Der Bau der ersten direkten Stromverbindung (Link in Englisch) zwischen den beiden größten Volkswirtschaften Europas, dem Vereinigten Königreich und Deutschland, hat begonnen. Der Interkonnektor „NeuConnect“ wird von einem Umspannwerk im Netz des Übertragungsnetzbetreibers Tennet bei Fedderwarden an der deutschen Nordseeküste zur Isle of Grain im Bezirk Medway in Südengland führen.
Das Kabel wird weltweit eines der längsten seiner Art sein. 706 der insgesamt 725 Leitungskilometer werden unter dem Meer verlaufen – durch britische, niederländische und deutsche Gewässer. Der Rest wird an Land mit einem speziellen Tunnelbauverfahren unterirdisch verlegt. Der Interkonnektor wird eine Kapazität von 1,4 Gigawatt (GW) und eine Gleichstromspannung von 525 Kilovolt (kV) haben. Die Gesamtkosten werden sich auf etwa 2,8 Milliarden Euro belaufen. 2028 soll der erste Strom fließen.
Das Projekt gehört zu einer ganzen Reihe von Hochspannungs-Verbindungsleitungen (Link in Englisch), die aktuell zwischen europäischen Ländern entstehen. Grund für diesen regelrechten Boom ist einerseits der Ausbau der Erneuerbaren Energien – insbesondere der geografisch konzentrierten Offshore-Windkraft. Andererseits steckt dahinter der Wunsch nach Versorgungssicherheit, ausgelöst durch die Erschütterungen durch Russlands Einmarsch in die Ukraine.
Das Vereinigte Königreich ist bereits an Irland, Frankreich, die Niederlande, Belgien und seit 2021 über die 1,4-GW-Nordsee-Verbindung auch an Norwegen angebunden. Deutschland verfügt über Verbindungen zu seinen unmittelbaren Nachbarn sowie über Unterwasserleitungen zu Norwegen und Schweden.
Mit dem Bau neuer Offshore-Windparks in Nordeuropa gewinnt der Infrastrukturausbau auch dort zunehmend an Bedeutung. Bisher sind die Anlagen meist nur an das Stromnetz des Landes angeschlossen, in dessen Hoheitsgebiet sie liegen. Konzepte wie Energieinseln und Mehrzweckverbindungsleitungen (Link in Englisch) versprechen jedoch, Märkte zu verbinden. Das würde den Handel erleichtern, die Versorgungssicherheit erhöhen und eine effizientere Nutzung der Erneuerbaren Energien ermöglichen.
Auch NeuConnect soll dazu beitragen, die wachsenden Offshore-Windkapazitäten auf dem deutschen und britischen Strommarkt optimal zu nutzen. Und beide Länder haben ehrgeizige Ziele: Deutschland will bis 2030 Windräder auf See mit einer Kapazität von 30 GW installieren. Das Vereinigte Königreich strebt 50 GW an. Ende 2022 kamen sie nach Angaben der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (Link in Englisch) auf 8,1 GW bzw. 13,8 GW. Damit sind sie aktuell die beiden größten Märkte Europas.
Gerade in Deutschland werden mit dem Offshore-Ausbau zusätzliche Flexibilitäten benötigt. Denn auf der einen Seite fehlt es an Übertragungskapazität, um Windstrom aus dem Norden in den Süden des Landes zu transportieren. Hier soll das SuedLink-Projekt Abhilfe schaffen, das bis zu 4 GW Strom nach Bayern und Baden-Württemberg leiten wird.
Da Deutschlands nördliche Nachbarn, Dänemark und Norwegen, jedoch reichlich Strom aus Wind- und Wasserkraft produzieren, wird Deutschland auf der anderen Seite mit dem Ausbau seiner Offshore-Kapazität zusätzliche Flexibilität benötigen – daher Projekte wie NeuConnect.
Bereits heute ist sowohl Deutschland als auch das Vereinigte Königreich stark auf Windkraft angewiesen. Sie ist in beiden Staaten die wichtigste erneuerbare Energiequelle, wobei in der Bundesrepublik der Onshore-Sektor dominiert, im Vereinigten Königreich der Offshore-Sektor.
In Bezug auf fossile Energiequellen unterscheiden sich die Stromsystem jedoch: In beiden Ländern ist die Stromerzeugung aus Kernkraft zwar zuletzt zurückgegangen. Das Vereinigte Königreich unterstützt die Technologie allerdings weiter, Deutschland hat seine letzten drei Kernkraftwerke im April 2023 abgeschaltet. Das Vereinigte Königreich hat außerdem die Kohleverstromung fast vollständig eingestellt, während diese in Deutschland seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine und dem Wegfall der russischen Gasimporte zunächst zugenommen hatte und trotz Einbußen im Sommer weiterhin eine wichtige Rolle spielt.
Dennoch wachsen die Erneuerbaren auf beiden Märkten, allen voran die Wind- und Solarenergie. So konnte Deutschland im Jahr 2022 45,9 Prozent seines Stroms aus nachhaltigen Quellen, einschließlich Wasserkraft, erzeugen, das Vereinigte Königreich 42,7 Prozent.
Interkonnektoren könnten dazu beitragen, diesen Anteil künftig weiter zu erhöhen. Denn sie fördern die Vielfalt der Energiequellen auf den Märkten, indem sie diese miteinander verknüpfen.
Damit beide Länder ihr Netto-Null-Ziel bis 2050 erreichen können, muss die Erzeugung aus Erneuerbaren weiter zunehmen. Um diese bestmöglich zu nutzen, sind Flexibilitäten in jeder Form erforderlich, einschließlich Energiespeicher, landesinterner Übertragung, Nachfragesteuerung – und eben solchen Interkonnektoren.
Langfristig soll ein sogenanntes „Offshore-Supernetz“ in der Nordsee entstehen. Dazu soll eine flexible Übertragungsinfrastruktur aufgebaut werden. Diese soll die immer größeren Mengen Erneuerbarer Energie effizient für verschiedene Märkte verfügbar machen.
Die direkte Verbindung zwischen den beiden größten europäischen Volkswirtschaften ist daher ein wichtiger Schritt. NeuConnect könnte dazu beitragen, den Ausbau der Offshore-Windenergie voranzutreiben, die Handelsmöglichkeiten zu erhöhen und beiden Ländern zusätzliche Sicherheit bei der Energieversorgung bieten.
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