Bei der zunehmenden Elektrifizierung des Verkehrs spielen Batterien eine entscheidende Rolle. Momentan stammen die meisten Lithium-Ionen-Batteriezellen von asiatischen Lieferanten, doch in Europa hat eine ehrgeizige Aufholjagd begonnen. Politik und Industrie wollen nicht länger abhängig von Importen sein und bauen die Produktionskapazitäten massiv aus. In Teil 1 einer Miniserie hat der en:fomer die Ausbaupläne in Deutschland analysiert, aufgrund seiner Automobilindustrie dem in Zukunft wichtigsten Markt auf dem Kontinent. Im zweiten Teil stellen wir Projekte in anderen europäischen Ländern vor.
Europäische Unternehmer sind elektrisiert: In den kommenden Jahren wird die Batterie-Branche in Europa stetig wachsen. Zahlreiche Firmen setzen auf Lithium-Ionen Zellen. Einige von ihnen sind als Joint Ventures oder Tochtergesellschaften aus Automobil- und Technologiekonzernen hervorgegangen, andere wurden gerade erst neu gegründet. Gleichzeitig drängen etablierte asiatische Hersteller auf den neuen Markt. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Benchmark Mineral Intelligence (BMI) soll die Produktionskapazität 2030 bei 300 Gigawattstunden (GWh) liegen. Einige Länder wollen sich dabei zu regelrechten Batterie-Hochburgen entwickeln.
Die skandinavische Halbinsel entwickelt sich nicht nur zu einem wichtigen Standort für die europäische Batterieproduktion, sondern auch zum Innovationszentrum. In Norwegen und Schweden verfolgen aktuell gleich mehrere Unternehmen ambitionierten Pläne. Sie wollen die günstigen Voraussetzungen Skandinaviens nutzen: Dank des von Wind- und Wasserkraft dominierten Strommixes können Akkus mit geringem CO2-Fußabdruck hergestellt werden. Dazu gibt es natürliche Vorkommen von wichtigen Rohstoffen wie Grafit und Nickel. Alle Unternehmen aus der Übersicht planen außerdem, neue Technologien zu erforschen. Sie wollen leistungsfähigere, kostengünstigere und ressourcenschonendere Batteriespeicher für den europäischen Markt entwickeln.
Das erst 2020 gegründete norwegische Start-Up Morrow Batteries plant eine Batteriezellfabrik mit einer Kapazität von 32 GWh in der südnorwegischen Region Agder. Im Eyde Energipark, einem Industriepark in der Gemeinde Arendal, finden die Gründer dafür eine verkehrsgünstige Lage (Hafen, Flughafen) vor. 2023 soll der Bau der Fabrik beginnen. Die erste von vier geplanten Ausbaustufen mit je acht GWh soll bereits 2024 fertig werden. Insgesamt sollen dabei nach eigenen Angaben bis zu 10.000 Jobs in der Region entstehen.
Das norwegische Energieunternehmen Agder Energi und der Investor Bjørn Rune Gjelsten gründeten Morrow Batteries. Zu den Partnern gehören außerdem nationale Forschungsinstitute. Gemeinsam wollen sie sich nicht nur auf die Produktion von Lithium-Ionen-Zellen für Autos und Schiffe spezialisieren, zum Werk wird auch ein Forschungszentrum gehören. Dort möchten sich Experten mit der Lithium-Schwefel-Technologie beschäftigen und dazu Altmaterialien aus der norwegischen Ölindustrie verwenden. Die Unternehmer haben zudem angekündigt, bei der Akku-Herstellung neue, nachhaltige Wege gehen zu wollen.
Hoch im Norden liegt die selbsternannte „grüne Industriehauptstadt“ von Norwegen, Mo i Rana. Seit über 100 Jahren prägt die Schwerindustrie die Region. Nun plant die norwegische Batteriefirma FREYR dort eine Akkufabrik in Zusammenarbeit mit dem Zellspezialisten 24M Technologies. Das Unternehmen hat eine neue, kostengünstige Herstellungsmethode für Lithium-Ionen-Zellen entwickelt.
Diese sind einfacher aufgebaut und verwenden ein halbfestes Elektrolyt statt eines flüssigen. 2025 soll die Produktion dieser „Semi Solid“-Zellen in Mo i Rana mit einer Kapazität von 40 GWh starten, wie FREYR mitteilt. Der Strom für das Werk wird unter anderem aus den Wind- und Wasserkraftanlagen vor Ort kommen. Schon bevor die „Gigafactory“ den Betrieb aufnimmt, will das Start-Up in einer zwei GWh „Fast Track“-Anlage erste Batterien fertigen.
Peter Carlsson gründete das Unternehmen Northvolt 2016, heute hat er bereits über 500 Angestellte. Der ehemalige Tesla-Manager setzt auf nachhaltig produzierte Lithium-Ionen-Akkus und findet Abnehmer in großen Konzernen wie Volkswagen (VW) – die Gruppe besitzt außerdem Anteile an Northvolt. Im nordschwedischen Skellefteå baut er gerade seine erste „Gigafactory“. Sie wird noch 2021 in Betrieb gehen.
Die Herstellung von Material, die Montage der Zellen sowie das Recycling – all das passiert am Hauptstandort des Unternehmens künftig unter einem Dach. Mit einer Kapazität von bis zu 40 GWh in der letzten Ausbaustufe wird das Werk zu den größten in Europa gehören. Regenerative Quellen werden die riesigen Strommengen für die Produktion komplett abdecken. Die Fabrik dient als Blaupause für eine zweite in Salzgitter, die ab 2024 unter anderem Batterien für die E-Autos von VW herstellen wird.
Die Autoindustrie ist traditionell ein wichtiger Faktor der britischen Wirtschaft. Mehr als 1,3 Millionen Autos laufen jedes Jahr dort vom Band, die meisten davon sind für den Export gedacht. Neben heimischen Marken wie Mini oder Rolls Royce haben auch asiatische Hersteller wie Nissan und Toyota Werke auf der Insel. Zuletzt ging die Produktion jedoch zurück. Die Ansiedlung von Batteriefabriken könnte dem Trend entgegenwirken und neue Arbeitsplätze schaffen. So plant etwa Nissan, das Akkuwerk in der Hafenstadt Sunderland auszubauen, auch wenn ein Teil der Auto-Produktion nach Japan verlagert werden soll. Abnehmer im Inland, die Nähe zum EU-Markt und der grüne Strommix (mit einem wachsenden Anteil von Offshore-Wind) sprechen für das Vereinigte Königreich als Standort.
In Sunderland im Nordosten Englands gibt es bereits seit 2012 eine Fabrik, die das Nissan-Werk nebenan mit Batterien beliefert. Die ehemalige Nissan-Batterietochter AESC, die inzwischen zur chinesischen Envision Group gehört, fertigt dort unter dem Firmennamen Envision AESC Akkus für die E-Autos des japanischen Fahrzeugherstellers. Nach Angaben des Unternehmens liegt die Kapazität bei 1,9 GWh. In den kommenden Jahren soll die Produktion erweitert werden. Eine von der britischen Regierung finanzierte Machbarkeitsstudie soll das Potenzial des Standorts bewerten.
Mit Britishvolt drängt ein weiteres Start-Up auf den europäischen Batteriemarkt. Das Unternehmen plant ein Werk in der englischen Kleinstadt Blyth in Northumberland. Bereits im Sommer 2021 sollen die Bauarbeiten auf dem Gelände eines ehemaligen Kohlekraftwerks beginnen. 2023 will das Unternehmen dort die ersten Lithium-Ionen-Batterien herstellen. Dazu ist ein Investment von 2,6 Milliarden Pfund vorgesehen – eines der größten in der Geschichte der britischen Industrie. Über die geplante Kapazität macht Britishvolt keine Angaben, es handle sich aber um die „erste Gigafactory des Vereinigten Königreichs“.
Blyth, einst eine bedeutende Hafenstadt, bietet der Firma gute Bedingungen. Die Lage direkt an der Mündung des River Blyth in die Nordsee ist für Exporte günstig. Strom für die Produktion liefern Erneuerbaren Energie, vor allem Wasserkraft aus Norwegen. Blyth ist über den längsten Interkonnektor der Welt, den North Sea Link, unmittelbar an die skandinavische Energieversorgung angeschlossen.
Viele Autokonzerne bauen ihre Fahrzeuge in Osteuropa, auch weil sie von niedrigeren Lohn- und Produktionskosten profitieren. Diese Vorteile und die Nähe zu Abnehmern locken nun auch Batterieproduzenten an. Asiatische Unternehmen expandieren vorzugsweise nach Polen oder Ungarn. Dort können sie zu günstigen Konditionen Teil einer aufstrebenden Branche werden. Weil der Strommix in den osteuropäischen Ländern stark von fossilen Energieträgern geprägt ist und Erneuerbare bisher kaum eine Rolle spielen, ist die Zellproduktion dort allerdings sehr CO2-intensiv.
In Breslau, im Südwesten von Polen, hat der südkoreanische Chemiekonzern LG Chem seinen Europa-Sitz. Schon heute entstehen in der Fabrik auf 50 Produktionsstraßen Lithium-Ionen-Zellen und komplette Batteriepacks. Die Kapazität liegt bei 15 GWh und soll in den kommenden Jahren stetig steigen – auf mindestens 65 GWh. Akkus von LG sind unter anderem in E-Autos von VW, Renault und Hyundai verbaut. Neben dem polnischen Werk gehören auch Standorte in Südkorea, China und den USA zum Konzern.
Eine weitere „Gigafactory“ entsteht in der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Der Batterieproduzent InoBat Auto möchte noch 2021 mit der Pilotfertigung der ersten Zellen beginnen. 2024 soll der Baustart einer zehn-GWh-Fabrik sein. In einem Forschungszentrum in der Gemeinde Voderay, ebenfalls in der Slowakei, will die Firma Zellen entwickeln, die auf die individuellen Leistungsanforderungen der Kunden abgestimmt sind. Das Werk in Bratislava soll bis zu 240.000 dieser „maßgeschneiderten“ Batterien für die Autoindustrie liefern. InoBat Auto befasst sich außerdem mit dem Thema Recycling. Das Unternehmen plant eine kommerzielle Anlage, die Batterieschrott verarbeitet und Rohstoffe zurückgewinnt.
Erst eins, dann zwei, jetzt drei? So viele Fabriken will der südkoreanische Batteriehersteller SK Innovation in Ungarn bauen. In der Stadt Komárom im Norden Ungarns gibt es bereits ein 7,5-GWh-Werk für Lithium-Ionen-Akkus, ein weiteres soll bis 2022 dort entstehen. Während der Bau gerade erst begonnen hat, gibt die Firma bekannt, nach einem geeigneten Standort für ein drittes Werk in Ungarn zu suchen. Das osteuropäische Land beherbergt auch Produktionsstandorte von Daimler und Audi und ist deshalb attraktiv für Zellspezialisten wie SK Innovation.
Mit Samsung nutzt noch ein südkoreanischer Technologiekonzern die Standortvorteile in Ungarn. 2018 hat das Unternehmen eine frühere Produktionsanlage für Fernseher in Göd in der Nähe von Budapest in eine Batteriefabrik umgebaut. Die Fertigung ist bereits angelaufen, das Werk soll aber weiterwachsen und die Kapazität von drei auf 15 GWh steigen.
Solche ambitionierten Ausbaupläne wie in Skandinavien und in Osteuropa existieren im Südwesten des Kontinents nicht in dieser Form. Dennoch gibt es auch dort erste Projekte: In Frankreich etwa entsteht neben einigen Forschungszentren gerade die erste „Gigafactory“, in Italien steht der Baustart einer Zellfabrik unmittelbar bevor und die PSA-Gruppe setzt in Spanien Lithium-Ionen-Zellen aus China in den ersten Autowerken zu Batteriepacks zusammen.
Die südlichste Fabrik in unserer Übersicht entsteht in Italien. In der Stadt Teverola nordwestlich von Neapel plant der italienische Batterieproduzent FAAM, der auf eine lange Tradition zurückblicken kann, einen Komplex aus zwei Werken. Im ersten Quartal 2021 soll der Bau des ersten Abschnitts beginnen. Die Kapazität wird nach Angaben des Unternehmens bei 300 MWh liegen. Bis 2027 entsteht auf dem Gelände ein weiterer Block. Er soll zunächst für Forschung und Entwicklung genutzt werden. Später ist die Produktion von Lithium-Ionen-Zellen in einer Größenordnung von 2,5 bis drei GWh geplant.
Die Total-Tochter Saft und die PSA-Groupe, Mutterkonzern des Autobauers Opel, bauen an zwei Standorten gleichzeitig: Im deutschen Kaiserlautern und im nordfranzösischen Douvrin. Beide Fabriken werden im Endausbau über eine Kapazität von 24 GWh verfügen. 2024 sollen die ersten E-Auto-Batterien vom Band laufen.
Das französische Wirtschaftsministerium und das deutsche Forschungsministerium subventionieren das Vorhaben: Mindestens 1,3 Milliarden Euro Fördergelder fließen in das 5-Milliarden-Euro-Projekt des Joint-Ventures Automotive Cells Company (ACC). Die „Gigafactories“ sollen nicht nur Europas Unabhängigkeit von asiatischen Herstellern sichern. Bei der Akku-Produktion wird laut ACC 35 Prozent weniger CO2 freigesetzt als in China oder Südkorea.