Schon bis zum Jahr 2035 müsse die britische Industrie ihre Treibhausgasemissionen um zwei Drittel senken, damit das Vereinigte Königreich seine Klimaverpflichtungen erfüllt. So lautet die Schätzung, die die Regierung in London in ihrem 170-seitigen „Dekarbonisierungsplan für die Industrie“ (auf Englisch) anführt. Bis 2050 dann wären 90 Prozent Minderung fällig, der Rest müsste durch geeignete Maßnahmen kompensiert werden, heißt es.
Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es allerdings einer Reihe Technologien, die sich bisher in einem frühen Entwicklungsstadium befinden. So müssten bereits ab 2030 Anlagen bereitstehen, um drei Megatonnen (Mt) CO2 abzuspalten und zu speichern. Der Energiebedarf von umgerechnet 20 Terawattstunden (TWh), die bisher aus fossilen Brennstoffen gewonnen werden, sollen bis dahin durch erneuerbare Alternativen wie grünen Wasserstoff, Biotreibstoff und regenerativen Strom gedeckt werden.
Die Nutzung erneuerbarer Energiequellen steht dementsprechend im Zentrum der im März veröffentlichten Strategie. Die Regierung schätzt, dass bis 2050 ein industrieller Energiebedarf von 24 TWh mit Wasserstoff gedeckt werden könnte, der mehrheitlich mithilfe erneuerbarer Energien zu erzeugen wäre. Das Elektrifizierungspotenzial der Industrie, heißt es, könne die Industrieemissionen durch Nutzung grünen Stroms um fünf bis zwölf Mt CO2 reduzieren.
Die Umsetzung der Strategie soll noch in diesem Jahr beginnen. Im ersten Schritt sollen Forschungsgelder für Industriecluster vergeben und das bestehende Emissionshandelssystem des Landes (UK ETS) einer Prüfung unterzogen werden. Das UK ETS war aus dem EU ETS entstanden, nachdem das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union ausgetreten war.
Bis Januar 2024 soll das UK ETS vollkommen auf das Netto-Null-Ziel der Regierung abgestimmt sein. Es soll darauf angelegt sein, dass es ein klares Marktsignal dafür sendet, wo und wie die vorgeschriebenen Treibhausgasemissionen am kosteneffizientesten zu erreichen sind. Zudem, sagt die Regierung, müsse man konzertiert auf eine höhere Energie- und Ressourceneffizienz hinarbeiten, um das 2050er-Ziel zu erreichen.
Ab 2023 sollen Industrie-Unternehmen Fördergelder für die Energiewende erhalten. Ziel der Maßnahme sei, dass die britische Industrie trotz Transformationskosten international wettbewerbsfähig bleibt – um Arbeitsplätze zu sichern, aber auch um „Carbon Leakage“ zu verhindern. Das heißt, es soll vermieden werden, dass die Produktion – und mit ihr die Emissionen – in andere Länder abwandern, in denen weniger strenge Emissionsauflagen gelten.
Dazu will die Regierung an bestimmte Branchen zunächst kostenlose Emissionszertifikate vergeben, auf Klimadiplomatie setzen und prüfen, wie Importe aus Ländern mit laxeren Klimagesetzen zu behandeln sind.
Ebenfalls 2023 will die Regierung einen Standort für das erste Projekt zur CO2-Abscheidung- und Speicherung (CCUS) bestimmen, das ein erster Schritt für die bis 2030 angepeilte Speicherkapazität von drei Megatonnen sein soll. 2025 sollen zwei Niedrig-Emissions-Cluster etabliert sein und zwei weitere bis 2030. Mindestens eines davon soll bis 2040 vollkommen emissionsneutral sein.
Bisher hat Großbritannien sechs Industriecluster, die zusammen etwa die Hälfte aller Industrieemissionen des Landes erzeugen.
Die Regierung geht davon aus, dass sie eine zentrale Rolle beim Bau großer Infrastrukturprojekte spielen muss. Dazu zählt sie etwa CCUS-Anlagen und Wasserstoff-Netze. Die wirtschaftlichen Risiken dafür seien voraussichtlich zu hoch, als dass private Investoren sie allein übernehmen würden.
Eine Reihe von Finanzierungsmechanismen wie der „CCUS Infrastructure Fund“ und der „Industrial Energy Transformation Fund“ sollen helfen, private Investitionen abzusichern, um solche Investitionshürden abzusenken. Die direkte Finanzierung von Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen soll im Laufe der 2030er- und 40er-Jahre absinken, wenn der private Sektor mehr und mehr zum Treiber der Energiewende wird.
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