Die letzten Quartalszahlen der Bundesnetzagentur geben Grund zu leiser Hoffnung. Denn sie bestätigen den Eindruck von Brancheninsidern, dass der Netzausbau Fahrt aufnimmt. Dadurch, so ist dem aktuellen „Bericht zu Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen“ für das Jahr 2018 zu entnehmen, gelingt die Integration der Erneuerbaren Energien offenbar besser.
So mussten die Ökostromerzeuger ihre Anlagen im Jahr 2018 seltener herunterregeln. Dieses „Einspeisemanagement“ (EinsMan) auf Geheiß der Übertragungsnetzbetreiber ist nötig, wenn die Überlastung eines Netzabschnitts droht. Dies geschieht, wenn mehr Strom erzeugt als verbraucht wird oder in andere Netzteile übertragen werden kann. Die Betreiber von Erneuerbaren-Energien-Anlagen werden für diese erzwungene Abregelung vom Verteilnetzbetreiber entschädigt.
Nachdem dem Rekordwert von 5.518 Gigawattstunden (GWh) im Jahr 2017 musste 2018 gut zwei Prozent weniger Leistung abgeregelt werden. Und das, obwohl die erzeugte Menge erneuerbaren Strom um 5,5 Prozent höher lag als im Jahr zuvor. Insgesamt wurden 2,6 Prozent des Ökostroms abgeregelt – also quasi verschenkt. Noch deutlicher, nämlich um fast ein Viertel, sank das Volumen der Redispatch-Maßnahmen: von 20.439 auf 15.529 GWh. Dabei werden – insbesondere konventionelle – Kraftwerke abhängig von der Lastverteilung im Stromnetz hoch- oder heruntergefahren. Im Winter müssen dafür in Süddeutschland Kraftwerke aktiviert werden, die den Sommer über stillgelegt sind.
Die Bilanz der ÜNB macht deutlich: Im Südwesten Deutschlands (TransnetBW und Amprion) müssen Kraftwerke die Einspeisung vor allem erhöhen, im Nordosten (50Hertz) reduzieren. Ausgeglichen ist der Saldo nur bei TenneT, die das Übertragungsnetz im gesamten Mittelkorridor von der Nordseeküste bis zum Alpenrand betreibt.
Der Grund dafür ist der gleiche wie beim EinsMan: Die hohen Windkraft-Strommengen im Norden können nicht immer schnell genug in die Verbrauchszentren im Westen und Süden Deutschlands übertragen werden. Der erhöhte Strombedarf im Winter verschärft die Situation.
Doch auch hier macht sich laut Bundesnetzagentur der Ausbau der Übertragungsnetze bereits positiv bemerkbar. Insbesondere die Inbetriebnahme der „Thüringer Strombrücke“ im Herbst 2017 entlaste die Übertragungsnetze maßgeblich. Die 190 Kilometer lange Höchstspannungsleitung kann 5 Gigawatt (GW) Strom aus Sachsen-Anhalt nach Bayern übertragen. Damit entspricht ihre Übertragungskapazität 97 Prozent der in Sachsen-Anhalt installierten Windkraftleistung.
An den Gesamtkosten der Netzeingriffe hat das allerdings nicht viel geändert. Beim EinsMan sind die Kosten sogar gestiegen. „Hier fallen die höheren Entschädigungsansprüche für Offshore Windenergieanlagen ins Gewicht, deren Anteil an der Abregelung von Erneuerbaren Anlagen im Jahr 2018 gestiegen ist“, erklärte ein Sprecher der BNetzA auf Anfrage des en:former. Schwieriger sei es, zu ermitteln, warum die Kosten beim Redispatch nicht im gleichen Maße gesunken sind wie die Maßnahmen: „Dabei spielen das eingesetzte Kraftwerk, dessen Grenzkosten und weitere Kostenbestandteile, aber auch der Börsenpreis eine Rolle.“
Immerhin: Nach mehr als 1,5 Milliarden Euro im Jahr 2017 mussten Netzbetreiber 2018 wohl „nur“ noch gut 1,4 Milliarden Euro aufwenden, um das deutsche Stromnetz zu stabilisieren. Die Kosten legen die Betreiber über das Netzentgelt auf die Verbraucher um.
An der Dringlichkeit, die Übertragungskapazität schneller auszubauen als bisher, hat sich also nichts geändert. Im Gegenteil: Derzeit prüft die Bundesnetzagentur den neuen Netzentwicklungsplan (NEP) der Übertragungsnetzbetreiber. In ihrem aktuellen Entwurf fordern sie bis zum Jahr 2030 mehr als 12.000 Kilometer verstärkte Leitungen und neue „Stromautobahnen“.
Von den bisher veranschlagten 7.700 Kilometern Netzausbau waren am Ende des ersten Quartals 2019 laut Bundesnetzagentur erst 1.100 Kilometer fertiggestellt. Weitere 800 Kilometer sind genehmigt, 4.650 Kilometer sind beantragt und für die übrigen 1.150 Kilometer steht die Eröffnung des Genehmigungsverfahrens aus.
Abhilfe soll die Novelle des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes bringen. Das „NABEG 2.0“ ist Mitte Mai in Kraft getreten und zielt darauf ab, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Zudem soll es ermöglichen, den Bau einzelner Trassenabschnitte zu beginnen, bevor der letzte Kilometer eines Bauvorhabens genehmigt ist.
Bis 2030, schätzen die Übertragungsnetzbetreiber, dürfte der Netzausbau bis zu 62,5 Milliarden Euro kosten. Ohne einen beschleunigten Netzausbau würden diese Ausgaben jedoch rapide steigen. Denn damit Deutschland seine Klimaziele erreicht, muss der Anteil der Erneuerbaren weiterwachsen. Und das wird er nach heutigem Stand vor allem durch noch mehr Windkraft aus dem Norden.
Wenn dann Kapazität fehlt, um den Strom nach Süddeutschland zu transportieren, müssen die Netzbetreiber noch stärker eingreifen. Ein Mangel, der nicht nur die Kosten treiben, sondern auch der CO2-Bilanz schaden würde. Schließlich bewältigen nach wie vor konventionelle Kraftwerke mehr als zwei Drittel der Redispatch-Maßnahmen. Die Netzreservekapazität kommt sogar zu 100 Prozent aus Gas-, Steinkohle- und Erdölkraftwerken. Und genau dieser Bedarf könnte künftig wieder steigen.
Zuletzt hat die Bundesnetzagentur zwar einen rückläufigen Bedarf an Reservekapazität verbucht: Anstatt 10.400 Megawatt (MW) im Winter 2017/2018 waren 2018/2019 nur noch 6.600 MW nötig. „Ein wichtiger Grund liegt in Fortschritten bei der effizienteren Ausnutzung des vorhandenen Netzes, vor allem hinsichtlich des witterungsabhängigen Freileitungsmonitorings“, heißt es dazu bei der Bundesnetzagentur. Dabei wird das Phänomen genutzt, dass Leitungen bei niedrigen Temperaturen mehr Strom transportieren können, bisher wurde bei der Auslastung auch im Winter mit Sommertemperaturen kalkuliert. Zudem war der Stromverbrauch dank milden Winterwetters etwas niedriger.
Doch wenn die letzten Kernkraftwerke Ende 2022 vom Netz gehen, wird das Nord-Süd-Gefälle von Erzeugungskapazität und Stromverbrauch noch steiler als bisher. Dann, schätzt die Bundesnetzagentur, wird der Bedarf an Reservekapazität ein neues Rekordniveau von 10.647 MW erreichen.
Vorsorglich hat die Behörde deshalb die endgültige Stilllegung von 27 Kraftwerken einstweilen untersagt. Insgesamt wollen die Betreiber 110 Kraftwerksblöcke mit einer Gesamtkapazität von 22.000 MW in Rente schicken, weil sie nicht mehr profitabel betrieben werden können. Die Bundesnetzagentur kann das ablehnen, wenn sie Anlagen als systemrelevant einstuft. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) weist seit geraumer Zeit auf den bevorstehenden Mangel an gesicherter Erzeugungsleistung hin. Die Konsequenz wäre, dass Deutschland größere Mengen Strom importieren muss als bisher. Ein schnellerer Netzausbau könnte diesen Mangel abfedern.
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