13.300 Kilometer, ungefähr die Luftlinie zwischen München und Perth an der australischen Westküste: Mit dieser Länge könnte das deutsche Wasserstoffnetz im Jahr 2050 weit verzweigt Erzeugungsanlagen, Speicher und Industriestandorte sowie Ballungsräume miteinander verbinden. Bereits 2030 könnten 5.100 km Leitungen den Energieträger quer durch die Bundesrepublik transportieren. Ein Großteil der Strecken müsste noch nicht einmal neu gebaut werden. Das skizzieren die Fernleitungsnetzbetreiber (FNB Gas).
Die jüngsten Marktabfragen der Fernleitungsnetzbetreiber zeigen einen riesigen Bedarf für den schnellen Aufbau eines Wasserstoffnetzes für Deutschland. Inga Posch, Geschäftsführerin FNB Gas
Sie haben modelliert, wo vorhandene Gasleitungen umgerüstet werden können und wo neue entstehen müssten, um dem steigenden Wasserstoffbedarf gerecht zu werden. „Die Wasserstoffinfrastruktur kann zu vergleichsweisen niedrigen Kosten aus den bestehenden Gasnetzen entwickelt werden. Wo heute Erdgas fließt, können morgen Wasserstoff und andere grüne Gase fließen“, fasst Inga Posch, Geschäftsführerin der FNB Gas, zusammen.
Doch die Weichen dafür müssten schnell gestellt werden: „Damit die Fernleitungsbetreiber zielorientiert loslegen können, brauchen wir einen ganzheitlichen und verlässlichen Rechtsrahmen und eine integrierte Netzentwicklungsplanung.“
Dass die Nachfrage nach dem Energieträger schnell größer werden wird, darüber sind sich Experten spätestens seit der Verabschiedung der nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung im Sommer 2020 einig. Darin wird von einem Bedarf von 90 bis 110 Terawattstunden (TWh) bis 2030 ausgegangen. Ein Großteil davon könnte durch Pipelines direkt von Erzeugungsstandorten zu den Abnehmern gelangen.
Der Vorteil gegenüber anderen Transportlösungen wie Straße, Schiene oder Schiff: Erdgasleitungen lassen sich nach Einschätzung der FNB Gas grundsätzlich vergleichsweise kostengünstig auf Wasserstoff umstellen. Und mit Leitungen lassen sich große Mengen Wasserstoff kontinuierlich bereitstellen. Zwar müsse noch im Detail geprüft werden, welche Veränderungen im Einzelfall zum Beispiel an Armaturen und Dichtungen vorgenommen werden müssten. Denn H2 wird unter höherem Druck transportiert als Erdgas. Die Umrüstung ist laut den Experten aber deutlich günstiger als ein Neubau. Und die Genehmigungen und Wegerechte für Gasleitungen gelten nach der letzten EnWG-Novelle auch für Wasserstofftransport.
Bei ihren Berechnungen stützen sich die FNB Gas auf Studien, zum Beispiel von der Deutschen Energieagentur (dena), sowie eigene Marktabfragen. 2030 erwarten sie einen H2-Bedarf von 71 TWh. Einen Pipeline-Anschluss benötigen den Experten zufolge dann vor allem Industriestandorte in den Sektoren Stahl, Chemie und Raffinerien. Sie sind unter anderem in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie in Bayern, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt angesiedelt.
Oft sind Kavernenspeicher in den Regionen vorhanden, in denen der Energieträger zwischengespeichert werden könnte. Das würde die Produktion unabhängiger vom Verbrauch machen und sie könnte sich stärker an der Energieerzeugung aus Erneuerbaren und den Preisen am Stromgroßhandelsmarkt orientieren.
Die benötigten Wasserstoffmengen könnten von Elektrolyseuren, die an die Offshore-Windparks vor den Küsten Niedersachsens und Schleswig-Holsteins angeschlossen sind, ins Netz fließen. Außerdem könnten Importe aus Dänemark, den Niederlanden, Spanien, Portugal oder Norwegen im deutschen Netz verteilt werden.
Insgesamt würden 5.100 Pipeline-Kilometer benötigt, um Erzeugungsanlagen, Speicher und Endabnehmer miteinander zu vernetzen. 3.700 davon könnten durch umgerüstete Erdgasleitungen abgebildet werden. Daraus ergeben sich Investitionskosten für Um- und Neubau von etwa sechs Milliarden Euro.
Bis zum Jahr 2050 werden den Vorhersagen zufolge neben der Industrie mit 340 der prognostizierten 504 TWh auch die Bereiche Verkehr (95 TWh, davon 89 über Pipelines) und Wärme (58 TWh) einen erheblichen Wasserstoffbedarf haben. Entsprechend dichter muss dann das Transportnetz sein – so werden zum Beispiel Leitungen entlang von Autobahnen benötigt, um die Versorgung von Schwerlastwagen zu sichern. Die Experten sehen aber die Möglichkeit, für bis zu 11.000 der voraussichtlich benötigten 13.300 km umgerüstete Erdgasleitungen zu nutzen. Die Investitionskosten lägen dann bei circa 18 Milliarden Euro.
Inga Posch betont, dass der Netzausbaubedarf laut Marktabfragen „riesig“ sei. Und sie sieht darin eine Chance: „Wenn wir heute den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft und die Umstellung des Netzes ganzheitlich und mit Nachdruck angehen, verschafft sich Deutschland deutliche Wettbewerbsvorteile.“