In Deutschland hat die Windkraft gerade erst wieder ihren Halbjahresrekord aus dem Jahr 2018 eingestellt. Und auch in anderen europäischen Ländern stemmt der Strom aus den Rotoren einen wachsenden Anteil des Elektrizitätsbedarfs. In der Europäischen Union hat der Wind die Wasserkraft seit dem Jahr 2017 als wichtigsten regenerativen Primärenergieträger zur Stromerzeugung abgelöst. Und im vergangenen Jahr hatte der Windstrom nach Berechnungen der europäischen Branchenagentur EuroWind einen EU-weiten Anteil von 14 Prozent. Nur mit Gas und Kernkraft wurde mehr Strom produziert.
Damit liegt Europa in Sachen Windstrom weit über dem weltweiten Durchschnitt. Der lag laut BP Statistical Review 2019 im vergangenen Jahr bei 4,8 Prozent. Kaum verwunderlich daher, dass vier der fünf größten Hersteller von Windkraftanlagen aus Europa stammen. Zusammen haben die Top Five der Branche etwa zwei Drittel der weltweiten Kapazität installiert. Und anders als in der Solarbranche, in der ein Großteil der Wertschöpfung mittlerweile in Asien erzielt wird, profitiert die Windenergiebranche von europäischen Fachkräften.
Eine Studie der Unternehmensberatung Deloitte im Auftrag von EuroWind kam zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2016 in Europa 262.712 Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Windkraft abhingen. EU-weit steuerte die Branche 36,1 Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt bei. Zwei Drittel direkt, ein Drittel durch Aufträge an andere Branchen wie die Schwerindustrie und den Bausektor. Grund genug, sich die Top Five der Branche einmal näher anzusehen.
Diese Rotorblätter mit Trailing Edge Serrations (TES) lässt Enercon von der KTA Kunststofftechnologie Aurich herstellen. Die Zacken an der Rückseite dienen der Geräuschreduzierung (© Enercon).
Der Vorreiter der Windkraft in Deutschland ist 2018 vom vierten auf den fünften Platz gerutscht. Zentrale Figur des Unternehmens aus Aurich ist Unternehmensgründer Aloys Wobben, der bereits Mitte der 1970er-Jahre die erste Windkraftanlage baute – mit einer Leistung von 22 Kilowatt (kW). 1984 gründete er Enercon mit drei Mitarbeitern. Als er sich 2012 aus dem operativen Geschäft zurückzog, war die Mitarbeiterzahl längst fünfstellig. Ein Meilenstein für das Unternehmen war die Entwicklung des ersten getriebelosen Ringgenerators im Jahr 1993.
Heute zählt Enercon – mit abhängigen Zulieferbetrieben – mehr als 20.000 Mitarbeiter in Vertriebsbüros und Fertigungsstätten auf mehreren Kontinenten. Viele Bauteile lässt Enercon von Exklusiv-Zulieferern herstellen, allein in Aurich und in Magdeburg arbeiten jeweils mehr als 1000 Mitarbeiter.
Seit einigen Jahren ist Enercon auch in anderen Bereichen der Erneuerbaren aktiv. Dazu gehören Wasserkraft, Power-to-Gas und neuere Vermarktungsmodelle wie Bürgerstrom und Ladeparks für E-Mobilität. Eine Besonderheit ist das E-Ship 1 – ein unternehmenseigenes Frachtschiff, das mit Hilfe eines Flettner-Rotors die Windkraft nutzt, um Bauteile für Offshore-Parks zu transportieren.
Enercon-Anlagen stehen in 45 Ländern weltweit. Den Meilenstein von 50 Gigawatt (GW) erreichte das Unternehmen im Oktober 2018 mit dem Windpark Mui Dinh in Vietnam. Der Kernmarkt ist aber nach wie vor die Heimat: In Deutschland allein hat Enercon mehr als 20 GW installiert – also Zweidrittel der gesamten deutschen Windstrom-Kapazität.
Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis Goldwind an die Spitze dieser Liste vorstößt. Bei der jährlich installierten Leistung lagen die Chinesen bereits einmal auf Rang 1.Dabei kam der Firma zugute, dass ihr Heimatland in einem einzigen Jahr 30,2 GW installierte. Seither ist der Sturm um Chinas Windkraft und um Goldwind ein wenig abgeflaut. Doch auch 2018 lag es mit einem Ausbau von sieben GW immerhin wieder auf dem zweiten Rang weltweit. Und das reichte, um Enercon bei der insgesamt installierten Leistung zu überholen.
Gegründet wurde das Staatsunternehmen Mitte der 1980er Jahre als Forschungseinrichtung. 1989 nahm man den damals größten Windpark Asiens in Betrieb, die Technik dazu stammte allerdings aus Dänemark. Im Jahr 1994 vervielfachte die Zentralregierung den Absatzpreis für Windstrom und verlieh dem chinesischen Markt so eine ungekannte Dynamik. Mit deutscher Unterstützung wurde technisches Know-how aufgebaut, sodass die chinesische Regierung in ihrem Fünfjahresplan die Entwicklung des Unternehmens zu einem wichtigen Produktionsbetrieb festschrieb.
Auch später spielte deutsche Technologie eine wichtige Rolle: Parallel zur Umbenennung 2001 in Xinjiang Goldwind Science & Technology wurde eine Fertigung zum Bau deutscher Turbinen gebaut. Im Jahr 2003 entwickelte Goldwind in Kooperation mit der deutschen Vensys Energy AG erstmals eine eigene Turbine. Die Nennleistung: 750 kW. Mittlerweile baut Goldwind auch Anlagen mit mehr als der zehnfachen Leistung.
Neben dem Kerngeschäft zählt Goldwind Wasseraufbereitung, ökologische Landwirtschaft und intelligente Energienutzung zu seinem Geschäft. Obwohl auch Goldwind mit seinen rund 8.000 Mitarbeitern mittlerweile in 24 Ländern auf allen Kontinenten aktiv ist, bleibt der Heimatmarkt der entscheidende: 2018 installierte der Staatsbetrieb 6,7 von insgesamt sieben GW in China.
„Cypress“ heißt die neueste Onshore-Modellreihe von GE. Sie wird in Salzbergen gefertigt und vom Bremer Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (IWES) getestet. Ein Prototyp der Top-Variante mit 5,3 MW ist bereits in den Niederlanden installiert (© General Electric).
Der US-Konzern General Electric (GE) gehört zusammen mit Siemens zu den „alten Damen“ dieser Liste. Beide entstammen dem Zeitalter der industriellen Revolution. Und beide haben den Schritt in die Windkraft relativ spät getan.
Erst im Jahr 2002 schuf der Mutterkonzern GE die Sparte GE Wind Energy GmbH. Grundlage war der Kauf eines Mittelständlers aus Salzbergen im niedersächsischen Emsland. Dort nämlich hatte der deutsche Ingenieur Franz Tacke 1990 die Tacke Windtechnik GmbH gegründet. Nach dem Konkurs 1997 kaufte zunächst der US-Konzern Enron das Unternehmen auf, nach dessen Pleite es GE dann letztlich erwarb. Später kamen die Windkraftsparte des französischen Industrieriesen Alstom sowie der dänische Rotorblatthersteller LM Wind Power hinzu.
Die jeweiligen Standorte der Akquisitionen hat GE zumindest teilweise beibehalten. So ist Salzbergen weiterhin für Onshore-Windräder in Deutschland zuständig. In Frankreich werden am ehemaligen Alstom-Standort Saint-Nazaire Gondeln und Generatoren montiert. Auch in sechs weiteren Ländern Europa unterhält GE Service-, Forschungs- und Produktionsstandorte. Der US-Markt hat eigene Standorte, Südamerika und Asien ebenso.
Alles in allem hat GE weltweit rund 40.000 Windkraftturbinen mit einer Kapazität von 70,3 GW installiert. In der Allzeitbetrachtung liegen die Amerikaner damit auf Platz 3 – mit komfortablem Abstand zu Platz 4.
55 Meter lang sind die Rotorblätter, die Siemens Gamesa weiterhin am dänischen Standort Aalborg, ehemals Bonus Energy, produzieren lässt (© Siemens Gamesa).
Schon vor der Fusion 2017 gehörten die deutsche Siemens Wind Power und die spanische Gamesa zu den Größen der Branche – mit jeweils rund 35 GW installierter Leistung weltweit hätten sie damals die Plätze vier und fünf in dieser Liste eingenommen.
Gamesa ist hervorgegangen aus der 1976 gegründeten Grupo Auxiliar Metalúrgico – einem Industrie-Projektentwickler, der sich seit Mitte der 80er-Jahre in der Luftfahrtindustrie engagierte. Als sich 1990 der spanische Energieversorger Iberdrola an Gamesa beteiligte, wurden die Zeichen auf Expansion gestellt. Einerseits lieferten die Spanier Höhenleitwerke für Flugzeuge, andererseits installierten sie 1995 ihren ersten Windpark in der Pyrenäen-Region Navarra. Nach der Jahrtausendwende eröffnet das Unternehmen Produktionsbetriebe in den USA und China, dann auch in Indien und Brasilien. Im Jahr 2006 wird die Luftfahrtsparte veräußert, Gamesa wird ein reines Windkraft-Unternehmen.
Die Geschichte der Windkraftsparte von Siemens beginnt Anfang der 80er Jahre – was zu dem Zeitpunkt allerdings noch niemand weiß. Denn das Unternehmen heißt Bonus Energy und gehört zur dänischen Firma Danregn, die Bewässerungssysteme herstellt. Das erste Windrad wird 1981 gebaut, zehn Jahre später errichtete Bonus Energy den ersten Offshore-Windpark der Welt vor der Ostseeinsel Lolland. Die elf Turbinen im seichten Küstenwasser brachten es auf eine Gesamtleistung von knapp fünf MW, mittlerweile hat ein Offshore-Windrad aus der aktuellen Reihe mehr Leistung. Als Bonus Energy im Jahr 2004 von Siemens Wind Power übernommen wird, haben die Dänen gut 3,3 GW in 20 Ländern installiert – damals ein weltweiter Marktanteil von neun Prozent.
Bis zur Fusion 2017 hat sich Siemens eine Spitzenstellung in Europa erarbeitet – vor allem bei der Offshore-Windkraft. Gamesa ist eher auf Anlagen an Land spezialisiert und in Lateinamerika und anderen Schwellenländern wie Indien stark vertreten. Gemeinsam wollten sie eigentlich den Thron der Branche erobern. Doch auf dem sitzt weiterhin …
Ab 2020 werden die 23 Turbinen vom Typ MHI Vestas V164 des belgischen Windparks Northwester 2 rund 800 GWh pro Jahr für RWE-Kunden erzeugen (© Vestas).
Dass auch der Branchenprimus aus Dänemark kommt, ist nicht verwunderlich: Bei nur gut 40.000 Quadratkilometer Fläche sind die Dänen mit 7.300 Kilometer Küste gesegnet. Über dem kleinen Land zwischen Nord- und Ostsee weht fast immer der Wind. Erst recht an der Westküste, wo Peder Hansen 1945 die Westjütländische Stahltechnik A/S gründete.
Bis dahin hatte Hansen mit seinem Vater, einem gelernten Schmied, Fensterrahmen hergestellt. In den Wirtschaftswunderjahren sattelte der Familienbetrieb um auf elektrische Haushaltsgeräte und Kühlvorrichtungen – erst für Milchkannen, später Schiffsturbolader. Den ersten Windstromgenerator baut Vestas im Jahr 1979. Der Rotor hat einen Durchmesser von 10 Metern, der Generator kann 30 Kilowatt Strom erzeugen. Das kleinste Vestas-Modell heutzutage liefert zwei MW. Die größten Versionen baut das Unternehmen im Joint Venture mit Mitsubishi Heavy Industries. Das Modell MHI Vestas V164 ist mit 164 Metern Rotordurchmesser und bis zu zehn MW Leistung der aktuell größte Windkraftanlagentyp überhaupt. Diese kommen vor allem in Off-Shore-Windparks zum Einsatz.
Natürlich hat Vestas auch dazu beigetragen, dass Dänemark mittlerweile rund 50 Prozent seines Strombedarfs aus Windkraft generiert. Mehr als sechs Gigawatt (GW) hatte das Land dafür 2018 installiert. Doch damit alleine wäre Vestas der Weltspitze nicht einmal nahegekommen. Weltweit hat das Unternehmen Anlagen mit mehr als 100 GW Leistung gebaut. Das sind satte 17 Prozent des weltweiten Windkraftparks. Der Hauptabsatzmarkt lag 2018 jenseits des Atlantiks: 44 Prozent seiner Umsätze erzielte Vestas zwischen Alaska und Feuerland, 42 Prozent in Europa und Afrika, die übrigen 14 Prozent in Asien und Ozeanien. Mit fast 25.000 Mitarbeitern ist das Unternehmen in 80 Ländern aktiv und wartet mehr als 85 Prozent der Turbinen selbst.
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