Der 30 Meter hohe Turm des Windrades auf der schwedischen Insel Björkö bei Göteborg sieht auf den ersten Blick wie jede andere Windenergieanlage aus: Aus dem Fundament der Anlage direkt an der felsigen Küste wächst ein weißer, sich nach oben verjüngender Turm, an dessen Spitze drei Rotorblätter befestigt sind. In seinem Innern ist er jedoch alles andere als gewöhnlich. Hier zeigt sich, dass der Turm nicht – wie sonst – aus Stahl besteht, sondern aus vielen kleineren, länglichen Holzelementen. Die Balken sind zu einer langen Röhre verbunden, zwei Leitern mit unzähligen Sprossen führen zu ihrer Spitze, auf halber Höhe befindet sich eine ebenfalls hölzerne Plattform.
Der Prototyp, der seit April auf Björkö steht, ist der erste seiner Art. Er ist deutlich kleiner als kommerzielle Anlagen und produziert auch noch keinen Strom. Es fehlt der Generator auf der Spitze des Turms. Mit der Konstruktion testet das schwedische Ingenieurs- und Industriedesign-Unternehmen Modvion AB im Auftrag des Svenskt Vindkraftstekniskt Centrum (SWPTC) an der Technischen Hochschule Chalmers in Göteborg, ob Holz beim Bau von Windrädern verstärkt genutzt werden kann.
Die Idee dahinter: Mit dem nachwachsenden Rohstoff Holz könnte die Klimabilanz von Windkraftanlagen weiter verbessert werden. Denn Windräder produzieren zwar regenerativen Strom, die Herstellung des Stahls, aus dem sie gebaut werden, verursacht allerdings große Mengen CO2. Laut IG Metall je nach Produktionsverfahren bis zu 1,8 Tonnen Kohlendioxid pro Tonne. Mit Abstand am meisten Stahl wird für den Turm, das größte und schwerste Teil einer Windenergieanlage, gebraucht.
Dennoch spielt Windkraft eine wichtige Rolle auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Energieversorgung, wie Ola Carlson, Direktor des SWPTC, erklärt: „Berechnungen zufolge wird die Windenergie bereits im Jahr 2027 EU-weit die größte Energiequelle sein.“ Windenergietürme aus Holz könnten die Energiewende somit weiter vorantreiben. Denn beim Bau werden nicht nur die Treibhausgas-Emissionen der Stahlproduktion eingespart. Das im Holz gebundene CO2 wird zudem für viele Jahre in der Konstruktion eingelagert.
Windenergieanlagen mit Stahlrohrtürmen sind laut Bundesverband Windenergie heute in Europa die verbreitetste Variante, seltener kommt Stahlbeton zum Einsatz. Ein 120 Meter hoher Turm wiegt bis zu 250 Tonnen. Er besteht aus mehreren großen, 20 bis 30 Meter langen Bauteilen, die schwierig zu transportieren sind. Und je höher das Windrad werden soll, desto dicker müssen die Wände des Turms sein, um Stabilität zu gewährleisten. Das spiegelt sich im Gewicht und in den Kosten wider: Bis zu 25 Prozent der Gesamtkosten für eine Windenergieanlage entfallen auf Transport und Montage des Turms.
Modvion-Geschäftsführer Otto Lundman erklärt, dass Holz als Baumaterial demgegenüber neben der positiven Klimabilanz gleich mehrere Vorteile hat: „Verbundholz ist bei gleichem Gewicht 55 Prozent stärker als Stahl und durch den modularen Aufbau lassen sich die Windkraftanlagen höher errichten.“
Das Holz für den Turm auf Björkö ist deutlich leichter als Stahl, lässt sich einfacher transportieren und ist dabei noch günstiger. Die Bauteile bestehen aus nordischem Fichtenholz. In der Leimholzfabrik der Firma Moelven in Töreboda wurden mehrere drei bis vier Millimeter dicke Schichten davon verleimt und mit einer wasserfesten Beschichtung versehen. Laut Modvion trotzen sie so Wind und Wetter für Jahrzehnte. Danach können sie vollständig recycelt werden.
„Holz hat fantastische Eigenschaften und wir müssen viel mehr aus Holz bauen, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen“, sagt Johan Ehlén, Geschäftsftührer der Fabrik in Töreboda. Er hat mit seinem Team in den vergangenen Jahren am Design des Turms gearbeitet.
Aktuell dient der Holzturm Forschungszwecken. Maschinenhaus und Rotorblätter sind aber schon eingebaut. Noch in diesem Jahr soll eine kleine Turbine mit einer Leistung von 40 Kilowatt auf der Spitze des Turms montiert werden – dann kann das Windrad Strom produzieren. Zum Vergleich: Moderne Onshore-Anlagen können eine Leistung von mehr als 4 Megawatt erreichen.
Die Größe ist aber laut Modvion kein Problem: Nach der Testphase sollen Türme mit einer Höhe von bis zu 150 Meter mit der Technologie gebaut werden. Sie hätten damit die gleiche Nabenhöhe wie moderne Schwachwindanlagen im Onshore-Bereich und könnten auch große, leistungsstärkere Turbinen tragen.
Schon 2022 soll der Bau des ersten kommerziell genutzten Windrads mit Holzturm beginnen. Rabbalshede Kraft hat bereits eine Absichtserklärung mit Modvion unterzeichnet. Der Betreiber von Windkraftanlagen in der nordischen Region möchte über einen Zeitraum von fünf Jahren zehn Türme mit einer Höhe von mindestens 150 Metern im Fägremo Windpark bei Töreboda errichten, wenn der Testlauf auf Björkö erfolgreich ist.
„Mit den Modvion Modulen aus Holz vermeiden wir logistische Schwierigkeiten, reduzieren das Gewicht und kommen der komplett CO2-neutralen Windkraft ein ganzes Stück näher“, sagt Peter Wesslau, CEO von Rabbalshede Kraft. „Ein erfreulicher Nebeneffekt ist, dass der Bau so nah beim Park in Törebroda erfolgen kann.“
Otto Lundman hat berechnet, dass jeder große Holzturm etwa 2000 Tonnen CO2 in der Herstellung sparen würde im Vergleich zu Stahl. Das, so glaubt er, könnte die Windkraft revolutionieren: „Dieser große Durchbruch ebnet den Weg für Anlagen der nächsten Generation.“
8995 MW betrug die installierte Leistung im Bereich Windenergie in Schweden 2019. Das ist Platz 6 in Europa. Insgesamt lag der Anteil der Windkraft europaweit mit 205 Gigawatt bei 15 Prozent.
1588 MW Leistung installierte Schweden 2019 in Windkraft. Platz 4 in Europa.
179 Turbinen entstehen in Markbygden Ett, dem größten Onshore-Windpark Europas im Norden von Schweden.
Bildnachweis, Video: © Modvion AB