Häuser versorgen.