Zigtausende Erzeuger von Ökostrom haben die Versorgungslandschaft durcheinandergewirbelt. Denn die Netzbetreiber haben alle Hände voll zu tun, ihre Leistung sinnvoll und effizient zu integrieren. Während sie die schwankende Einspeisung von Wind- und Solarparks nötigenfalls steuern können, ist dies bei den unzähligen privaten Klein- und Kleinstanlagen praktisch nicht zu bewerkstelligen. Selbst virtuelle Kraftwerke, die darauf spezialisiert sind, kleinere Stromerzeuger und -verbraucher zusammenzufassen und aufeinander abzustimmen, nehmen nur Produzenten ab einer gewissen Größe auf.
In Deutschland müssen Betreiber von Klein- und Kleinstanlagen ihren Strom bisher gar nicht selbst vermarkten, weil man für den eingespeisten Strom dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) entsprechend vergütet wird. Und das immerhin für 20 Jahre. Danach haben sich die meisten Photovoltaik-Anlagen bereits längst amortisiert. Doch wie kann man auch nach Ende der Förderung noch Geld mit einer PV-Anlage oder Windkraft-Anlage verdienen? Und wie lassen sich damit die Stromnetze stabilisieren?
„Smart Meter ermöglichen einen individuellen bi-direktionalen Datentransfer, der neue Geschäftsmodelle und den Einbezug dezentraler Energieversorgung ermöglicht“, sagt Christoph Burger von der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin. Solche „schlauen Messgeräte“ zeichnen recht genau auf, wie viel Strom aus einer Anlage wohin fließt: in den eigenen Haushalt, zum Nachbarn oder ins öffentliche Netz. Und umgekehrt: woher der Strom kommt. Allerdings schränkt Burger ein: „Die aktuellen Kommunikationsprotokolle von Smart Metern stellen ein Sicherheitsrisiko dar.“
Die heutigen Anlagen seien relativ anfällig für Hackerübergriffe, schreibt Burger mit zwei Kollegen in einer Studie für die Deutsche Energieagentur (dena) erarbeitet hat. Damit wäre nicht nur die Datensicherheit von Erzeugern und Verbrauchern gefährdet, die Messanlagen könnten auch manipuliert werden – zum Beispiel um bei der Abrechnung zu betrügen. Falsche Datenübertragung birgt aber noch ein größeres Problem: Hacker könnten die öffentlichen Stromnetze durch gezielte Fehlinformationen aus dem Gleichgewicht bringen – und damit zum Blackout. Als Lösung für all diese Probleme wird eine Technologie gehandelt, die den meisten aus einem anderen Zusammenhang geläufig ist: Blockchain.
Bekannt geworden ist diese Technik durch Bitcoin und andere Kryptowährungen. Doch das ist nur eine von vielen denkbaren Anwendungen. Die Blockchain ist eine sogenannte „Distributed-Ledger-Technology“ (auf Deutsch: „Technik verteilter Kassenbücher“), kurz DLT. Blockchain wird oft als Synonym für DLT verwendet. Gemein ist allen DLTs, dass sie Datenpakete mehrfach und dezentral speichern, um Informationen vor Manipulationen zu schützen.
Bei der Blockchain wird jede neue Information als zusätzlicher Datenblock angehängt, sodass eine Blockkette (englisch: Blockchain) entsteht. Gleichzeitig wird jede Veränderung oder (besser gesagt) Erweiterung einer Blockchain in jeder Kopie dokumentiert. Manipulationsversuche an einzelnen Kopien würden dadurch auffliegen, dass sie von den anderen abweicht. Es gibt also unzählige unabhängige digitale Zeugen für die hinterlegten Informationen.
Das Revolutionäre an dieser Technik ist, dass es keine zentrale Stelle gibt, die Informationen verwalten oder beglaubigen muss: „Blockchain ist eine dezentrale Transaktionstechnologie, die Transparenz der Daten im Prozessverlauf ermöglicht“, erklärt Burger. Bei den Kryptowährungen ersetzen Blockchains dadurch Banken. Beim Hauskauf könnten sie den Notar ersetzen, weil sie fälschungssicherer sind als jede notarielle Urkunde.
In der Energiewirtschaft werden Blockchain und andere DLTs bereits seit einigen Jahren als Möglichkeit zum dezentralen Stromhandel gesehen. Heimische Solaranlagen könnten so ihre Einspeisung dokumentieren und – statt eine pauschale Vergütung vom Netzbetreiber zu erhalten – den Strom in Echtzeit an einen Abnehmer verkaufen. Solche Strommengen über eine Börse oder den lokalen Versorger zu vertreiben, würde wegen der Margen von Händlern und Versorgern schnell unrentabel. Mit der Kombination von Smart Meter und Blockchain aber würden diese Transaktionskosten entfallen. Ziel ist es, dass zum Beispiel die Solaranlage des einen Markteilnehmers direkt mit einem Stromspeicher – vielleicht der Batterie eines E-Autos – kommuniziert.
Für den Netzbetreiber hätte dies den Vorteil, dass Einspeisung und Entnahme von Strom sich besser ausgleichen würden. Es entstünden also weniger Schwankungen in der Netzfrequenz, die der Netzbetreiber durch (teure) Regelleistung ausgleichen müsste.
Große Stromproduzenten und -händler müssen schon heute dafür sorgen, dass die verkaufte Strommenge genauso groß ist, wie die produzierte – beziehungsweise die eingekaufte. Einmal in 15 Minuten muss diese Bilanz ausgeglichen sein. Den Ausgleich von Schwankungen außerhalb dieses „Bilanzkreislaufs“ koordinieren die Netzbetreiber.
Insofern wäre der Stromhandel per Blockchain nicht nur im Interesse der Kleinstproduzenten. Auch Biogasanlagen, Solar- und Windparks, große Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen und im Prinzip auch Großkraftwerke könnten auf diese Weise ihren Strom in Echtzeit verkaufen.
Im Gespräch sind diese Möglichkeiten bereits seit einigen Jahren. Inzwischen werden sie immer häufiger in die Praxis umgesetzt. In Wuppertal nutzen die Stadtwerke Blockchain, um ihre Stromkunden mit lokalen Erzeugern zu vernetzen. Das australische Unternehmen Power Ledger setzt Pilotprojekte in verschiedenen Regionen von Australien, Japan, Thailand und den USA um. Auch Österreichs zweitgrößte Stadt Graz will die Technik einführen und zunächst erbproben: mit zehn Haushalten, die ihren Solarstrom per Blockchain an ihre Nachbarn verkaufen können.
Ist die Lösung also bereits da? Jain, lautet das Fazit von Christoph Burger und seinen Kollegen: „Die öffentliche Blockchain ist noch zu langsam, energieintensiv und unbequem, um in heutigen Smart Metern genutzt zu werden.“ Aber die Technologie mache Fortschritte. Nötig sei außerdem ein regulatorischer Rahmen. Und letztlich gilt für DLT-basierten Stromhandel das Gleiche wie für alle Netzwerk-Technologien: Sie müssen eine gewisse Größe erreichen, bis sie attraktiv werden.
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