Eines der interessantesten Strominfrastrukturprojekte in Europa hat einen Schritt nach vorne gemacht: 45 Kilometer vor der belgischen Küste soll die künstliche Energieinsel Princess Elisabeth entstehen. Im Dezember 2022 wurde eine Vereinbarung über eine finanzielle Unterstützung (Link in Englisch) in Höhe von 99,7 Millionen Euro geschlossen. Die Finanzmittel werden im Rahmen der EU Aufbau- und Resilienz-Fazilität bereitgestellt und sollen dafür genutzt werden, um das Fundament der fünf Hektar großen Insel zu bauen.
Auf dem Eiland, das vom belgischen Stromnetzbetreiber Elia geplant wird, soll perspektivisch die elektrische Infrastruktur für die zentrale Erfassung der Offshore-Windstromerzeugung entstehen.
Außerdem sollen dort Offshore-Windanlagen über zwei geplante Mehrzweck-Verbindungsleitungen, sogenannte Interkonnektoren, mit dem belgischen Stromnetz und möglicherweise auch mit dem britischen und dänischen Netz verbunden werden.
Das Projekt stellt damit die erste größere Realisierung des Nordsee-Supernetzes dar – ein geplanten Netz aus Offshore-Windparks und Verbindungsleitungen, welches die effiziente und weitreichende Nutzung der Windressourcen in der Nordsee auf unterschiedlichen europäischen Märkten erleichtern soll.
Der Bau einer künstlichen Insel ist keine einfache Aufgabe. Für Belgien, das nur über eine Küstenlänge von 65 km verfügt stellt das Vorhaben dennoch eine innovative Lösung dar, um die Windkraft auf See weiter auszubauen.
Der erste Schritt ist eine gründliche Untersuchung des Meeresbodens, um ein Gebiet mit geeigneter Unterwassergeologie zu ermitteln. Sogenannte Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) sind unerlässlich, um die Auswirkungen der neuen Insel – sowohl deren Existenz als auch des Bauprozesses – auf die Meeresfauna zu bewerten.
Als nächster Schritt folgt der Bau einer Stützmauer. Diese schützt die Fundamente der künftigen Insel vor Erosion durch Wellen und Meeresströmungen. Die Mauer dient zusätzlich auch als Wellenbrecher, um ruhige Bedingungen für die am Bau beteiligten Schiffe zu schaffen. Ohne diesen Schutz wäre die Insel den Kräften des Meeres schutzlos ausgeliefert. Für die Mauer können Felsen, Stahlrohrpfeiler oder mit Sand gefüllt Betonkästen verwendet werden.
Dieser Wellenbrecher kann später durch schützende Felsböschungen verstärkt werden, um so einen mehrstufigen Schutz gegen die Meereserosion zu schaffen. Er kann auch mit einer Stein- oder Betonverkleidung über dem Meeresspiegel versehen werden, um ihn vor brechenden Wellen zu schützen. Außerdem können zusätzlich Betonblöcke eingesetzt werden, um die Kraft von Wellen zu brechen bevor sie auf die Insel treffen.
Sobald die Eindämmungsmauer errichtet ist, erfolgt der nächste Schritt: das Auffüllen. Hierbei wird Sand gesammelt und innerhalb der Mauer abgelagert, um das Fundament der Insel zu bilden. Jeder Meter loser Sand wird dabei einer sogenannten „Vibrationsverdichtung“ unterzogen, ein Verfahren, in dem der Zustand der Partikel im Boden durch Vibration verändert wird, um so einen dichteren Zustand zu erreichen. Dadurch wird der natürliche Absetzungsprozess enorm beschleunigt – im natürlichen Fall würde dies Jahrzehnte dauern.
Damit das Meer den Sand innerhalb der Eindämmung nicht bewegt oder erodiert, müssen verbleibende Lücken in der Mauer abgedichtet werden.
Wenn das Fundament steht, können die Arbeiten am Hafen der Insel beginnen. Dazu wird in der Regel eine zusätzliche Wand aus Metallblechen errichtet, um einen trockenen Bereich zu schaffen. Anschließend wird eine Grube ausgehoben, wo der Hafenbau stattfinden kann. Nach dem Abschluss der Bauarbeiten werden die Metallwand und der verbliebene Sand entfernt, so dass Wasser in das neue Hafengebiet einfließen kann und mit dem Meer verbunden wird. Der neu errichtete Hafen ermöglicht dann die problemlose Anlieferung von Ausrüstung und Materialien.
Nach diesem Schritt ist die Insel im Wesentlichen fertig und bereit für den Bau von Infrastruktur auf ihrer Fläche.
Im Jahr 2023 liegt der Schwerpunkt der Entwicklung in erster Linie auf Ausschreibungsverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfungen, Genehmigungen und der Beantragung der Konzession, also der Nutzungsrechte, für die Energieinsel. Die gesamte Bauzeit der Insel Princess Elisabeth wird auf etwa sieben bis acht Jahre geschätzt.
Dabei nimmt der Bau der Insel an sich voraussichtlich nur etwa zweieinhalb Jahre in Anspruch. Er und die Inbetriebnahme der elektrischen Infrastruktur sollen laut Plan Mitte 2026 bis 2030 erfolgen.
Da die Insel in der Nähe eines geschützten Meeresgebiets („Natura 2000“) gebaut wird, entwickelt Elia zusammen mit unabhängigen Meeresumwelt-Experten ein „naturverträgliches Design“ (Link in Englisch). So sollen neue natürliche Lebensräume um und auf der Insel geschaffen werden.
Zusätzlich wird der Bau von einer Reihe miteinander verbundener Projekte begleitet – nicht zuletzt von neuen Offshore-Windparks mit einer Kapazität von einem Gigawatt (GW) mit direkten Anschluss an die Insel. Insgesamt wird erwartet, dass bis zu 2,3 GW an Offshore-Windkapazität angeschlossen werden. Bis zu 3,5 weitere GW sollen außerdem in Belgiens zweiten ausgewiesenen Offshore-Gebiet ermöglicht werden.
Um den Strom in das Netz an Land zu übertragen ist natürlich auch eine Verbindung von der Insel zum Onshore-Netz und eine Verstärkung des Netzes erforderlich. Die Verbindungsleitung wird im Rahmen des Ventilus-Projektes (Link in Englisch) realisiert, dessen Bau zwischen 2024 und 2027 geplant ist. Diese Verbindung soll die Offshore-Energie an Land zu einer neuen Stromverbindung in Westflandern bringen.
Die Verstärkung des Netzes soll in Form eines der bedeutendsten Onshore-Infrastrukturprojekte von Elia, La Boucle du Hainaut (Link in Französisch), die Hainaut Schleife umgesetzt werden.
Die künstliche Insel soll außerdem an zwei Verbindungsleitungen angeschlossen werden: die Nautilus-Verbindung mit dem Vereinigten Königreich und die Triton-Verbindung mit Dänemark.
Nautilus ist eine geplante Unterwasser-Verbindungsleitung mit einer Kapazität von 1,4 GW. Nach Angaben des Entwicklers, dem britischen Unternehmen National Grid Ventures, wird die Verbindung Anschlüsse von Offshore-Windparks mit bis zu 2,8 GW ermöglichen. Die eine Hälfte des Stroms wird dabei ins Vereinigte Königreich, die andere nach Belgien exportiert. Zu Zeiten, in denen nur wenig Strom aus Wind erzeugt wird, kann die freie Kapazität der Leitung auch für zusätzlichen Stromhandel zwischen dem britischen und belgischen Markt genutzt werden.
Die Leitung soll in der britischen Grafschaft Suffolk verlegt werden. Dieses Vorhaben führte zu erheblichen Bedenken bezüglich der Umweltauswirkungen auf die Küste von Suffolk. National Grid Ventures erwägt daher nach eigenen Angaben, den Anlagepunkt auf die weiter südlich gelegene britische Isle of Grain zu verlegen. Insgesamt befindet sich das Nautilus-Projekt noch in einem frühen Entwicklungsstadium und benötigt noch weitere Genehmigungen. Daher wird eine Inbetriebnahme voraussichtlich nicht vor 2028 erfolgen.
Die zweite wichtige Verbindungsleitung – Triton Link – soll eine Verbindung zu den dänischen Offshore-Windparks und zu den von Dänemark selbst geplanten Energieinseln herstellen. Die Leitung ist mit einer Länge von etwa 600 km geplant und wurde von Elia und dem dänischen Netzbetreiber Energinet (Link in Englisch) entworfen. Der Bau der Verbindungsleitung wird voraussichtlich vier Jahre dauern und soll etwa um 2030 abgeschlossen sein.
Dänemark selbst plant zwei eigene Energieinseln: Eine entsteht auf der bestehenden Insel Bornholm, die andere soll auch eine künstliche Insel werden.
Die Energieinsel Bornholm (Link in Englisch) plant mit einer Offshore-Windkapazität von drei GW. Für die künstliche Insel sind weitere drei GW vorgesehen, die noch auf zehn GW ansteigen sollen. Der Projektplan für die neue künstliche Insel befindet sich bisher noch in der Entwicklungsphase. Momentan wird eine Kombination aus zurückgewonnenem Land und schwimmenden Strukturen geprüft. Die Fertigstellung ist für das Jahr 2033 anvisiert.