Während die Handwerker die Stände in den Essener Messehallen aufbauen, wird im benachbarten Atlantic Hotel intensiv über Netzausbau, Smart Cities und Klimaschutz diskutiert. Einen Tag bevor die E-world gestartet ist – als Vorbereitung sozusagen –, haben sich Entscheider aus der Energiebranche getroffen. Beim „Führungstreffen Energie“ kommen jährlich Vorstände von großen Energieversorgern und Netzbetreibern, Verbandsvertreter, Politiker, Wissenschaftler und Beamte von Regulierungsbehörden zusammen. Folgende Themen wurden dieses Mal ausführlich diskutiert.
Einen Impulsvortrag zu dem Thema lieferte Peter Franke, Vizepräsident der Bundesnetzagentur. Am gleichen Tag hatten die Übertragungsnetzbetreiber einen aktuellen Entwurf des Netzentwicklungsplans veröffentlicht, nachdem zwei weitere Nord-Süd-Stromautobahnen erforderlich seien – Franke ging daher auch auf die aktuelle Entwicklung ein. Zunächst thematisierte er aber die Veränderungen der Rahmenbedingungen für die Energiewende.
Zwar fordern die Klimaziele einen forcierten Zubau an Erneuerbaren-Energie-Anlagen (EE-Anlagen) und einen verstärkten Netzausbau, gleichzeitig nehme aber die Akzeptanz für den Zubau von Erneuerbaren und den Netzausbau ab. Zudem beobachtet die Bundesnetzagentur Zurückhaltung bei Ausschreibungsverfahren für EE-Anlagen. „Eine Ausschreibung für Onshore-Windkraft war sogar unterzeichnet“, erklärte Franke. So entstehe zusätzlicher Beschleunigungsdruck bei gleichzeitig größer werdenden Hürden für konkrete Projekte. „Insgesamt sind das schwierige Ausgangsbedingungen“, so der Vizepräsident der Bundesnetzagentur.
Mit einer Doppelstrategie soll der steigende Stromtransport gesichert werden. Einerseits sollen vorhandene Netze optimiert, andererseits der Netzausbau beschleunigt werden. Instrumente zur Optimierung der Netze, wie Freileitungsmonitoring oder Hochtemperaturleiterseile, würden bereits in die Netzplanung einfließen, sagte Franke. Andere Optimierungsinstrumente müssten noch überprüft werden. Dabei gilt laut Franke: „So viel Netzausbau wie nötig, aber so wenig wie möglich.“
In der anschließenden Diskussion ging es allerdings weniger über Übertragungsnetze, sondern stärker um die Verteilernetze. „In Verteilernetze muss groß investiert werden“, erklärte Joachim Schneider, Bereichsvorstand Technik & Operations von innogy. So müssten beispielsweise Sektorenkopplung, E-Mobilität oder EE-Anlagen im System integriert werden. Auch Urban Keussen, Vorstand der EWE AG, sieht hohen Investitionsbedarf für Verteilernetze. Dabei fehle es bisher an Anreizen, auf intelligente Lösungen zu setzen. Wenn möglich soll auf „Intelligenz anstatt Kupfer“ gesetzt werden.
Bevor Ralf Christian, CEO bei der Divison Energy Management der Siemens AG, auf den Energiehunger von Städten einging, sprach er zunächst über die Elektrifizierung anderer Sektoren. „Sektorenkopplung wird das große Thema der Zukunft werden“, erklärte Christian. Denn die Potentiale seien riesig. Nur ein Beispiel: Um den gesamten Verkehr in Deutschland zu elektrifizieren, müsste die Stromproduktion lediglich um 20 Prozent erhöht werden. Auch im Wärmesektor könnten Wärmepumpen in privaten Haushalten und Kraftwärmekopplung für größere Einheiten Treibhausgas-Emissionen deutlich senken.
Energie wird laut Christian vor allem in Städten verbraucht – ihr Anteil am weltweiten Stromverbrauch liegt bei rund 75 Prozent. Und der Bedarf werde nach Prognosen deutlich steigen: Bis zum Jahr 2030 könnten weltweit 125 Millionen E-Autos auf Straßen fahren und der Absatz von Elektrobussen auf über 80 Prozent steigen. Der Vorteil: „Strom ist effizient und vielseitig einsetzbar“, erklärte der CEO. Die grundlegenden Technologien der Sektorenkopplung seien bereits vorhanden, es bedürfe einer Automatisierung und Vernetzung.
Verschiedene Energiesektoren werden zunehmend miteinander vernetzt: Von zentraler Stromerzeugung und unidirektionalem Netz zu einem dezentralen und verteilten Energie-System, so Christian. Verschiedene technische Entwicklungen seien bei der Entwicklung zu einer „Smart City“ wichtig: intelligente Stromnetze, dezentrale Energieerzeugung oder verbesserte Energieeffizient durch Datenanalyse in der „Cloud“. „Millionen von Sensoren und intelligenten Geräten“ würden in Zukunft die Städte „smart“ machen.
Auch die Empfehlungen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, bis zum Jahr 2038 aus der Kohle auszusteigen, waren – selbstverständlich – Thema auf dem Führungstreffen Energie. Thorsten Herdan, Abteilungsleiter Energiepolitik im Bundeswirtschaftsministerium, erklärte in einem Impulsvortrag, es sei „sehr viel politischer Wille da“, die Vorschläge anzugehen. Die Kommission habe an die Bundesregierung den klaren Auftrag gesendet, bis 2038 „den Sack zuzumachen“.
In der Konsequenz bedeute das, dass ab dem Zieljahr der Strombedarf komplett aus Erneuerbaren, Gas und durch Stromimport zu decken. „Dafür müssen wir jetzt die Rahmenbedingungen schaffen“, erklärte Herdan. Wichtig sei, für den künftigen Netzausbau Strom- und Gasinfrastruktur „zusammen zu denken“. Der Vorschlag der Kommission, Abgaben und Entgelte auf Strom zu reformieren, müsse ernst genommen werden. „Klar ist, dass wir mit den derzeitigen hohen Abgaben bei der Sektorenkopplung nicht um die Ecke kommen“, betonte Herdan.
Auch in der abschließenden Diskussionsrunde „Auf dem Weg zum Klimaschutzgesetz – Chancen und Herausforderungen“ ging es um die Empfehlungen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“. RWE-Vorstandsvorsitzender Rolf Martin Schmitz, Stefan Kapferer, Vorsitzender der BDEW-Hauptgeschäftsführung, Jörg Rothermel, Geschäftsführer Energieintensive Industrien Deutschland, Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie sowie Oliver Krischer, stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion nahmen teil.
Unisono lobten die Teilnehmer die Arbeit der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, die unterschiedliche Interessensgruppen an einen Tisch gebracht hat und zu einem gemeinsamen Ergebnis gekommen ist. So hob Grünen-Fraktionsvize Krischer die „Konsensleistung“ der Kommission hervor, mit der sich Deutschland stark von politischen Prozessen anderswo in Europa unterscheide. Rolf Martin Schmitz betonte, dass die Bundesregierung nun schnell mit den betroffenen Unternehmen sprechen sollte, um den Prozess des Kohleausstieges zu gestalten und um so für Planungssicherheit zu sorgen. Nicht nur vor dem Hintergrund, dass Änderungen von Betriebsgenehmigungen mehrere Jahre dauern würden. Es geht vor allem auch um die Arbeitnehmer, für die viel auf dem Spiel stehe, und um die Wirtschaft, die auf eine sichere und bezahlbare Energieversorgung angewiesen sei.
Gleichwohl beurteilten die Teilnehmer der Diskussion die Empfehlung, bis zum Jahr 2038 aus der Kohleverstromung auszusteigen, als sehr große Herausforderung. Der Vizepräsident des Wuppertal Instituts Fischedick sprach von einer „Herkulesaufgabe“, Kapferer nannte die Pläne, nach dem absehbaren Ende der Kernenergie auch aus der Kohleverstromung auszusteigen, „unbestritten ambitioniert“. Seine Einschätzung zu einem vermeintlichen Enddatum: „Noch schneller erscheint mir nach derzeitiger Lage unrealistisch.“ Die Akzeptanzproblematik, der stockende Netzausbau sowie die Umsetzung der Pläne seien die eigentlichen Herausforderungen.
Der en:former ist für Sie vor Ort und begleitet die E-world energy & water vom 5. bis 7. Februar 2019. In verschiedenen Specials berichten wir über Innovationen, Trends und Kongresse. Bleiben Sie en:formiert!