Widerstand erzeugt Reibung, und Reibung bedeutet in aller Regel einen Effizienzverlust. Das gilt in der Physik wie in der Volkswirtschaft. Die ökonomischen Folgen des Widerstands gegen die Energiewende hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE mithilfe eines selbst entwickelten Simulationsmodells berechnet.
Die Ergebnisse sind nicht unbedingt überraschend: Die technischen Möglichkeiten seien vorhanden, heißt es. Doch je größer die Widerstände, desto höher steigen die Kosten, denn die Reduktion der Treibhausgasemissionen von 95 Prozent bis 2050 wird in allen simulierten Szenarien erreicht, jedoch auf unterschiedliche Weise.
Trotz der grundsätzlich erwartbaren Ergebnisse, ist die Studie auf mehrere Weise interessant. Zum einen gibt sie den unterschiedlichen Entwicklungspfaden Preisschilder, die – wenn sie auch keine exakte Prognose sein können – einen Eindruck vermitteln, um welche Größenordnungen es gehen könnte. Dafür haben die Forscher vier Grundszenarien entwickelt, die sich in der Art und Weise unterscheiden, wie die Gesellschaft sich zum Umbau des Energiesystems stellt, deren jährliche Kosten bis 2050 nach Berechnungen der ISE-Forscher zwischen 440 und 2.330 Milliarden Euro betragen könnten.
1. Das Szenario „Referenz“ definieren die Forscher als eine Art Mittelweg ohne ausgeprägte Hindernisse oder Beschleuniger der Energiewende.
2. Im Szenario „Beharrung“ halten viele Menschen an alten Gewohnheiten und Technologien fest. Energieeffiziente Alternativen werden kaum genutzt.
3. In Szenario „Inakzeptanz“ herrschen starke Widerstände gegen den Bau großer Infrastrukturen wie Windparks und Stromnetze.
4. Im Szenario „Suffizienz“ lassen sich die Menschen mehrheitlich auf die Energiewende ein, senken ihren Energieverbrauch nicht unbedingt durch Verzicht, aber durch Verhaltensänderung und die Nutzung neuer Technologien – insbesondere in der Gebäudesanierung und im Verkehr.
In allen Szenarien sinkt der Primärenergiebedarf. Das aber hängt keineswegs allein mit der steigenden Effizienz der Endgeräte zusammen.
Unter der Annahme, dass die Menschen die Energiewende mehrheitlich mittragen, neue Technologien nutzen und dass Großprojekte zügig umgesetzt werden können, liegen die Kosten für den Umbau des Energiesystems in der Simulationsrechnung am niedrigsten: 440 Milliarden Euro, das wären rund 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von 2019. Scheitert hingegen der Bau von Großprojekten am Widerstand der Bevölkerung, verdreifacht sich der Betrag.
Das liegt unter anderem daran, dass kleine Photovoltaik-Dachanlagen dann effizientere Windparks ersetzen müssen. Außerdem wird die zehnfache Menge an Speicherkapazität benötigt, um Schwankungen auszugleichen, weil ein verzögerter Netzausbau den regionalen Ausgleich sowie Stromimporte limitiert.
Noch höher, bei bis zu 2,0 Prozent des BIP von 2019, liegen die simulierten Kosten, wenn man davon ausgeht, dass die Menschen energieeffiziente Alternativen zur heutigen Energieversorgung ablehnen. Das bedeutet insbesondere, dass sie weiterhin Autos mit Verbrennungsmotoren fahren und die energetische Gebäudesanierung aufschieben oder herkömmliche Systeme wie Gasthermen neu installieren. Um die Emissionsziele dennoch zu erreichen, müsste Deutschland dann in große Mengen emissionsneutrale Brennstoffe importieren.
Die wohl wichtigste Botschaft der Studie formuliert das Fraunhofer ISE deshalb so: „Gesellschaftliches Verhalten erweist sich als ein maßgeblicher Faktor für den Weg, den die Energiewende durchläuft, und für die Kosten des Systemumbaus.“
Darin schwingt ein weiterer aufschlussreicher Punkt der Studie mit: Wie muss das Energiesystem gestaltet werden, um im Jahr 2050 den Emissionsgrenzwert von fünf Prozent des Referenzjahres 1990 möglichst kostengünstig einzuhalten? Und: Wo liegt das monetäre Sparpotenzial?
Die ISE-Simulation spricht hier eine deutliche Sprache: Am meisten kann jeder Einzelne durch persönliches Verhalten dazu beitragen, die Kosten niedrig zu halten. Denn den größten Einfluss haben die Gestaltung des Verkehrs und des Gebäudesektors. Hier kommen individuelle Konsumentscheidungen in hohem Maße zum Tragen. Aber die Ergebnisse lassen auch den Schluss zu, dass der Gesetzgeber gefragt ist, Genehmigungen zügiger zu erteilen und klare Normen dafür zu schaffen.
In ihrer 66-seitigen Studie legen die ISE-Forscher detailliert die Annahmen und Prognosen für die verschiedenen Szenarien dar. Dabei erfährt der Leser viele Details über unser heutiges Energiesystem. Zum Beispiel, dass jeweils rund 30 Prozent des gesamten Endenergiebedarfs allein für Raumwärme und Trinkwarmwasser sowie für Prozesswärme aufgewendet wird, die beispielsweise in der Chemie-, Glas-, Baustoff- und Metallindustrie benötigt wird.
Eine Visualisierung der Szenarien finden Sie hier.
Bildnachweis: Fraunhofer ISE