„Geothermie kann über 20 Prozent des Wärmebedarfs abdecken“
schließen

Thema finden

Dürfen wir Sie en:formieren? Nutzen Sie unsere Filterung, um für Sie relevante Themen zu finden. Alternativ unterstützen Sie bei Ihrer Suche nach Themen unsere Suchfunktion sowie die Artikelübersicht.

Übersicht
Inhalte filtern
Übersicht
schließen

Suche

Häufig gesuchte Begriffe

Energiewende Emissionshandel Innovationen Kraftwerke RWE Versorgungssicherheit Batteriespeicher Elektrifizierung
Zurück zur Übersicht
[post-views]
„Geothermie kann über 20 Prozent des Wärmebedarfs abdecken“
Interview mit Rolf Bracke, Leiter des Fraunhofer IEG, über Geothermie-Forschung im Rheinischen Braunkohlerevier

Geothermie könnte in vielen Ländern einen signifikanten Beitrag zur Energiewende leisten. Dennoch fristet die Erdwärme in Deutschland bisher ein Schattendasein. Damit sich das ändert, baut die Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG nun ein Forschungszentrum am RWE-Standort Weisweiler nahe Aachen auf. Dort sollen die örtlichen Ressourcen erkundet und Technologien zu ihrer Nutzung entwickelt werden. Der en:former hat mit Institutsleiter Rolf Bracke über das Potenzial der Geothermie, ihre Einsatzbereiche und ihre Erkundung im Rheinischen Braunkohlenrevier gesprochen.

Herr Bracke, was genau wollen Sie in Weisweiler erforschen?

Rolf Bracke

Wir möchten in Weisweiler ein Technikum und ein Forschungskraftwerk für Georessourcen aufbauen, also für die Nutzung von Wärme aus dem Untergrund für alle Arten von technischen Zwecken: Fernwärme, Prozesswärme, Stromerzeugung und Kälteprozesse.

Was zeichnet das Rheinische Braunkohlenrevier als Standort für Tiefen-Geothermie aus?

Rolf Bracke

Wir  gehen davon aus, dass sich eine geologische Etage unter der Braunkohle natürliche Lagerstätten für Thermalwasser befinden. An einzelnen Stellen treten sie zu Tage, zum Beispiel in den Thermalquellen von Aachen und Burtscheid, in der Eifel oder auf belgischer Seite in Spa. Im übrigen Rheinischen Revier bis an die niederländische Grenze liegen diese Schichten deutlich tiefer. In einem ersten Schritt geht es jetzt darum, ihre Tiefenlage und Ausbreitung zu erkunden und nachzuweisen.

Im zweiten Schritt wollen wir diese Vorkommen erbohren und natürlich eine technische Nutzung vorbereiten. Wenn tatsächlich Thermalwasser in den nötigen Mengen und auf dem erhofften Temperaturniveau vorhanden ist, könnten Versorger wie RWE und STAWAG (Stadtwerke Aachen AG, d. Red.) diese Energie zum Beispiel zur kommunalen Wärmeversorgung im Städtedreieck Aachen-Düren-Jülich nutzen.

Welche Temperaturen erhoffen Sie sich denn?

Rolf Bracke

Unterschiedliche geologische Modelle sagen uns, dass die Thermalwasser führenden Kalkgesteine zwischen 2500 und 4500 Meter tief liegen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Temperatur Richtung Erdkern alle 100 Meter um 3 bis 3,5 Grad ansteigt, dürfen wir in einer Tiefe von 4000 Metern Temperaturen um die 150 Grad erwarten.

Wozu könnte die Wärme genutzt werden?

Rolf Bracke

Für die Wärmeversorgung von Städten, der Wohnungswirtschaft, des Gewerbes und der Industrie. Wenn wir jetzt mal von 140 Grad ausgehen, könnten wir die Wärme direkt für die kommunale Wärmeversorgung – etwa die Fernwärme von Aachen – nutzen. Mit Hochtemperatur-Wärmepumpen könnte man auch Prozesswärme oder Prozessdampf für die Industrie bis etwa 200 Grad erzeugen. Im Rheinischen Revier haben wir ja viele wärmeintensive Unternehmen: die Papierindustrie in Düren, Zuckerproduzenten im Raum Jülich oder auch metallverarbeitende Betriebe. Man könnte sogar mit Niedertemperaturverfahren wie ORC-Prozessen Strom erzeugen.

Können Sie ganz kurz ORC-Prozesse erklären?

Rolf Bracke

In einem Organic Rankine Cycle, kurz ORC, überträgt man Wärmeenergie aus Thermalwasser über Wärmetauscher auf einen kraftwerksinternen Kreislauf. Dieser Kreislauf enthält ein Arbeitsmittel, das bei einer deutlich niedrigeren Temperatur verdampft als Wasser. Das ist in der Regel eine organische Flüssigkeit wie Pentan, das man auch in Kühlschränken verwendet. Wenn man ein solches Medium mit Thermalwasser auf 140 Grad erhitzt, kann man mit dem erzeugten Dampf eine Turbine betreiben und Strom erzeugen.

Strom aus Geothermie gilt als grundlastfähig, er kann also bei Bedarf zu- und abgeschaltet werden. Wäre Geothermie auch flexibel genug, um Wind- und Solarenergie sinnvoll zu ergänzen?

Rolf Bracke

Sie ist ein Kandidat für die Stromerzeugung, derzeit aber kein wettbewerbsfähiger. Je nachdem, wie sich der Strommarkt noch entwickelt, könnte sich das ändern. Aktuell gehen wir aber davon aus, dass die Geothermie in der Breite den Wärmemarkt bedienen wird. Dieses Konzept verfolgen etwa die Wärmeversorger im Münchner Umland mit wirtschaftlichem Erfolg. Laut einer Studie des Institutes für Energie und Umweltforschung liegen die Wärmegestehungskosten für Geothermie dort mit rund 40 Cent pro Megawattstunden schon nahe denen von fossilen Kraftwerken mit 30 Cent. Der große Vorteil der Geothermie, der diese zukunftsfest macht, ist dabei, dass die Kosten unabhängig von Rohstoffpreisen und Kohlendioxidzertifikaten sind und zum großen Teil aus Investitions- beziehungsweise Technologiekosten bestehen. Und diese werden fallen, wenn die Technik in den Massenmarkt kommt.

Wir möchten aber auch auf der Stromseite vorbereitet sein, zumal das ein interessantes Feld für Deutschlands exportorientierte Wirtschaft ist. Denn außerhalb von Mitteleuropa – etwa in der Türkei oder in Mittelamerika – muss man nicht so tief bohren, um geothermische Ressourcen zu erschließen, und kann dort vergleichsweise wirtschaftlich auch Strom erzeugen.

Sie haben Oberbayern erwähnt, wo in der Nähe von München Geothermie bereits zur Strom- und Wärmeversorgung genutzt wird. Könnte man es in Weisweiler nicht einfach genauso machen?

Rolf Bracke

Die geologische Situation in Oberbayern ist ähnlich zu der im Rheinischen Revier. Das heißt, wir können mit ähnlichen, brunnenbasierten Systemen arbeiten. Allerdings hat die Region aufgrund der früheren geothermischen Exploration und durch die Erdöl- und Erdgasindustrie im Voralpenland einen Vorsprung von 20 Jahren. Unser Vorteil ist, dass etwa die Hälfte der dort in geothermischen Heiz- und Kraftwerken verbauten Systeme aus Nordrhein-Westfalen kommt. Das Know-how ist also schon da. Deshalb sehen wir in Weisweiler eine Möglichkeit, eine Entwicklungsplattform für Georessourcen einschließlich einer Prüf- und Testumgebung sowie einer Ausbildungsumgebung aufzubauen und das Know-how weiter auszubauen. Wir sprechen immerhin von zehn bis fünfzehn Arbeitsplätzen je Megawatt installierter Leistung Geothermie, die entlang einer zugleich exportorientierten Wertschöpfungskette von der Forschung bis zum Betrieb nötig wären.

Wenn die Geothermie einen signifikanten Beitrag zur Wärmewende leisten soll, brauchen wir also viele, viele Fachkräfte, die Ressourcen erschließen und die entsprechenden Anlagen weltweit bauen, warten und bedienen.

Wie groß ist denn das Potenzial der Geothermie in Deutschland?

Rolf Bracke

Wir haben in Deutschland einen jährlichen Endenergiebedarf von etwa 2500 Terawattstunden (TWh), davon sind 1400 TWh Wärmeenergie. Das Umweltbundesamt hat 2020 in einer Studie errechnet, dass in Süd- und Norddeutschland knapp 200 TWh geothermisches Potenzial allein für die Fernwärme zu Verfügung stünde. Einschließlich der Rhein-Ruhr-Region und industrieller Prozesswärme sind das etwa 300 TWh pro Jahr. Nimmt man das Potenzial für die Oberflächen-Geothermie, die vor allem zur direkten Wärmeversorgung von Gebäuden nutzbar ist, kann man von einer Energiemenge zwischen 300 und 500 TWh nutzbarer Geothermie ausgehen. Ich bin also so kühn zu behaupten, dass wir deutlich über 20 Prozent des deutschen Wärmebedarfs mit Geothermie abdecken könnten.

Wie geht es nun weiter in Weisweiler?

Rolf Bracke

Wir beginnen im Sommer 2022 mit einer 1500 Meter tiefen Erkundungsbohrung und bauen diese zu einem Geosphärenobservatorium aus. Damit wollen wir Prozesse im Untergrund des Rheinischen Reviers besser verstehen lernen. Im Winterhalbjahr 2022/23 wollen wir zudem den Untergrund mit geophysikalischen Verfahren bis auf 5000 Meter Tiefe durchschallen, um die Lage der wasserführenden Schichten zu erkunden und dreidimensional zu dokumentieren.

Günstige Ergebnisse der Erkundung vorausgesetzt, wollen wir bis 2025 die Produktionsbohrung angehen. Je nachdem, in welcher Tiefe die Thermalwasser liegen, geht es dann bis in etwa 4000 Meter Tiefe. Wenn wir dann nachweisen, dass sich die Lagerstätten zur geothermischen Nutzung eignen, ist es an Wirtschaftspartnern wie RWE das System auszubauen, sodass man mindestens eine Bohrung zur Förderung und die andere zur Rückführung des Thermalwassers nutzen kann. Diese Zeit sollte man nutzen, um parallel Über-Tage-Strukturen aufzubauen, die die Energie des Thermalwassers über Wärmetauscher auf überirdische Systeme übertragen, um sie nutzbar machen. Auf diese Weise könnte bis 2027 ein geothermales Heizkraftwerk in Weisweiler entstehen.

Wann wird also das erste Haus im Rheinischen Revier mit Geothermie gewärmt?

Rolf Bracke

Das hängt letztlich an den Investitionsentscheidungen der Versorgungsunternehmen. Unser Ziel ist es, ihnen die wissenschaftlichen Daten und technischen Möglichkeiten dafür so bereitzustellen, dass es im letzten Drittel des Jahrzehnts losgehen kann. Wenn dann das Braunkohlekraftwerk in Weisweiler abgeschaltet wird, könnten die bestehenden Fernwärmeleitungen von dort nach Aachen, Jülich und in andere Orte relativ schnell auf Geothermie umgestellt werden.

jetzt bewerten bereits bewertet

Mehr zu Versorgungssicherheit Forschung und Entwicklung Energiewende Energiewirtschaft