Zwischen Emsland und Ruhrgebiet entwickelt ein Verbund aus mehr als 25 Unternehmen, wie Wasserstoff ein Teil der alltäglichen Energieversorgung werden kann. Eines der Gründungsmitglieder der Initiative „GET H2“ ist der Gasfernleitungsnetzbetreiber Nowega. Im Interview mit dem en:former erklärt Geschäftsführer Frank Heunemann, warum Deutschland eine Wasserstoff-Infrastruktur braucht, warum sein Unternehmen zu den Pionieren gehören will und welche Unterstützung er von der Politik erwartet.
en:former: Herr Heunemann, Wasserstoff soll eine substanzielle Rolle in der Energieversorgung in Deutschland spielen. Dazu haben sich mehrere Regierungsmitglieder, einschließlich Bundeskanzlerin Angela Merkel, und auch die Bundesländer im Bundesrat bekannt. Aber seien wir ehrlich: Bisher ist das eher eine Vision denn ein Plan. Was kann GET H2 daran ändern?
Hinter GET H2 stehen Partner-Organisationen, die überzeugt davon sind, dass Wasserstoff ein Schlüsselelement der Energiewende ist. Unter dem Dach dieser Initiative führen wir verschiedene Projekte durch. Das zentrale Projekt nennen wir den „Nukleus“. Es basiert auf unserer Reallabor-Skizze für den Standort Lingen vom April 2019, geht aber schon jetzt darüber hinaus und bezieht Standorte im nördlichen Ruhrgebiet, Marl und Gelsenkirchen, mit ein.
Was konkret geschieht denn da?
In Lingen plant RWE den Bau einer Elektrolyseanlage, um grünen Wasserstoff aus Windstrom zu erzeugen. Der Wasserstoff wird dann an z.B. die BP-Standorte in Lingen und Gelsenkirchen sowie an den Chemiepark in Marl geliefert. Der Transport erfolgt über bestehende Leitungen der Evonik Technology & Infrastructure, Open Grid Europe und unsere Netze, die auf den Wasserstofftransport umgestellt werden. Wir nutzen also eine bestehende Infrastruktur, um das System möglichst zeitnah zum Laufen bringen. Voraussetzung ist aber, dass die entsprechenden Investitionen wirtschaftlich sind.
Wasserstoff ist das kleinste Molekül im Periodensystem, das Gas ist extrem flüchtig. Wie problemlos kann man denn eine Erdgasleitung für den Transport von Wasserstoff nutzen?
Ob Erdgasleitungen geeignet sind, Wasserstoff zu transportieren, muss für den Einzelfall geprüft und entschieden werden. Tatsächlich ist es so, dass kleinste Mengen Wasserstoffmoleküle nicht durch die Leitungswand hindurch, aber in sie hinein diffundieren. Der Stahl kann dadurch schneller spröde werden. Der Wasserstoff bleibt also in der Leitung, aber eventuell versprödet der Werkstoff schneller. Das hängt von den jeweiligen Werkstoffen ab. Da sind wir im Austausch mit dem Fraunhofer Institut für Materialforschung. Bei den für den Nukleus gewählten Leitungen laufen derzeit die Prüfungen, ob Sie für die Umstellung auf Wasserstofftransport geeignet sind, wovon wir nach derzeitigem Stand der Prüfungen auch ausgehen.
Wäre es eine Möglichkeit, dem Erdgas zunächst einmal Wasserstoff beizumischen?
Aus unserer Sicht ist reiner Wasserstoff eigentlich zu schade, um ihn den großen Erdgasströmen beizumischen: Wenn ich ihn schon aufwändig erzeuge, dann sollte ich ihn auch in den Anwendungen nutzen, die 100 Prozent Wasserstoff vertragen – oder sogar brauchen. Damit bekommen wir den technologischen Wandel hin zu einem Energiesystem basierend auf Strom und Wasserstoff viel schneller hin.
Es geht ja nicht nur um Brennstoffzellen in Autos oder für die heimische Energiegewinnung, gerade die Industrie braucht für bestimmte Prozesse reinen Wasserstoff. Nehmen wir die Stahlproduktion: Um den Sauerstoff klimaneutral aus dem Eisenerz zu lösen, wird in neueren Verfahren Wasserstoff statt Koks verwendet. Mit einem Gemisch aus Erdgas und Wasserstoff kann man dieses geänderte Verfahren nicht direkt betreiben.
Müsste man dafür nicht eine umfassende Doppelstruktur aufbauen?
Wir haben heute in Deutschland ein Hochdruck-Gasnetz für den Ferntransport von ungefähr 40.000 Kilometern. Um zunächst die relevantesten Standorte – Hüttenwerke, Raffinerien, Chemieparks – über ein Wasserstoffnetz miteinander zu verbinden, haben wir Anfang des Jahres eine erste Vision entwickelt. Für diese bräuchte man etwa 3.200 Kilometer Leitungen. In den nächsten 15 Jahren würde es also genügen, gezielt Leitungen umzustellen und fehlende Verbindungen zu ergänzen.
Insbesondere im Nordwesten Deutschlands und den Niederlanden haben wir bereits heute Parallelstrukturen, nämlich für H- und L-Gas mit ihren unterschiedlichen Heizwerten. Aufgrund der rückläufigen Produktion von L-Gas, werden rund 25 Prozent des Marktes von L- auf H-Gas umgestellt. Nicht umsonst machen sich auch die Niederländer viele Gedanken um die Rolle von Wasserstoff. Denn auch sie sehen da eine riesige Chance, einen grünen Brennstoff vergleichsweise elegant in ihre Energieversorgung zu integrieren.
Warum benötigen wir den Wasserstoff überhaupt?
Wenn wir also bis 2050 eine CO2-Reduktion um 95 Prozent erreichen oder gar klimaneutral werden wollen, haben erneuerbare Energieträger und Effizienzsteigerung erste Priorität. In vielen Bereichen können wir erneuerbare Energien aber weder direkt noch als Strom einsetzen. Hier sind emissionsfreie chemische Energieträger unverzichtbar. Und da bietet sich grüner Wasserstoff eben an – insbesondere da, wo man den Wasserstoff direkt nutzen kann – zum Beispiel in der Prozessindustrie und Mobilität. Da, wo seine Energiedichte zu gering ist, etwa im Flugverkehr, ist die Weiterverarbeitung von H2 zu Methan, Methanol oder anderen Synthesebrennstoffen sicher notwendig. Aber das bedeutet Effizienzverluste, weil man zusätzliche Energie aufwenden muss. Auch bei der Überbrückung einer Dunkelflaute spielt Wasserstoff eine Rolle: mit Batteriespeichern ist das von der Dimension her, die diese Speicher haben müssten, nicht darstellbar. Insofern sehe ich Wasserstoff nicht als Lösung aller Probleme, aber in jedem Fall als Grundlage für die chemische Speicherung von Energie.
Nun ist es für einen Fernleitungsnetzbetreiber sicher keine Kleinigkeit, solch ein Projekt zu stemmen. Was treibt die Nowega dazu, es dennoch anzugehen?
Das Rad, das wir mit GET H2 drehen, ist ja nicht nur für uns, sondern für jeden einzelnen Netzwerkpartner zu groß, um es allein zu drehen: Das Ziel von GET H2 ist schließlich, eine bundesweite Wasserstoffinfrastruktur aufzubauen. Und in dem Netzwerk vereint sich so viel Kompetenz, dass wir guter Dinge sind, dass wir dieses Vorhaben auch umsetzen können.
Die Bundesregierung steht mit Worten hinter Ihnen. Welche Taten erwarten Sie von ihr?
Ich glaube, dass die nationale Wasserstoffstrategie in die richtige Richtung weisen wird. Sie bleibt, aber vermutlich noch sehr allgemein. Und da muss die Bundesregierung Klarheit schaffen.
Die Industrie zeigt deutlich die Bereitschaft, sich auf den Weg zu machen. Aber jedem, der sich ansieht, welche finanziellen Mittel dafür erforderlich sind, wird schnell klar: Wir brauchen Investitionssicherheit. Für uns Netzbetreiber bedeutet das vor allem Rechtssicherheit, denn die Netzkosten werden denen der Erdgasnetze so weit ähneln, dass der regulatorische Rahmen mehr oder weniger übernommen werden kann.
Schwieriger ist sicher, Regeln zu schaffen, die Investitionen in den Wechsel zu CO2-neutralen Systemen wirtschaftlich machen. Denn sonst werden kapitalorientierte Unternehmen nicht in dieses Thema investieren können. Ob das nun über Abgaben, Steuern, Subventionen oder was auch immer geht – das muss die Politik entscheiden. Sie muss der Bevölkerung klarmachen, dass es am Ende die Gesamtheit der Menschen in Deutschland ist, die die Energiewende bezahlt. Ein stabiler und breit getragener, gesellschaftlicher Konsens hierfür ist die eigentliche Herausforderung. Die Bundesländer haben dazu in ihrer Entschließung von Anfang November den Weg gewiesen.
Frank Heunemann ist Geschäftsführer der Nowega GmbH, einem Gründungsmitglied der Initiative GET H2. Das Unternehmen mit Sitz in Münster betreibt und vermarktet rund 1.500 Kilometer Gashochdruckleitungen.