Die Nachricht sorgte weit über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen: Mitte Juni erteilte die Regionalregierung der Kanarischen Inseln dem norwegischen Energiekonzern Equinor die Erlaubnis, Windräder auf schwimmenden Fundamenten vor der Küste Gran Canarias zu errichten. Das Projekt mit 200 Megawatt (MW) wäre der weltweit größte schwimmende Offshore-Windpark. Und es wäre das erste Mal, dass ein solcher im großen kommerziellen Maßstab gebaut und betrieben wird. Der momentan größte Windpark Hywind Scotland, auch im Besitz von Equinor, hat eine sehr viel geringere Gesamtleistung von 30 MW. Das norwegische Unternehmen plant Investitionen von rund 860 Millionen Euro für das Projekt vor den spanischen Inseln, das im Jahr 2024 in Betrieb gehen sollen.
Doch nicht nur Equinor, auch viele andere Unternehmen setzen auf die sogenannte Floating-Technologie (Englisch: schwimmend). Denn Windräder auf schwimmenden Fundamenten besitzen nach Einschätzungen von Experten riesiges Potential. „Durch die Floating-Technologie können ganz neue Regionen erschlossen werden“, sagt Stephan Barth, Geschäftsführer von ForWind, dem Zentrum für Windenergieforschung der Universitäten Oldenburg, Hannover und Bremen. Windräder mit festem Fundament lassen sich nur in Tiefen bis zu 60 Metern wirtschaftlich betreiben. „Doch gerade an asiatischen und amerikanischen Küsten nimmt die Wassertiefe rapide zu“, erklärt Barth. So falle beispielsweise in Japan die Küste steil ab. Die Folge: Windkraftanlangen mit festem Fundament sind dort nicht einsetzbar.
Doch auch in Europa befinden sich laut WindEurope, dem europäischen Verband der Windindustrie, circa 80 Prozent der Gebiete, die für die Offshore-Windkraft geeignet sind, in Meerestiefen von mehr als 60 Metern. Das betrifft zum Beispiel die Atlantikküste Frankreichs, Portugals und Spaniens. Zudem sind Windgeschwindigkeiten höher und regelmäßiger, je weiter der Standort von der Küste entfernt ist. Das bedeutet, dass schwimmende Windparks über das Jahr hinweg mehr Strom erzeugen und eine höhere Auslastung haben als welche mit festen Fundamenten. Einem Artikel von Power Technologie zufolge, einer Informationsplattform für die Energiewirtschaft, haben die fünf Windräder von Hywind Scotland, die seit Herbst 2017 in Betrieb sind, eine Auslastung von 65 Prozent der maximalen Leistung und damit die Erwartungen deutlich übertroffen.
Neben dem Windpark vor der schottischen Küste existiert bisher eine überschaubare Zahl von Floating-Anlagen. Es handelt sich zumeist um Pilotanlagen in Asien und Europa, die zur Erprobung der Technologie genutzt werden, mit einer Leistung im einstelligen Megawatt-Bereich (diese interaktive Karte von WindEuropa bietet eine Übersicht). Doch das wird sich in den kommenden Jahren ändern. WindEurope listet mehr als 50 FOW-Projekte (Floating Offshore Wind) weltweit in unterschiedlichen Entwicklungsphasen auf. In Europa werden in den kommenden zwei Jahren voraussichtlich sechs Windparks bzw. Einzelanlagen in Betrieb gehen – unter anderem vor der Küste Großbritanniens, Spaniens und Portugals. Es sind Pilotprojekte mit einer Leistung zwischen einem und 49 MW, mit denen die Technik weiterentwickelt werden soll. Marktfähig sind sie nicht.
Denn es ist überaus aufwendig, Windräder zum Schwimmen zu bringen. Der Rotordurchmesser liegt in der Regel jenseits der 100 Metern, das Gewicht beträgt Hunderte von Tonnen. Die Giganten werden mit Schwimmkörpern aus Stahl und Beton, die bis zu 80 Meter in die Tiefe ragen können, über Wasser gehalten. Eine andere Möglichkeit: Sie schwimmen mithilfe von aufwendigen Ballastierungssystemen, in den Wasser hin und her gepumpt wird.
„Floating-Anlagen sind bislang deutlich teurer als fest installierte“, erklärt Windkraftexperte Barth. Zwar werden handelsüblichen Turbinen verwendet, die schwimmenden Fundamente sind aber Einzelstücke, die extra angefertigt werden müssen. Diese Sonderanfertigungen werden in Schiffswerften gefertigt und können in der Regel nur in besonders tiefen Häfen aufgerichtet werden, wie die FAZ in einem umfangreichen Artikel berichtet. So wurden die fünf Windräder von Hywind Scotland in Norwegen gebaut, aufgestellt und dann zu ihrem Einsatzort vor der schottischen Ostküste geschleppt, weil es in Schottland keinen geeigneten Hafen gibt.
Die Kosten sind aus diesen Gründen sehr viel höher als bei der Serien-Fertigung, die sich auch im Offshore-Bereich immer mehr durchsetzt. „Floating-Technologien befinden sich am Anfang der Lernkurve“, sagt ForWind-Mann Barth. Mit steigenden Investitionen in dem Bereich und höheren Stückzahlen dürften die Kosten deutlich sinken, ist sich der Experte sicher.
Ein Projekt hat es sich ausdrücklich zum Ziel gesetzt, die Kosten für schwimmende Fundamente zu senken. Beteiligt ist das Essener Unternehmen innogy. Zusammen mit dem Mineralölkonzern Shell und der dänischen Firma Stiesdal Offshore Technologies A/S (SOT) möchte der Energieversorger das sogenannte Tetraspar-Konzept erproben. Es handelt sich dabei um eine Stahlrohr-Tragstruktur mit darunter hängenden Kiel, die von der dänischen Firma SOT entwickelt wurde. Der Kiel gibt der Struktur die notwendige Stabilität, damit diese bei hoher Windgeschwindigkeit und starkem Wellengang nicht kentert. Ähnliche Konzepte werden beispielsweise bereits für Ölplattformen verwendet.
Im Vergleich zu anderen schwimmenden Fundamenten wird dank der Stahlrohr-Struktur deutlich weniger Material verwendet. Zudem ist ein wesentlicher Vorteil, dass die Montage der Windturbine in geringer Wassertiefe direkt von der Kaikante aus erfolgen kann, erklärt eine innogy-Sprecherin. Die Komponenten des Fundaments werden im dänischen Hafen Greena montiert und anschließend zu Wasser gelassen, mithilfe eines Krans wird die Turbine (eine 3,6-MW-Offshore-Windturbine des Herstellers Siemens Gamesa) dann auf dem schwimmenden Fundament befestigt.
Von Greena aus transportiert ein Schlepper das schwimmende Windrad zum Teststandort circa zehn Kilometer vor der norwegischen Küste in der Nähe von Stavanger. Dort wird der Kiel mittels Ballastes in seine hängende Position abgesenkt, die Struktur mit drei Ankerketten am Meeresboden in 200 Metern Tiefe verankert sowie anschließend über ein Kabel mit dem Stromnetz verbunden.
Dieses Jahr werden die Bauteile gefertigt, 2020 soll die Anlage in Betrieb gehen. Für das Pilotprojekt sind rund 18 Millionen Euro eingeplant. „Wir erhoffen uns von der Konstruktion deutliche Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Konzepten, unter anderem aufgrund effizienterer Fertigungs-, Montage- und Installationsprozesse sowie geringerer Materialkosten“, sagt die Sprecherin von innogy.
Solche Floating-Anlagen haben zudem den Vorteil, dass die Installation vereinfacht werden kann, erklärt Windkraftexperte Barth. Im Fall von TetraSpar kann die gesamte Anlage im Hafen zusammengebaut werden, während bei Windrädern mit festem Fundament Spezialschiffe zum Einsatz kommen. Nachdem der Meeresboden umfangreich untersucht worden ist, rammen diese Stahlrohre tief in den Untergrund. Turm, Turbine und die Flügel werden dann mit Hilfe von großen Kranschiffen installiert. Ihr Einsatz, der mit hohen Kosten verbunden ist, ist durch schlechtes Wetter und hoher Wellengang gefährdet.
Klar ist: Schwimmende Windräder können neue Regionen für die Windkraft erschließen und die Logistik deutlich vereinfachen. Dazu müssen sie allerdings preiswerter werden. Eine Massenfertigung von standardisierten Bauteilen könnte das ermöglichen. Dann wären schwimmende Windräder keine große Nachricht mehr.