Es ist mittlerweile üblich, in Zukunfts-Studien mehrere Möglichkeiten der künftigen Entwicklungen zu berechnen, verbunden mit dem Hinweis: Es könnte so kommen oder so, am wahrscheinlichsten ist aber etwas anderes. Der World Energy Outlook der Weltenergieagentur IEA (WEO 2019) bildet da keine Ausnahme.
Drei mögliche Szenarien hat die Internationale Energieagentur (IEA) durchgerechnet. Im ersten berechnet sie die Entwicklung der Energiemärkte auf Basis der aktuellen Gesetze („Current Policies“, aktuelle Politikrichtlinien). Im zweiten berücksichtigen die Analysten auch die Maßnahmen, die Regierungen bisher angekündigt haben (Stated Policies, festgelegte Politikrichtlinien). Das dritte Szenario, die nachhaltige Entwicklung („Sustainable Development“), ist anders konstruiert: Es geht davon aus, dass die Ziele des Pariser Klimaabkommens 2050 erreicht werden, und rechnet rückwärts, was dafür nötig ist.
Die Grafik verdeutlicht, wie weit Anspruch und Realität aus Sicht der IEA bisher auseinanderliegen und wie viel noch zu tun ist, um dem internationalen Abkommen von Paris gerecht zu werden. Wer dafür verantwortlich ist, dass diese Lücke geschlossen wird, ist für die IEA klar: „Es sind die Regierungen, die die Rahmenbedingungen setzen, die Innovation und Investitionen im Energiesektor bestimmen. Und es sind die Regierungen, von denen die Welt klare Signale und unzweideutige Führung für den weiteren Weg erwarten.“
Derzeit ist Asien der große Wachstumsmarkt, bald schon könnte Afrika nachziehen – allein, weil das Bevölkerungswachstum bis zum Jahr 2040 laut IEA das von China und Indien zusammen übersteigen wird.
Allerdings sehen die Analysten auch große Chancen, die Energieversorgung in Afrika von vorneherein nachhaltiger zu gestalten: Insbesondere die Photovoltaik könne die preiswerteste Energiequelle sein, um die rund 600 Millionen Menschen in Afrika zu versorgen, die laut IEA aktuell keinen Zugang zu Elektrizität haben. Wegen seiner wachsenden Bedeutung für die globale Energieversorgung widmet die IEA dem Kontinent einen eigenen Schwerpunkt.
Nicht nur der Fall Afrika zeigt das vielleicht größte Dilemma aus Sicht der IEA auf: Die Emissionen müssen runter, während die weltweite Energienachfrage weiter steigen wird. Für die IEA-Analysten ist deshalb klar, dass das wichtigste Element der Energiewende die Energieeffizienz sein muss.
Ohne deutliche Effizienzgewinne bei Erzeugung und Nutzung seien die Pariser Klimaziele praktisch nicht zu erreichen. Dabei dürfe es nicht nur um die Wirkungsgrade von Kraftwerken, Energiespeichern oder Elektroantrieben gehen. Auch die Materialeffizienz – zum Beispiel beim Recycling von Aluminium, Zement und Plastik – müsse sich erhöhen.
Das ökonomische Maß hierfür ist die Energieintensität. Sie setzt den Energieeinsatz ins Verhältnis zur Bruttowertschöpfung, gemessen zum Beispiel in Kilowattstunden pro US-Dollar oder Euro. 2018 sei die Energieintensität um nur 1,2 Prozent zurückgegangen – etwa halb so stark wie in den Jahren 2010 bis 2017. Für die kommenden Jahre hält die IEA mehr als drei Prozent pro Jahr Senkung der Energieintensität für möglich – und erforderlich.
Auf der Erzeugerseite rechnet die IEA damit, dass Photovoltaik weltweit das größte Wachstum hinlegen wird. Dennoch widmet sie einer anderen Energiequelle einen weiteren Schwerpunkt: der Windstromgewinnung auf See.
Das theoretische Erzeugungspotenzial liege beim 18-fachen des weltweiten Energiebedarfs. Weltweit führend ist heute die Europäische Union, allen voran die Anrainer der Nordsee, deren flaches Wasser und stete Winde ein besonders günstiges Umfeld bieten. Selbst im Stated Policies Scenario rechnet die IEA damit, dass die Offshore-Wind-Kapazität der EU von heute 19 Gigawatt (GW) auf 127 GW im Jahr 2040 aufgestockt wird.
Den dritten Fokus legt die IEA in diesem Jahr auf die Rolle von Biomethan und nachhaltig erzeugter Wasserstoff in der Energieversorgung. Letzterer sei vielseitig einsetzbar: in Brennstoffzellen zur Strom- und Wärmeerzeugung, als Basis für andere Treibstoffe wie Methan und Methanol oder als Zusatzstoff von natürlichem Erdgas. Gerade in dieser letztgenannten Verwendung sieht die IEA einen einfachen Ansatzpunkt, die derzeit hohen Herstellungskosten schneller zu senken. Wasserstoff könne weitgehend problemlos über die bestehende Infrastruktur verteilt und genutzt werden. Allerdings erlaubten die Regularien vieler Länder bisher weniger Beimischung als möglich wäre. Dies müsse sich ändern. Dann könnten die größeren Absatzmengen nach Ansicht der IEA Investitionen attraktiver werden und über Innovationen und Skalenerträge die Stückkosten senken.
Auch die Produktion von Biomethan bleibe bisher weit hinter den Möglichkeiten zurück. Derzeit seien die Kosten zu hoch, um aus Biomasse ein wirtschaftlich attraktives Substitut für natürliches Erdgas zu erzeugen. Regierungen sollten nach Ansicht der IEA Investitionen fördern, um die Kosten zu senken.
Wenn es weitergeht wie bisher, schreibt die IEA in ihrem WEO 2019, werde der globale Stromkonsum bis zum Jahr 2040 von 26.603 Terawattstunden (TWh) auf 42.824 TWh, und die CO2-Emissionen von 13,8 Milliarden auf 16,6 Milliarden Tonnen steigen. Im Stated Policies Scenario läge der Stromverbrauch in ähnlichen Dimensionen, aber die Emissionen wären kaum höher als heute. Um aber die völkerrechtlich zugesagten Gesamtemissionen zu erzielen, müssten die Staaten der Erde laut IEA die Emissionen der Stromversorgung nahezu vierteln – auf 3,8 Milliarden Tonnen. Dafür müsste ein Drittel des Stroms (17 Prozent der genutzten Primärenergie) aus Erneuerbaren – ohne Wasserkraft und Biomasse – gewonnen werden. Derzeit, heißt es, steuere die Welt auf einen Anteil von 12 Prozent (fünf Prozent) zu und auch die angekündigten Maßnahmen würden lediglich für 16 Prozent (sieben Prozent) reichen.
Bildnachweis: IEA