Über Jahrzehnte lieferten Kohlekraftwerke mehr als die Hälfte des Stroms in den USA. Seit 2005 ist der Anteil auf 23 Prozent gesunken. Allein zwischen 2011 und Mitte 2020 sind nach Angaben der US-Behörde für Energiestatistik EIA 95 Gigawatt (GW) Erzeugungskapazität auf Basis von Kohle stillgelegt oder auf einen anderen Brennstoff umgestellt worden. Bis 2025 sollen weitere 25 GW Kohlekraft in Rente wegfallen.
Zusammen genommen übersteigt das die gesamte Kraftwerksleistung Italiens. Die US-Flotte an Kohlekraftwerken wäre damit allerdings erst 38 Prozent kleiner als auf ihrem Höchststand 2011. Dennoch bleibt wenig Zweifel: Auch in den USA macht der Stromsektor eine rasante Veränderung durch.
Angetrieben wird der Wandel durch politische und wirtschaftliche Faktoren. Die Fracking-Industrie hat riesige Mengen Schiefergas zu niedrigen und stabilen Preisen zu Tage gefördert. Ein Teil des Gases wurde exportiert – per Pipeline nach Mexiko und als Flüssiggas nach Übersee, auch nach Europa. Der andere Teil des Gases hat in den USA der Kohle den Rang abgelaufen. Umweltauflagen, vor allem striktere Emissionsvorschriften, haben die hohen Investitions- und Betriebskosten von Kohlekraftwerken so hochgetrieben, dass der Umstieg auf Gas in vielen Fällen die preiswertere Variante war.
Allerdings ist Gas nicht der einzige Konkurrent. Viele Bundesstaaten haben Stromerzeuger dazu verpflichtet, einen bestimmten Anteil ihres Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Zudem sind auch in den USA die Gestehungskosten bei neuen Wind- und Solarparks niedriger als bei neuen Kohlekraftwerken. Von den 2019 installierten 23 GW Erzeugungsleistung entfallen 40 Prozent auf Onshore-Windkraft, 36 Prozent auf Gas und 23 Prozent auf Solarkraft. Die übrigen neu installierten 0,3 GW nutzen „andere“ Energiequellen.
Doch nicht nur die installierte Leistung der Kohlekraftwerke ist gesunken, sondern auch die Auslastung der fortbestehenden Kapazität: Laut EIA lag sie im April und Mai dieses Jahres unter 30 Prozent. Saisonale Unterschiede fallen seit zwei Jahren deutlicher aus. In diesem Jahr lag der Stromverbrauch in den USA durch die Corona-Krise niedriger, sodass möglicherweise noch mehr Kohlestrom durch preiswerteren Strom aus Gas und Erneuerbaren aus dem Markt gedrängt wurde als ohnehin. Vier große Kohlekraftwerke werden deshalb in diesem Jahr nur saisonal betrieben: von Dezember bis Februar und von Juni bis August, weil dann der Strombedarf in den USA besonders hoch ist.
Galt eine geringe Auslastung bisher vor allem als Problem für die Wirtschaftlichkeit sehr alter Kraftwerke, gilt das mittlerweile auch für jüngere Anlagen. Die Betriebsdauer der stillgelegten Blöcke ist in den letzten zwei Jahren vom langjährigen Schnitt von rund 55 Jahren auf 46 Jahre gefallen.
Angesichts der weiter fallenden Kosten für preiswertere und emissionsärmere Energie ist eine Rückkehr zu einem bedeutend höheren Anteil Kohlestrom unwahrscheinlich. Tatsächlich sieht es eher danach aus, dass die aktuelle Entwicklung weiter Fahrt aufnimmt: Stromerzeuger setzen immer häufiger auf Erneuerbare statt auf Kohle und Gas. Dabei haben sie die Offshore-Windkraft bisher kaum berücksichtigt.
Allerdings, schätzte das US-Energieministerium 2019, könnte mit stabilen Rahmenbedingungen seitens der Politik bis 2030 eine Offshore-Windstrom-Kapazität von 22 GW aufgebaut werden, bis 2050 könnten es 86 GW sein. Damit wäre die heute bestehenden Kohlekraft zwar nicht ansatzweise zu ersetzen. Es wäre aber auch weniger als ein Prozent des riesigen Potenzials dieser Ressource: Offiziellen Schätzungen zufolge bieten die Meeresgewässer der USA das Potenzial für eine Kapazität von 2000 GW Windstrom.
Im Januar prognostizierte die EIA, dass in diesem Jahr 42 GW neue Erzeugungskapazität installiert würden: 44 Prozent davon würden Windkraft, 32 Prozent Solarkraft nutzen. Nur noch 22 Prozent seien Gaskraftwerke. Kohlekraft ist der EIA in diesem Kontext wieder keine gesonderte Erwähnung wert.
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