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Lithium aus Thermalwasser gewinnen
Wichtiger Rohstoff aus dem Oberrheingraben könnte für Batterien von E-Autos genutzt werden

Etwa 300 Kilometer lang und bis zu 40 Kilometer breit zieht sich der Oberrheingraben von Basel bis nach Frankfurt am Main. Wegen der tektonischen Besonderheiten gilt die Region als besonders vielversprechend für die Nutzung der Geothermie: Mehrere mittlerweile kommerzielle Projekte auf deutscher wie auf französischer Seite fördern heißes Wasser aus bis zu 7000 Metern Tiefe, um Strom und Heizwärme zu erzeugen.

Doch das Thermalwasser ist hier nicht nur außergewöhnlich warm, es enthält auch besonders hohe Mengen Lithium. Das haben Untersuchungen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) ergeben. Nun soll dieser Schatz am Standort Bruchsal, nahe Karlsruhe, gehoben werden: „Wir haben das Forschungsprojekt begonnen und planen derzeit die Pilotanlage“, teilte Projektleiter Jochen Kolb dem en:former auf Anfrage mit.

Bei optimalem Verlauf könne bereits bis Ende 2021 eine Anlage weitgehend installiert sein. Sie gewinnt das Lithium aus dem Wasser, das die Geothermieanlage zur Energiegewinnung fördert. „Parallel laufen die Experimente im Labor weiter, um die Datenlage zu verbessern und Tests zum Hochskalieren durchzuführen“, so Kolb. Den bisherigen Erkenntnissen nach enthält die jährliche Fördermenge mehrere Hundert Tonnen Lithium – genug, um etwa 20.000 E-Autos mit Akkus auszustatten.

Deutschland hat Europas größte Lithiumreserven

Für ein Forschungsprojekt wäre das beachtlich. Gemessen an dem immensen Bedarf wäre es jedoch ein Tropfen auf den heißen Stein. Laut Ingenieur.de gibt es sechs große Produktionsstandorte für Batteriespeicher in Europa und nach aktuellen Plänen wird ihre Zahl in den nächsten Jahren auf 21 steigen. Neun der Großfabriken sollen in Deutschland gebaut werden. Allein sie planen, jährlich mehrere Hunderttausend Auto-Akkus produzieren. Und Batteriebauer sind nicht die einzigen Unternehmen, die Lithium brauchen.

Die Vorkommen im Thermalwasser des Oberrheingrabens könnten dazu beitragen, die enorme Nachfrage zu decken. Zumal die Förderbedingungen an manchen Orten noch günstiger sein könnten als in Bruchsal, vermuten Experten. Das australisch-deutsche Unternehmen Vulcan Energy hat die Lithiumvorkommen im Oberrheingraben genauer untersucht und will sie in industriellem Maßstab gewinnen. Nach eigenen Angaben hat Vulcan Energy bereits Explorationsgenehmigungen für ein Gebiet mit 1,12 Millionen Tonnen Lithiumcarbonat-Äquivalenten (LCE) – das ist die gängige Maßeinheit für handelbares Lithium.

Diese Reserven, also die mit heutiger Technik wirtschaftlich abbaubaren Vorkommen, in diesem Gebiet entsprächen etwa 210.000 Tonnen reinem Lithium. Insgesamt schätzt Vulcan Energy die Ressourcen im Oberrheingraben auf fast drei Millionen Tonnen. Nach Unternehmensangaben würde das für 400 Millionen Elektrofahrzeuge reichen.

Wie groß das Vorkommen tatsächlich ist, lasse sich bisher nicht genau beziffern, sagt Michael Schmidt, Lithium-Experte der bundeseigenen Deutschen Rohstoffagentur (DERA). Wenn die Angaben von Vulcan Energy zutreffen, sagt Schmidt, würde der Oberrheingraben aber – neben dem Erzgebirge auf der deutsch-tschechischen Grenze und Vorkommen in Serbien – zu den drei größten Lithium-Lagerstätten Europas gehören.

Ohne Importe wird es nicht gehen

Doch der DERA-Experte tritt auf die Euphoriebremse: „Den deutschen oder gar europäischen Bedarf an Lithium werden die hiesigen Vorkommen allein nicht decken können.“ Der Lithium-Bedarf in Deutschland werde von heute wenigen Hundert Tonnen pro Jahr bis 2030 auf über 150.000 Tonnen LCE steigen, sagt Schmidt. Europaweit liegt der Bedarf mehr als doppelt so hoch.

Die Experten von Vulcan Energy rechnen bis Ende des Jahrzehnts sogar mit einer europaweiten Nachfrage von mehr als 350.000 LCE pro Jahr. Den eigenen Plänen nach könnte das Unternehmen diese Menge ab 2025 zu einem Zehntel decken. Ohne Importe wird die europäische Batterie-Produktion also nicht auskommen, betont Schmidt. Auch dann nicht, wenn man die mögliche Ausbeutung im Erzgebirge und im Nicht-EU-Land Serbien einbezieht. „Dennoch“, meint er, „täten Deutschland und Europa gut daran, die Importabhängigkeit zumindest zu verringern. Dies gilt im Übrigen für die gesamte Wertschöpfungskette der Batterieindustrie.“

Kommt Europa zu kurz?

Der bisherige Hauptlieferant von Lithium ist Australien, das 2019 rund 60 Prozent des Weltmarktes abdeckte. Dahinter folgen Chile, das mit acht Millionen Tonnen reinem Lithium (etwa 42 Millionen Tonnen LCE) die größten bekannten Reserven der Welt hat, sowie China und Argentinien. Diese Länder vereinen über 95 Prozent der Weltproduktion.

Alle vier gelten zwar als zuverlässige Handelspartner, aber Branchenkenner warnen bereits vor Knappheit. Unter Engpässen am Weltmarkt, sagte Dirk Habecke, CEO von Rock Tech Lithium, kürzlich in einem Interview mit dem „Stern“, könnte Europa in besonderem Maße leiden, weil sich andere Großabnehmer, insbesondere China, den Nachschub bereits durch langfristige Lieferverträge gesichert haben. Das deutsch-kanadische Unternehmen will Europas ersten Lithiumkonverter bauen, in dem transportfähiges Lithiumkarbonat zu Lithiumhydroxid verarbeitet wird, das für in den Batterien zum Einsatz kommt. Aber für den Abbau in Europa – insbesondere im Oberrheingaben – sprechen noch andere Gründe.

Emissionsneutraler Abbau im Oberrheingraben

Der herkömmliche Lithium-Abbau steht in der Kritik, ökologische und sozioökonomische Schäden zu verursachen: Der Bergbau in Australien und China ist mit erheblichen CO2-Emissionen verbunden. In Südamerika verstärkt die Abbaumethode den ohnehin großen Wassermangel im Einzugsgebiet der dortigen Lagerstätten – mit verheerenden Folgen für die Natur, aber auch die dort lebenden Menschen.

Im Oberrheingraben dagegen könnte der Lithium-Abbau mit geringen Umwelteinflüssen und sogar mit geringen Treibhausgasemissionen einhergehen, werben die Forscher von KIT und Vulcan Energy: Die Wärmeenergie des geförderten Thermalwassers soll wie bisher geothermisch genutzt werden und fossile Brennstoffe substituieren. Bevor es zurück in die unterirdischen Reservoire geleitet wird, soll ihm das Lithium entzogen werden. Der Energie- und Wasserverbrauch dieses Kreislaufes, sagen die Pioniere, sei sehr gering.

Geothermie und Lithium-Abbau kombinieren

Die Kombination von Lithium-Abbau und Geothermie hat aber nicht nur ökologische Vorteile. Nach Kalkulation der Gründer von Vulcan Energy ist sie der entscheidende Kniff, mit dem aus beiden Technologien ein profitables Geschäftsmodell wird. Vulcan Energy kalkuliert sogar mit Kosten, mit denen man mit den bisherigen Lieferanten auf dem europäischen Markt konkurrieren könnte. Sollten etwa die Emissionen des Transports aus Übersee künftig bepreist werden, wäre dies ein zusätzlich Kostenvorteil, teilte eine Unternehmenssprecherin dem en:former mit.

In der Politik hat das Thema bereits Anklang gefunden. Das Europäische Institut für Innovation und Technologie (EIT) fördert das Vorhaben nach Informationen des „Spiegel“ mit einem sechsstelligen Betrag. Bundesregierung und Bundestag ebneten den Weg in einer Ausschusssitzung Anfang Mai mit einer Änderung des Bergbaugesetzes, das nun auch den Abbau von Lithium aus Thermalwasser regelt und Investoren eine entsprechende Rechtssicherheit verschafft.

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