Der britische Ausschuss für Klimawandel (Climate Change Committee; CCC) untersuchte vor kurzem den Fortschritt des Landes auf dem Weg zu einem vollständig dekarbonisierten Stromsystem bis 2035. Die daraus gezogenen Erkenntnisse sind sowohl positiv als auch negativ – eine Umsetzung wäre möglich, das Ausmaß der Aufgabe würde bisher jedoch noch unterschätzt. Auch das derzeitige Tempo, in dem die Ziele umgesetzt werden, reiche noch nicht aus, so der Ausschuss.
Ein dekarbonisierter Stromsektor stellt für Großbritannien das Grundgerüst dar, auf dem andere Schlüsselelemente einer kohlenstofffreien Wirtschaft aufgebaut werden. Das geht aus dem Ausschuss-Bericht „Delivering a Reliable Decarbonized Power System“ (Link in Englisch) deutlich hervor. Darüber hinaus wird ein zuverlässiges Energiesystem für eine erfolgreiche Wirtschaft in Zukunft immer wichtiger, da auch Handel und Gesellschaft immer stärker von der IT und elektrischer Energie abhängig werden.
Es wird erwartet, dass der Stromverbrauch steigen wird. Laut CCC wird der Strombedarf bis 2035 um 50 Prozent steigen und sich bis 2050 sogar verdoppeln. Die größten Faktoren für diesen Anstieg stellen die Sektoren Gebäude, Landverkehr und Industrie dar.
Allerdings ist das derzeitige Tempo zur Bereitstellung der notwendigen Infrastrukturen nicht ausreichend. Daher fordert der CCC, dass Hindernisse, die der zügigen Errichtung kritischer Infrastrukturen im Weg stehen, beseitigt und Lücken in den politischen Maßnahmen alsbald geschlossen werden müssen. Insbesondere die Ausbaurate der Infrastruktur, sowohl in Hinblick auf Erzeugung als auch auf Netzkapazität, müssen das gegenwärtige und frühere Niveau übertreffen.
Dem CCC zufolge würde ein zuverlässiges, nachhaltiges Stromsystem für das Vereinigte Königreich 70 Prozent seiner jährlichen Stromerzeugung aus den Erneuerbaren Energien beziehen, in erster Linie aus Offshore-Windenergie. Weitere 20 Prozent würden aus Technologien mit konstanterer Energieerzeugung stammen – also aus Kernkraft und Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS).
Die verbleibenden zehn Prozent würden durch kohlenstoffarme Reserveerzeugung wie wasserstoffbetriebene Turbinen und fossile Gaskraftwerke mit CCS gewonnen. Auch andere Technologien zur flexiblen Stromversorgung sollen eingesetzt werden. Das CCC ist außerdem der Meinung, dass die großskalige Energiegewinnung aus Biomasse nach dem Ende der Subventionierung im Jahre 2027 keine große Rolle mehr spielen sollte.
Nach Ansicht des CCC sind flexible Systemlösungen von entscheidender Bedeutung. Sie sollen potenzielle Schwankungen bei der Stromerzeugung aus Erneuerbaren ausgleichen, die durch den Klimawandel noch weiter zunehmen könnten. Dazu gehören beispielsweise eine Laststeuerung der Stromnachfrage durch das gezielte Ab- und Zuschalten von Lasten (z. B. durch intelligentes Laden von Elektrofahrzeugen), Interkonnektoren, Speicher und kohlenstoffarme Reservekraftwerke.
Weil Batteriespeicher nur kurzfristige Bedarfsschwankungen ausgleichen können, sieht der CCC eine „entscheidende“ Rolle für die Erzeugung und Speicherung von Wasserstoff und die anschließende Nutzung zur Stromerzeugung. In direktem Wettbewerb und in Kombination mit fossilem Gas und CCS-Technologien, soll so eine „kohlenstoffarme und planbare Erzeugung“ ermöglicht werden.
Der Bericht unterstreicht die Notwendigkeit, Investitionen in die Wasserstoffinfrastruktur zu beschleunigen, und erklärt, dass „die Wasserstoffmengen, die bis 2035 allein für das Stromsystem erzeugt und verwendet werden, ein erhebliches Potenzial haben“.
Der CCC räumt jedoch ein, dass dort, wo es möglich ist Elektrifizierung Priorität haben sollte. Denn: „Der Einsatz von Wasserstoff anstelle einer effizienten Elektrifizierung (z. B. Wärmepumpen) wäre eine weitaus weniger effiziente Nutzung der heimischen Energieressourcen und würde zu einem höheren Bedarf an importierter Energie führen, um die Ressourcen zu ergänzen.“
Dem CCC zufolge könnte im Jahr 2035 trotzdem noch eine geringe Menge an gasbetriebener Kapazität erforderlich sein, um mit möglichen Wetterextremen umzugehen. Die Studie geht davon aus, dass Gas etwa zwei Prozent der jährlichen Stromerzeugung abdecken kann. So kann „die Versorgungssicherheit auf kosteneffiziente Weise, ohne übermäßige negative Auswirkungen auf die Emissionen“ gewährleistet werden.
Laut der Studie wird das britische Stromsystem in Zukunft weiterhin erhebliche Mengen an fossilem Gas in Verbindung mit CCS-Technologien benötigen. Diese werden entweder für die Stromerzeugung oder für die Produktion von blauem Wasserstoff gebraucht, da der Zubau von Kapazitäten zur klimaneutralen Produktion momentan nur begrenzt möglich ist. Es wird allerdings angenommen, dass der Einsatz von fossilem Gas in Kombination mit CCS-Technologien bis 2050 zurückgehen wird und dann durch die Produktion von grünem Wasserstoff ersetzt wird.
Damit das Ziel einer Dekarbonisierung des Stromsektors bis 2035 (Link in Englisch) erreicht werden kann müssen die jährlichen Ausbauraten für Offshore-Windkraftanlagen um 40 Prozent höher sein als im Jahr 2022, so der CCC. Auch der Zubau neuer Übertragungsinfrastrukturen muss wesentlich schneller vorangetrieben werden. Darüber hinaus sind neue Investitionen in Höhe von 300 bis 430 Mrd. Pfund in Technologien erforderlich, die im Vereinigten Königreich noch nicht kommerziell eingesetzt werden. Dazu gehören CCS, kohlenstoffarme Wasserstofferzeugung und -speicherung sowie die Stromerzeugung mit Wasserstoff.