Der prognostizierte, beispiellose Rückgang der Investitionen im Energiesektor um 20 Prozent in diesem Jahr wird langfristige Folgen haben — auch weil die Ausgaben der Industrie vor der Covid-19-Krise nicht auf die Klimaschutzziele abgestimmt waren. Das geht aus dem jüngsten Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) „World Energy Investment 2020“ hervor.
In Ländern, die aufgrund von Covid-19 einen vollständigen Lockdown ausgerufen hatten, sank die Energienachfrage um 25 Prozent, während in Ländern mit teilweiser Abschottung ein Rückgang von 18 Prozent zu verzeichnen war, so die IEA.
Am stärksten waren die fossilen Brennstoffe betroffen: Erdöl, das vor allem im Verkehrssektor verwendet wird, wird das Jahr wohl mit einem Nachfragerückgang um fast zehn Prozent als größter Verlierer abschließen. Die Nachfrage nach Kohle wird infolge des geringeren Einsatzes im Energiesektor voraussichtlich um acht Prozent zurückgehen.
Deutlich weniger Auswirkungen hatte der Rückgang der Stromnachfrage auf Erdgas. Und bei den Erneuerbaren Energien machte es sich überhaupt nicht bemerkbar, dass Fabriken und Geschäfte geschlossen waren und die Menschen zu Hause blieben. Das liegt daran, dass beispielsweise Wind- und Solarenergie keine Brennstoffkosten haben. Sie profitieren vom vorrangigen Netzzugang und laufen daher unabhängig von Nachfrageschwankungen weiter.
Eine günstige Ausgangslage also für die Erneuerbaren und Erdgas, die so in der Krise größere Stücke eines kleineren Kuchens abbekommen haben. In der Folge sanken die CO2-Emissionen deutlich: Die IEA schätzt, dass sie global in diesem Jahr um acht Prozent sinken werden — vielleicht ein Blick auf die Energiesysteme der Zukunft.
Die Agentur geht allerdings auch davon aus, dass die Gesamtinvestitionen im Energiesektor aufgrund des Nachfragerückgangs und der Einnahmeverluste im Jahr 2020 um 20 Prozent zurückgehen werden. Und das in einer Zeit, in der die Industrie und viele politische Entscheidungsträger wesentlich höhere Investitionen fordern, um den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen.
Wie beim Nachfragerückgang hängt der Investitionsrückgang laut Bericht stark von der Energiequelle ab: Es wird erwartet, dass die Investitionen in Öl und Gas um 32 Prozent und in Kohle um 15 Prozent zurückgehen werden. Der Stromsektor leidet zwar ebenfalls, aber mit einem voraussichtlichen Rückgang um zehn Prozent weniger stark. Die Ausgaben für Energieeffizienz werden indes wohl um 12 Prozent zurückgehen.
Die IEA geht davon aus, dass aus den vor der Krise geäußerten Erwartungen eines bescheidenen Investitionsverhaltens im Energiesektor in diesem Jahr der größte Rückgang in der Geschichte werden könnte. Der erwartete Verlust von 20 Prozent entspräche einem Betrag von rund 400 Milliarden US-Dollar.
Doch die Auswirkungen der Pandemie enden damit nicht: Die Energieunternehmen finanzieren einen Großteil der neuen Investitionen direkt aus ihren Bilanzen. Niedrige Preise und geringere Absatzmengen aufgrund der schwachen Nachfrage bedeuten aber viel geringere Einnahmen, also auch weniger Geld für Investitionen in den kommenden Jahren.
Die IEA schätzt, dass Verbraucher in diesem Jahr im Vergleich zu 2019 eine Billion Dollar weniger für Ölprodukte ausgeben werden, während die Einnahmen des Energiesektors um 180 Milliarden Dollar sinken werden. Der Rückgang beim Öl wäre damit so dramatisch, dass zum ersten Mal überhaupt die Ausgaben für Elektrizität zum größten Einzelposten der Verbraucherausgaben für Energie werden dürften.
Wie bei ihrer Erzeugung bieten Erneuerbare Energien auch in der Krise eine gewisse Widerstandsfähigkeit. Beispielsweise dürften die Investitionen im Energiesektor in den USA, der sich stark auf Öl und Gas konzentriert, um mehr als 25 Prozent zurückgehen. Im Gegensatz dazu wird für Europa ein Rückgang um 17 Prozent prognostiziert, wobei sich die Investitionen in Windenergie, Stromnetze und Energieeffizienz vergleichsweise gut halten werden.
Auch IEA-Daten über einen längeren Zeitraum zeigen, dass die Ausgaben für Öl und Gas sehr volatil sind, im Gegensatz zu den Ausgaben im Stromsektor, die relativ stabil sind.
Laut der Agentur ist es wichtig, Investitionen mit Klimazielen zu verbinden. Eine nachhaltige Energieversorgung sei die Grundlage dafür, Emissionen in allen Wirtschaftssektoren zu reduzieren.
Es wird erwartet, dass der Anteil der Energieausgaben am globalen BIP in diesem Jahr unter zwei Prozent liegen wird. Zum Vergleich: 2014 waren es etwa drei Prozent. Das ist nicht nur eine Auswirkung von Covid-19. Der Anteil der Energieausgaben am BIP ist seit 2014 fast jedes Jahr zurückgegangen, auch in Technologiebereichen, die als wichtig für die Energiewende gelten.
Nach Angaben der IEA sind die Ausgaben für Stromnetze im vergangenen Jahr um sieben Prozent gesunken und dürften in diesem Jahr um weitere neun Prozent zurückgehen. Die Genehmigungen für neue, großangelegte Projekte rund um emissionsarme Energiequellen wie Wasserkraft haben den niedrigsten Stand seit einem Jahrzehnt erreicht. Investitionen in die Batteriespeicherung fielen bereits 2019 gegenüber 2018 ab.
Diese Trends sind „eindeutig gegenläufig zu dem Bedürfnis nach nachhaltigen und widerstandsfähigen Energiesystemen“, warnt die IEA. Fehlende Investitionen in den Energiesektor durch die Pandemie gefährdeten die Klimaziele, weshalb es umso wichtiger sei, die Ausgaben für den Covid-19-Aufschwung auf nachhaltiges Wachstum auszurichten, so die Agentur.