Der britische Stromverbrauch dürfte in den nächsten Jahren konstant bleiben – muss aber schon bald ohne Kohle gedeckt werden: Die Regierung plant den Ausstieg bis 2025. Weil Kernkraftwerke kurzfristig nicht zu Verfügung stehen, ist der Investitionsbedarf auf der Insel enorm. RWE will den Standort Tilbury deshalb mit einem hochmodernen Gaskraftwerk wiederbeleben.
Fast 50 Jahre lang gab es am Standort Tilbury ein Kohlekraftwerk. 2010 rüstete RWE dieses auf Biomasse um. Wegen geänderter politischer Rahmenbedingungen nahm RWE die Anlage jedoch nach rund zwei Jahren wieder vom Netz. Die Rückbauarbeiten dauern bis heute an, Ende des Jahres sollen sie abgeschlossen sein. Nun steht ein Comeback für den Kraftwerksstandort östlich von London bevor: Nach den Plänen von RWE soll an dieser Stelle ein flexibles, modernes und emissionsärmeres Kraftwerk auf Basis von Erdgas entstehen – das Tilbury Energy Centre (kurz: TEC). Das Projekt befindet sich noch in der Planungsphase, eine endgültige Entscheidung des Staatssekretärs für Energie und Klimawandel wird 2019 erwartet.
Das RWE-Projekt ist ein wichtiger Bestandteil der sich grundlegend verändernden Energie-Erzeugung im Vereinigten Königreich: Viele konventionelle Kraftwerke werden in den nächsten Jahren schließen, die Kohleverstromung soll 2025 enden.
In das neue emissionsarme, flexible und sichere Energienetzwerk investiert Großbritannien Rekordsummen, vor allem in erneuerbare Energien sind bereits Milliarden von Pfund geflossen. Der Anteil von Wind, Solar und Biomasse an der Stromerzeugung ist in den vergangenen Jahren so deutlich gestiegen, 2017 betrug er rund 30 Prozent. Es bedarf jedoch ergänzender Energiequellen, damit die Schwankungen der regenerativen Stromproduktion abgesichert und die Versorgungssicherheit gewährleistet ist.
Ein Beispiel verdeutlicht das: Wie die Grafik zeigt, ist an den zehn sonnigsten Tagen im Jahr die durchschnittliche Grundlast in Großbritannien von immer stärker werdenden Schwankungen betroffen. Konventionelle Kraftwerke müssen ihre Produktion also innerhalb kürzester Zeit hoch- und herunterfahren können, um auf kurzfristige Veränderung bei Sonne und Wind zu reagieren. Und der Bedarf nach flexibler Stromerzeugung wird mit dem geplanten Ausbau der erneuerbaren Energien weiter steigen. Die britische Regierung hat zur Unterstützung deshalb auf einen Kapazitätsmarkt aufgebaut: Stromerzeuger dafür vergütet, dass sie Kapazitäten für Knappheitsfälle bereithalten.
Aus diesem Grund investiert RWE in Tilbury rund eine Milliarde britische Pfund, um ein modernes Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk (GuD) zu bauen. Diese Art von Anlagen vereinen zwei Technologien zur Stromerzeugung: Zunächst wird ein Sauerstoff-Erdgas-Gemisch in einer Gasturbine verbrannt. Diese treibt einen Generator an. Die heißen Abgase der Gasturbine werden zudem genutzt, um Wasserdampf zum Antrieb einer Dampfturbine zu erzeugen, die ebenfalls mittels eines Generators Strom erzeugt. Das große Plus dieser Technik: Der eingesetzte Energieträger Erdgas wird praktisch doppelt genutzt. Der Wirkungsgrad dieser modernen GuD-Anlagen liegt bei fast 60 Prozent.
Das Gas wird über eine neue, drei Kilometer lange Pipeline zum Kraftwerk geführt. Die Lage bietet viele Vorteile: Der Standort profitiert von der existierenden Infrastruktur, mit der Anbindung zum Hochspannungs- sowie Gasnetz. Zudem hat er direkten Zugang zum Kühlwasser der Themse und exzellente Verkehrsverbindungen via Straße, Fluss und Meer. Pläne für ein GuD-Kraftwerk mit einer Leistung von bis zu 2.500 Megawatt sind in der Entwicklung. Um flexibel auf einen möglichen höheren Energiebedarf reagieren zu können, wird der Bau um eine zusätzliche offene Gasturbine ergänzt, die innerhalb weniger Minuten weitere 300 Megawatt Energie liefern kann. Insgesamt reicht die Kapazität des neuen Tilbury Energy Centre aus, um drei Millionen Haushalte zu versorgen.
Das TEC wird noch ein besonderes Highlight aufweisen: Als Baustein der Versorgungssicherheit ist es eine der Hauptaufgaben der Anlage, flexibel und schnell auf die Frequenzschwankungen im Versorgungsnetz zu reagieren. Ein 100 Megawatt fassender Batteriespeicher, der direkt am Kraftwerksstandort integriert wird, soll diesen Prozess noch effizienter machen. Mit Hilfe dieses Speichers kann überschüssige Energie in Sekundenbruchteilen zwischengelagert und bei Bedarf wieder ins Netz eingespeist werden.