Relativ dünn besiedelt erstreckt sich Norwegen im Norden Europas bis zum Polarkreis und ist mit vielerlei natürlichen Ressourcen und Rohstoffen gesegnet – sowohl konventioneller als auch emissionsarmer Natur. Obwohl das Land eine der führenden Nationen im Öl- und Gasexport ist, wird fast der gesamte Strom aus Wasserkraft gewonnen, was dem Land die niedrigsten CO2-Emissionen in ganz Europa beschert. Norwegen verfügt über 1.681 Wasserkraftwerke, die im Jahr 2020 rund 88 Prozent der Stromversorgung abdeckten. Und während der Rest der Welt auf der ständigen Suche nach neuen Methoden zur Energiespeicherung ist, bieten die einzigartigen geografischen Eigenschaften Norwegens mehr als 1.000 Wasserreservoirs, die die Speicherung von bis zu 70 Prozent des jährlichen Stromverbrauchs ermöglichen.
Diese Flexibilität ermöglicht eine große Unabhängigkeit von Strom aus fossilen Energieträgern – unter anderem, um Schwankungen bei Niederschlägen und Schneeschmelzen auszugleichen, die die Stromerzeugung aus Wasserkraft beeinflussen. Zusätzlich dazu verfügt Norwegen über ein leistungsfähiges Speichersystem, um auch andere erneuerbare Energiequellen wie Wind- und Sonnenkraft gut integrieren zu können.
Dank seiner enormen Wasserkraftressourcen verfügt Norwegen über einen Überschuss an regenerativ erzeugtem Strom. Das bedeutet einerseits, dass die Strompreise im Land mit zu den günstigsten weltweit gehören. Andererseits birgt dies auch zwei große Chancen: Der erneuerbar produzierte Strom kann sowohl in andere europäische Staaten exportiert als auch im Inland vermehrt für die Sektoren Wärme und Verkehr genutzt werden.
Das wird anhand folgender Zahlen deutlich: In der zweiten Jahreshälfte 2020 exportierte das Land rund 14 Terrawattstunden (TWh) Strom und ist damit der größte Stromexporteur Europas. Norwegen ist Teil des sogenannten „Nordel“ – ein mit Dreiphasenwechselstrom betriebenes elektrisches Verbundsystem der skandinavischen Staaten Norwegen, Finnland, Schweden und Teilen Ostdänemarks. Über Gleichstromverbindungen ist das Verbundsystem dabei unter anderem direkt mit Westdänemark und Deutschland verbunden, mit Polen und Litauen über Schweden, mit den Niederlanden über Norwegen sowie mit Estland und Russland über Finnland.
Zusätzlich dazu hat der norwegische Netzbetreiber Statnett in Zusammenarbeit mit der niederländischen Netzgesellschaft TenneT im Dezember NordLink fertiggestelt – ein mehr als 500 Kilometer langes 1.400 Megawatt (MW)-Unterseekabel, das erstmals den norwegischen und den deutschen Strommarkt direkt miteinander verbindet. Darüber hinaus wird auch North Sea Link, ein etwa 720 Kilometer langes Kabel mit ebenfalls 1.400 MW Leistung, den norwegischen und den britischen Markt verbinden. Die Fertigstellung der dann längsten Unterwasser-Verbindungsleitung der Welt wird noch in diesem Jahr erwartet. Insgesamt soll so die Kapazität der Interkonnektoren zwischen dem nordischen Stromsystem und anderen Netzen bis 2025 um mehr als 50 Prozent steigen.
Wie kein anderes Land hat sich Norwegen der Elektro-Mobilität verschrieben. Nach Angaben des norwegischen Verbands für E-Mobilität waren vergangenes Jahr 54 Prozent der neuzugelassenen norwegischen PKW vollelektrisch – der mit Abstand größte Anteil weltweit. Unterstützt durch eine Reihe von Anreizen und Förderungen hat sich die Regierung das nationale Ziel gesetzt, dass bis 2025 alle verkauften Neuwagen emissionsfrei sein sollen.
Trotz guter Prognosen in diesem Sektor steht das Land jedoch in anderen Bereichen vor einem Dilemma: Als Öl- und Gasexporteur muss Norwegen sich mit der Problematik auseinandersetzen, dass die weltweite Nachfrage nach fossilen Brennstoffen noch vor 2050 ihren Höhepunkt erreichen wird. Die Skandinavier müssen sich also schon bald auf eine Ära ohne Öl, Gas und fossile Brennstoffe einstellen und nach Alternativen suchen, um Arbeitsplätze und fortlaufende Staatseinnahmen zu sichern.
Zwar scheint eine Erhöhung der Erzeugungskapazität in einem Land mit überschüssiger Erneuerbarer Energie auf den ersten Blick unnötig, aber: Genau das soll nicht nur die norwegische Energiewende und den Stromexport nachhaltig ankurbeln, sondern auch neue Einnahmequellen schaffen, um den erwarteten Rückgang aus dem Öl- und Gassektor zu kompensieren. Davon profitieren auch andere europäische Märkte: So kann günstiger und nachhaltiger Strom auch dorthin fließen, wo die Stromerzeugung noch stärker von Kohle und Gas abhängt.
Wie in vielen anderen nordeuropäischen Ländern, ist auch das Windkraftpotenzial Norwegens sowohl an Land als auch auf hoher See beträchtlich. Zwischen 2017 und 2019 hat sich die Onshore-Windkapazität verdoppelt und erreichte Mitte 2020 2.662 MW – aufgrund dieser beachtlichen Entwicklung stößt der Sektor jedoch auf zunehmenden Widerstand. So wurde 2019 ein Stopp für neue Genehmigungen verhängt und 2020 wurden zusätzlich neue Regeln eingeführt, die den Ausbau erwartbar verlangsamen sollen.
Während es bei Onshore stockt, soll es bei Offshore-Wind erst richtig losgehen. Eine von „Export Credit Norway“ in Auftrag gegebene und im November 2020 veröffentlichte Studie bestätigt, dass die Offshore-Windkraft zu einer der wichtigsten Exportindustrien des Landes werden könnte. In einem Szenario mit beschleunigtem Wachstum schätzt die Studie, dass norwegische Unternehmen mit Offshore-Wind jährlich bis zu 12,9 Milliarden Euro einnehmen könnten.
Floating Offshore auch in Norwegen auf dem Vormarsch
Auch bei Floating Offshore-Projekten leisteten die Norweger bereits Pionierarbeit: So waren sie an der Entwicklung einer Prototyp-Turbine beteiligt, die als Grundlage für den Hywind-Park vor der schottischen Küste diente, der als erstes Projekt dieser Art in kommerziellen Betrieb genommen wurde.
Auch im eigenen Land gehen die Planungen voran: So soll Norwegens erster eigener Offshore-Windpark der größte schwimmende Windpark der Welt werden. Der Bau des 88-MW-Projekts Hywind Tampen hat im Oktober 2020 begonnen und soll 35 Prozent des jährlichen Strombedarfs von fünf Plattformen auf den Öl- und Gasfeldern Snorre und Gullfaks decken. Norwegens Küste ist vor allem für seine tiefen Gewässer und atemberaubenden Fjorde bekannt – doch es gibt auch viele Möglichkeiten, Offshore-Windenergie zu produzieren.
Eine von der norwegischen Wasserressourcen- und Energiedirektion im Jahr 2013 durchgeführte Umweltprüfung hat beispielsweise 15 Zonen untersucht und dabei die Gesamtkapazität für Offshore-Windprojekte in Norwegen geschätzt. Das Ergebnis: Sowohl festinstallierte Windkraftanlagen als auch schwimmende Windparks könnten mit geschätzten 4.600 bis 12.600 MW zwischen 19 und 50 TWh Strom jährlich generieren – das entspräche am oberen Ende etwa einem Drittel des norwegischen Stromverbrauchs. Die 15 geprüften Zonen stellen dabei nur einen kleinen Teil des Gesamtpotenzials dar.
Zwei dieser 15 Zonen wurden gerade im letzten Jahr von Seiten der Regierung für neue Projekt-Anträge geöffnet – Utsira Nord und Sørlige Nordsjø II. Rund 22 Kilometer vor der Küste gelegen weist Utsira Nord eine durchschnittliche Windgeschwindigkeit von 10,2 Metern pro Sekunde (m/s) auf, gleichzeitig auch Wassertiefen von 185 bis 280 Meter – also optimale Bedingungen für schwimmende Windprojekte. 140 Kilometer vor der norwegischen Küste liegt mit Sørlige Nordsjø II die größte analysierte Zone. Mit durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten von 10,5 m/s und Wassertiefen von 40 bis 70 Metern eignet sich dieser Bereich sowohl für die Installation fest im Boden verankerter als auch schwimmender Windparks.
Zwar sind norwegische Unternehmen auch in anderen europäischen Märkten aktiv, die Weiterentwicklung der eigenen Energieressourcen mit innovativen Offshore-Windprojekten soll jedoch nicht nur mehr Strom für Norwegens Energiewende liefern. Auch andere europäische Länder profitieren vom Ausbau – dank grenzüberschreitender Netzinfrastruktur.