Der europäische Emissionshandel (EU-ETS) sorgt für Schlagzeilen. Der Preis für CO2-Zertifikate im EU-ETS stieg Anfang des Jahres auf mehr als 34 Euro pro Tonne CO2, Mitte Februar kratzte er sogar an der 40-Euro-Marke. Damit haben sich die Zertifikatspreise innerhalb der vergangenen drei Jahre fast vervierfacht und bewegen sich auf einem sehr hohen Niveau – wenn man die Entwicklung des Emissionshandels seit seiner Gründung im Jahr 2005 betrachtet.
Was zu dieser Entwicklung geführt hat, kann Prof. Dr. Manuel Frondel im Detail erklären. Als Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) und Leiter des Kompetenzbereiches „Umwelt und Ressourcen“ am RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung beschäftigt er sich schon seit vielen Jahren intensiv mit Emissionshandelssystemen.
Herr Professor Dr. Frondel, erleben wir gerade ein Allzeithoch?
In der Tat ist das der bislang höchste Zertifikate-Preis, den es seit Einführung des Emissionshandels im Jahr 2005 gab. Aber ein Allzeithoch wird das nicht bleiben: Mit einer deutlichen Verbesserung der weltweiten wirtschaftlichen Lage nach der Corona-Pandemie dürfte der Preis weiter steigen, wenn die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten ihre Klimaziele ernst nehmen.
Sind Sie von der Entwicklung überrascht?
Nein. Dies ist vor allem eine Folge der Verschärfung des EU-Klimaschutzziels: Anstatt um 40% soll nun der Treibhausgasausstoß in der Europäischen Union bis zum Jahr 2030 gegenüber 1990 um 55 % gesenkt werden. Das halte ich, ebenso wie viele meiner Kollegen, für äußerst ambitioniert, denn bereits das 40%-Ziel war sehr anspruchsvoll.
Schon länger geht die Tendenz eindeutig nach oben. Seit Anfang 2018 haben sich die Zertifikatspreise von unter 10 Euro pro Tonne ungefähr vervierfacht. Wie kam es dazu?
Dies ist eindeutig das Resultat von regulatorischen Änderungen im EU-Emissionshandel, mit denen darauf abgezielt wurde, das über Jahre vorhandene hohe Volumen an überschüssigen Zertifikaten vom Markt zu nehmen. Dies geschieht mit Hilfe der damals eingeführten Marktstabilitätsreserve, in der überschüssige Zertifikate temporär über Jahre geparkt werden. Teils werden diese Zertifikate sogar endgültig gelöscht, wenn ein gewisser Schwellenwert für das Volumen an geparkten Zertifikaten überschritten wird.
Welche Maßnahmen haben sich in der Rückschau als effektiv erwiesen?
Die Marktstabilitätsreserve hat sicherlich einen großen Teil zum Preisanstieg beigetragen, die wiederholten Bekenntnisse der Politik, mit dem Klimaschutz ernst zu machen, und vor allem die Verschärfung des EU-Treibhausgasziels dürften ebenfalls ihre Spuren hinterlassen haben.
Der Europäische Emissionshandel stand lange Zeit in der Kritik: Aufgrund von Konstruktionsfehlern hätte ein Überangebot an Verschmutzungsrechten eine wirksame Steuerung verhindert. War die Kritik berechtigt? Und kann man sagen, dass der EU-ETS diese „Kinderkrankheiten“ überwunden hat?
Definitiv gab es ein sehr großes Überangebot an Verschmutzungsrechten, das teils Konstruktionsfehlern geschuldet war, teils aber auch auf die wirtschaftlich schlechte Lage nach der Finanzkrise 2008 zurückzuführen war. Ein niedriger Zertifikatpreis hilft in dieser Situation, die wirtschaftlichen Folgen der Krise besser zu verdauen, ohne die Effektivität des Emissionshandels in Bezug auf die Verringerung der Emissionen zu gefährden. Aber ein Überangebot an Zertifikaten dürfte es nach dem Abstellen der Kinderkrankheiten und aufgrund der Verschärfung der Klimaschutzziele künftig nicht mehr geben, trotz der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie.
Ihre Einschätzung: Wie wichtig ist der europäische Emissionshandel für das Bemühen Europas, seine Klimaziele zu erreichen? Wie erfolgreich ist der EU-ETS bisher gewesen?
Dieses Klimaschutzinstrument war sehr erfolgreich: Während die EU-Länder seit 2005 ihre Emissionen um rund 25 % reduziert haben, konnte die am EU-ETS beteiligten Sektoren ihre Emissionen um 35 % senken. Das ist vor allem auf den Stromerzeugungssektor zurückzuführen. Zum Vergleich: Die Emissionen des nicht in den Emissionshandel integrierten Sektors Verkehr stagnierten seither.
Wie sollte der europäische Emissionshandel weiterentwickelt werden, damit die EU ihre ambitionierten Klimaziele erreicht?
Die führende Rolle des Emissionshandels als Emissionsminderungsinstrument Nr. 1 in Europa sollt weiter gestärkt werden, indem weitere Sektoren wie der Verkehr und die Landwirtschaft darin integriert werden. Dazu bedarf es der Zustimmung aller EU-Mitglieder und kann deshalb dauern. Daher sollte Deutschland einen Antrag stellen, in der Zwischenzeit den soeben gestarteten nationalen Emissionshandel in den Sektoren Verkehr und Gebäude in den EU-Emissionshandel zu integrieren. Der besondere Vorteil davon wäre, dass das sehr scharfe Ziel einer Minderung der Emissionen in den Nicht-ETS-Sektoren für das Jahr 2030 von 38% gegenüber 1990 für Deutschland entfallen würde. Dieses Ziel ist EU-rechtlich verbindlich und hätte bei einer sehr wahrscheinlichen Nichteinhaltung sehr hohe Kosten in Milliardenhöhe jährlich zur Folge.
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