Onshore-Windkraft soll zu einer tragenden Säule der Energieerzeugung in Indien werden – und das aus gutem Grund. Windkraftanlagen sind günstiger als der Bau neuer Kohlekraftwerke, eine der bisher wichtigsten Energiequelle des Landes. Und Windenergie stellt eine umweltschonende und günstige Alternative zu fossilen Brennstoffen dar.
Die Nachfrage nach Energie steigt in Indien mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von etwa sechs Prozent. Das wiederum könnte zu einem Anstieg der Stromnachfrage von 1.276 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2021 auf 2.172 TWh bis zum Ende des Jahrzehnts führen.
Um diese Nachfrage zu bedienen, reichen die bereits installierten Onshore-Windkapazitäten von über 40 Gigawatt (GW) bei weitem nicht aus. Trotzdem hat sich das Ausbau-Tempo zuletzt sogar noch verlangsamt. Nachdem die jährliche Wachstumsrate von 2012 bis 2016 zunächst bei beeindruckenden 13 Prozent lag, wurden von 2016 bis 2021 deutlich weniger Windräder gebaut: Der Jahreszuwachs lag in dem Zeitraum bei nur noch fünf Prozent. Um die vorgegebenen Ziele der Regierung erreichen zu können, müssten laut einer Analyse des Global Wind Energy Council (GWEC) (Link in Englisch) in den nächsten zehn Jahren allerdings 15 Prozent erreicht werden.
Der verlangsamte Ausbau kann auf eine Reihe von Faktoren zurückgeführt werden: Zum Beispiel spielt die Einführung wettbewerbsorientierter Ausschreibungen eine Rolle, dicht gefolgt von den Auswirkungen der Corona-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 sowie Unterbrechungen der Lieferkette und Verzögerungen aufgrund des indischen Monsuns.
Im Jahr 2021 wurden aus diesen Gründen nur 1,45 GW neuer Windenergie-Kapazitäten installiert anstelle der erwarteten 2,3 GW. Dies war zwar mehr als 2020 (1,14 GW), aber weniger als 2019 (2,07 GW). Vier Fünftel dieser Installationen stammten aus zentralen Vergaben der Regierung, der Rest unterteilt sich auf Ausschreibungen in den Bundesstaaten und den gewerblichen und industriellen Sektor.
Die wettbewerbsorientierten Vergaben haben zu einem konzentrierten Bau von Windkraftanlagen in den Bundesstaaten Gujarat und Tamil Nadu geführt. Diese gelten als reich an Wind und haben dazu mit die niedrigsten Grundstückskosten des Landes. Dadurch sind allerdings Engpässe bei der Netzeinspeisung und Installation entstanden, was zu weiteren Verzögerungen und höheren Kosten geführt hat.
Darüber hinaus warnt das GWEC, dass die Installation einiger bereits geplanter Windkraftanlagen gestrichen werden könnte. Denn die derzeitige Ausschreibung lässt bei der finanziellen Kalkulation kaum Spielraum, um mögliche höhere Kosten wie durch Inflation aufzufangen. Zu Stornierungen von Neuinstallationen kam es außerdem aufgrund von Verzögerungen bei der Unterzeichnung von Stromversorgungsverträgen mit den kapitalschwachen Verteilerunternehmen (Discoms) des Landes.
Die schlechte finanzielle Lage der Discoms behindert seitdem weiterhin Ausschreibungen für staatliche Windkraftprojekte. GWEC geht deshalb davon aus, dass bis 2025 auf staatlicher Ebene nur 1,8 GW Windkapazität ans Netz gehen werden.
GWEC stellt allerdings im Gegenzug ein zunehmendes Interesse an Wind-Solar-Hybridprojekten (WSH) fest. Diese werden durch den Verzicht auf Gebühren für die Einspeisung und die gemeinsam genutzten Übertragungsnetze der Staaten begünstigt. Die Kosten von WSH-Anlagen seien zudem im Allgemeinen niedriger als die von reinen Windkraftanlagen und weniger anfällig für Leistungsschwankungen bei der Stromerzeugung. Das macht sie für potenzielle Abnehmer attraktiver.
Für eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung müssen sie allerdings entweder mit konventioneller Wärmeerzeugung oder mit Batteriespeichern gekoppelt werden. Die Kosten für Speicher sind im Vergleich zur thermischen Kopplung nach wie vor hoch. Doch auch, wenn die Kosten dieses Jahr leicht gestiegen sind, sinken die Aufwendungen für Batteriespeicher seit 2018 jährlich um circa acht Prozent. Bis 2026 sollen sie laut GWEC sogar jährlich um neun Prozent zurückgehen. Das dürfte dazu führen, dass die Stromerzeugung durch WSH-Anlagen mit Speichern in Zukunft vollständig nachhaltig und günstig wird. In dem Bericht von GWEC heißt es darum: „Es wird erwartet, dass künftige Vergaben von WSH-Anlagen reine Windkraftanlagen ersetzen werden.“
Um den Ausbau der Windenergie weiter voranzutreiben, hat die Regierung die Investitionsmöglichkeiten verbessert. Im vergangenen Jahr ermöglichte sie beispielsweise den direkten Zugang zum Übertragungsnetz zwischen den Bundesstaaten.
In diesem Jahr legte sie außerdem einen Zeitplan für die Verpflichtung zur Abnahme Erneuerbarer Energien („Renewable Purchase Obligation“, RPO) bis 2030 vor (Link in Englisch). Dieser deckt sich mit dem ehrgeizigen Ziel Indiens, bis zum Ende des Jahrzehnts 50 Prozent der erzeugten Energie im Land aus regenerativen Quellen zu gewinnen. Die Regierung kündigte auch ein separates RPO für Windenergie an, um eine zusätzliche Nachfrage für den Sektor zu schaffen.
Das GWEC geht darum davon aus, dass diese politischen Entwicklungen in Indien einen enormen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Neuinstallationen von Windkraftanlagen haben werden.
Das zentrale Ausschreibungsverfahren wurde ebenfalls verändert. Unter anderem sind Anforderungen an Abnehmer der Windkraftanlagen sowie Details zur Netzeinspeisung spezifiziert worden. Tarifobergrenzen wurden abgeschafft und die Kreditgarantien von Banken verringert. Letzteres hat zur Folge, dass die Liquidität der Entwickler sich verbessert, was die Wahrscheinlichkeit von Stornierungen verringert. Auch die Kapazitätsbeschränkungen für Repowering-Projekte wurden bei den letzten Ausschreibungen aufgehoben.
Das führte dazu, dass 2021 und zu Beginn des Jahres 2022 die Ausschreibungen für Windprojekte überzeichnet waren. Zum Vergleich: In den beiden Vorjahren lag das Volumen bei 50 bis 80 Prozent.
Politische Entwicklungen und die Begeisterung für WSH-Projekte begünstigen den Ausbau der Windkraft an Land. Das GWEC schätzt, dass bis 2026 19,4 GW neue Kapazitäten im Land installiert werden, wobei das Jahr 2024 mit 4,6 GW den Höhepunkt darstellen werde.
Die Realisierung dieser neuen Projekte hängt jedoch sowohl davon ab, wie sich Störungen in der Lieferkette und die Inflation auswirken, als auch von künftigen politischen Entwicklungen. Das GWEC rechnet in einem konservativen Szenario mit einem Zubau 15 GW in den nächsten fünf Jahren, in einem optimistischeren Szenario mit 23,7 GW. Doch selbst, wenn nur das Minimalziel der Vorhersage erreicht, wird: Der indische Onshore-Windsektor wird auf jeden Fall einen Aufschwung erleben und zu einer zentralen Säule für die Energiewende des Landes werden.