Nordafrika hat beträchtliches Potenzial, um in Zukunft Wasserstoff in großen Mengen zu produzieren. Denn Algerien, Ägypten und Libyen sind große Gasproduzenten, und die Region insgesamt verfügt über enorme Ressourcen an regenerativen Energiequellen wie Sonne und Wind, die für die Herstellung von klimaneutralem grünem Wasserstoff gebraucht werden.
Die Exporteinnahmen aus fossilen Brennstoffen sind für die finanzielle Stabilität mehrerer Staaten in der Region von entscheidender Bedeutung. Aber mit dem Fortschreiten der Energiewende wird die Nachfrage nach Öl und Gas voraussichtlich bald ihren Höhepunkt erreichen und dann zurückgehen. Das hängt vor allem mit Entwicklungen in Europa zusammen, das heute große Mengen fossiler Brennstoffe aus der Region importiert. In Zukunft wird Europa auf seinem Weg zur Klimaneutralität bis 2050 allerdings umschwenken – und dann mit ziemlicher Sicherheit Importe sauberer Energie benötigen.
Es besteht also ein klares gemeinsames Interesse an der Nutzung des nordafrikanischen Potenzials an Erneuerbaren Energien, um die Energiewende in der Region zu unterstützen. Das würde dort nicht nur neue Arbeitsplätze schaffen und die wirtschaftliche und soziale Stabilität fördern, sondern auch Europas Bedarf an sauberer Energie decken.
Die existierende Erdgasproduktion könnte perspektivisch für die Herstellung von blauem Wasserstoff genutzt werden. Das Potenzial Nordafrikas an Solar und Wind ist – global gesehen – unübertroffen und weitaus größer als seine Ressourcen an fossilen Brennstoffen. Noch dazu ist der heimische Energiebedarf gering. Denn die Region verfügt über große, dünn besiedelte Flächen und eine außergewöhnlich hohe Sonneneinstrahlung. Algerien beispielsweise ist gemessen an der Landmasse das zehntgrößte Land der Welt und profitiert von durchschnittlich 3.000 Sonnenstunden im Jahr.
Laut aktueller Studien der Internationalen Energieagentur (IEA) und der Investmentbank „Lazard“ ist Photovoltaik die günstigste Form der Stromerzeugung, dicht gefolgt von der Onshore-Windkraft. Sowohl in Portugal und im nördlichen Teil Afrikas, als auch in ähnlichen Breitengraden des Nahen Ostens wie zum Beispiel in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wurden rekordverdächtig niedrige Gebote für PV-Anlagen verzeichnet. Es gibt also wenig Grund daran zu zweifeln, dass Nordafrika Solarstrom in großem Maßstab und zu weltweit unschlagbar niedrigen Preisen erzeugen könnte.
Die Windressourcen in der Region sind ebenfalls enorm, da die Passatwinde für hohe und oft sehr konstante Windgeschwindigkeiten sorgen. Marokko beispielsweise verfügt über ein geschätztes Offshore-Windpotenzial von 200 Gigawatt und profitiert von durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten von 7,5 bis 9,5 Meter pro Sekunde (m/s) im Süden und 9,5 bis 11,0 m/s im Norden.
Algerien übertrifft das noch einmal deutlich: Die internationale Finanzinstitution „International Finance Corporation“, die zur Weltbank gehört, schätzt die technischen Windressourcen des Landes auf 7.700 Gigawatt. Zum Vergleich: Die gesamte Windkapazität in Europa lag Ende 2020 bei knapp über 216 Gigawatt.
Doch es gibt auch Hindernisse: Nordafrika verfügt weder über einen Überschuss an Trinkwasser, das für die Wasserstoffproduktion benötigt wird, noch über eine entwickelte Elektrizitätsinfrastruktur, die den einfachen Anschluss dezentraler Erzeugungsanlagen ermöglichen würde. Nach Angaben von UNICEF ist die Region des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA) die wasserärmste der Welt.
Obwohl es verschiedene Möglichkeiten gibt, mit begrenzten Wasservorräten umzugehen, sind Entsalzungsanlagen eine wichtige Option. Sie haben jedoch einen hohen Stromverbrauch, weswegen sie zu den Ursachen für die hohen Wachstumsraten des Energieverbrauchs in der MENA-Region sind. Bevor Wasserstoff also zum Energieexport-Gut der Region werden kann, gilt es, in die Wasserversorgung und die Netzinfrastruktur zu investieren.
Darüber hinaus ist eine kostengünstige Stromerzeugung zwar wesentliche Grundlage für die Produktion von grünem Wasserstoff. In Anbetracht der Umwandlungsverluste und der Kapitalkosten für die Elektrolyseure ist der Energieträger als Kraftstoff derzeit jedoch nicht wettbewerbsfähig. Laut einer aktuellen Studie des deutschen Thinktanks „Agora Energiewende“ würden die Kohlenstoffpreise in der EU selbst dann nicht genügend Anreize für die Produktion von grünem Wasserstoff schaffen, wenn sie auf 100-200 Euro pro Tonne steigen würden.
Zwar werden die Kosten bei der Herstellung in Zukunft sinken, wenn Wasserstoff in größerem Umfang produziert wird. Aber zumindest anfangs werden Investitionen in diesem Sektor – ob in Europa oder Nordafrika – wahrscheinlich Garantien erfordern, um die Kosten zu decken und um sicherzustellen, dass es Käufer für den so produzierten Wasserstoff gibt. In der Agora-Studie wird argumentiert, dass in Europa gezielte politische Instrumente für die Industrie, die Energiewirtschaft, die Schifffahrt und die Luftfahrt erforderlich sind, um Märkte für die Nutzung von Wasserstoff zu schaffen.
Die Investmentbank „Lazard“ geht davon aus, dass die Wasserstoffproduktion, die die wenigsten zusätzlichen Kosten in Bezug auf Umwandlung, Speicherung und Transport erfordert, zuerst wettbewerbsfähig werden wird.
Der Thinktank Agora argumentiert in diesem Zusammenhang außerdem, dass der Wasserstoffhandel aufgrund der hohen Transportkosten eher regional als international sein wird. Laut Agora sind die Kosten für den Transport von Wasserstoff beispielsweise von der Iberischen Halbinsel nach Nordwesteuropa etwa doppelt so hoch wie die Kosten für die Nutzung von Pipelines oder Stromkabeln, wenn nur der Strom übertragen wird und der Wasserstoff woanders hergestellt wird.
In dieser Hinsicht ist wiederum die Nähe Nordafrikas zu Europa ein Vorteil. Denn es existieren bereits Gaspipelines von Algerien nach Spanien und Italien sowie von Libyen nach Italien. Umgerüstete Pipelines werden von den Agora-Experten als das günstigste Mittel für den Wasserstofftransport angesehen. Dennoch müssen die Produktionskosten für importierten Wasserstoff niedrig sein, um die Transportkosten auszugleichen. Nur dann ist dieser konkurrenzfähig zum Wasserstoff, der in Europa produziert wird.
Die nordafrikanischen Staaten hinken ihren eigenen Zielen im Bereich der erneuerbaren Energien hinterher. Häufige Gründe dafür sind unattraktive Investitionsbedingungen, unzureichend entwickelte rechtliche Rahmenbedingungen zum EE-Ausbau sowie das uneinheitliche Umsetzen von Vorschriften. Diese Faktoren halten ausländische Investoren ab, obwohl von ihnen der Erfolg der Wasserstoffproduktion mit Sicherheit abhängen wird. Es gibt jedoch auch Anzeichen für einen Wandel. Ägypten zum Beispiel unterstützt öffentlich-private Investitionen und verbessert den Zugang des Privatsektors zur Stromerzeugung. Im September 2020 hat die Regierung ihre ersten grünen Anleihen erfolgreich platziert. Viele Maßnahmen zur Marktliberalisierung sind jedoch noch nicht umgesetzt worden.
Auch Algerien öffnet sich: Hier hat der Staat die Notwendigkeit einer algerischen Mehrheitsbeteiligung an Projekten im Bereich der Erneuerbaren Energien abgeschafft und die Beschränkungen für ausländische Finanzierungen aufgehoben. Beides stellte erhebliche Hindernisse für ausländische Investitionen dar.
Auch Marokko, das bereits über Stromverbundnetze mit Spanien verfügt, hat einiges unternommen, um einen sicheren rechtlichen und finanziellen Rahmen für Investitionen zu schaffen. Das Land wurde im Oktober im „Renewable Energy Country Attractiveness Index“ von Ernst and Young auf Platz 16 eingestuft – und ist damit das bestplatzierte nordafrikanische Land. Ägypten kam auf Platz 19 und verbesserte sich damit um einen Platz. Dennoch gelang es keinem weiteren nordafrikanischen Staat, einen Platz unter den Top 40 in der Rangliste der 40 wichtigsten Märkte für Investitionen in Erneuerbare Energien zu erhalten.
Sowohl die riesigen erneuerbaren Energieressourcen Nordafrikas als auch dessen Nähe zu Europa sind die Gründe für eine Reihe von Projekten, die 2021 von europäischen Energieunternehmen angekündigt worden sind. Dadurch sollen die Chancen für die Produktion von grünem und blauem Wasserstoff in der Region bewertet werden.
Diese Projekte müssen jedoch eine bestimmte Größe erreichen, damit Skaleneffekte zur Kostensenkung beitragen. Darüber hinaus müssen die Investoren sicher sein, dass in dem jeweiligen Land ein stabiles und günstiges Investitionsklima herrscht und dass Europa die notwendigen politischen Maßnahmen und Instrumente einführt, um eine Nachfrage nach grünem Wasserstoff zu schaffen.
Politische Stabilität ist ein wichtiger Faktor für große Investitionsentscheidungen, und die jüngste Geschichte Nordafrikas ist seit dem Arabischen Frühling Anfang der 2010er Jahre turbulent. Auch wenn das Niveau der politischen Stabilität in der Region unterschiedlich ist, ist Libyen, das seit Jahren unter Konflikten leidet und noch immer keine funktionierende Zentralregierung hat, ein mahnendes Beispiel.
Darüber hinaus könnte sich die Aussicht auf einen künftigen Rückgang der Öl- und Gaseinnahmen als destabilisierender Faktor für nordafrikanische Staaten erweisen, die stark von der Ausfuhr fossiler Brennstoffe abhängig sind.
Investitionen in Erneuerbare Energien, die auf Wasserstoff- oder Stromexporte abzielen, wären ein positiver Ausgleich, da sie inländische Arbeitsplätze schaffen und Staatseinnahmen generieren würden. Aber bevor Investoren Gelder bereitstellen, müssen sie sicher sein, dass die nordafrikanischen Staaten stabile Partner sein werden.