Vor den Küsten Großbritanniens erheben sich immer größere Windräder, die grünen Strom erzeugen. Gleichzeitig werden Plattformen und Anlagen zur Förderung von Öl und Gas stillgelegt. Allein im Jahr 2022 sollen nach Angaben des Branchenverbandes OGUK (Link in English) 1,2 Millionen Tonnen der Öl- und Gasinfrastruktur sowie 350 Kilometer Pipelines aus den britischen Gewässern entfernt werden. Ein Großteil davon lässt sich anschließend recyceln oder anderweitig wiederverwerten.
Dieser Wandel hätte auch weitreichende Folgen für den britischen Arbeitsmarkt. Auf der einen Seite würde die Offshore-Industrie in den Häfen entlang der Ostseeküste Arbeitsplätze schaffen, um die neuen Windkraftanlagen instand zu halten. Auf der anderen Seite nähmen die Aktivitäten im Einklang mit den Netto-Null-Ambitionen der Regierung im Öl- und Gassektor ab. Dies würde dann dazu führen, dass sich das Arbeitsumfeld in den Gemeinden verändert, die lange Zeit von der Förderung fossiler Brennstoffe abhängig waren.
Allerdings lässt sich viel vom Knowhow aus der Öl- und Gasindustrie transferieren und geht damit nicht einfach verloren. Denn sowohl Windkraft als auch Öl und Gas gehören im Vereinigten Königreich in erster Linie zur Offshore-Industrie, deren Anlagen beziehungsweise Plattformen durch unter- und überseeische Pipelines und Stromleitungen mit der Küste verbunden sind. Dafür werden spezielle technische Fähigkeiten und Kapazitäten benötigt, in denen das Vereinigte Königreich anerkanntermaßen führend ist.
Doch die Auswirkungen beschränken sich nicht nur auf den Arbeitsmarkt. Es gibt immer mehr Anzeichen dafür, dass die Energiewende auf industrieller Ebene Fuß fasst. Eine Umfrage der Aberdeen & Grampian Chamber Of Commerce (Link in English) kommt zu folgendem Ergebnis: 2018 machte der Anteil der Aktivitäten von Öl- und Gasunternehmen im Herzen des britischen Öllandes, die nicht auf das Öl- und Gasgeschäft zurückzuführen sind, insgesamt 14 Prozent aus. Im Oktober 2021 stieg dieser Anteil bereits auf 21 Prozent.
Darüber hinaus gehen vier von fünf Unternehmen, die aktiv Änderungen planen, davon aus, dass bis 2025 ein Anstieg des Anteils auf 33 Prozent und 2030 sogar auf 47 Prozent erwartet werden kann. Dabei wird die Offshore-Windindustrie die wichtigste Quelle für die Aufträge sein. In diesem Kontext rechnen 69 Prozent der Unternehmen aus diesem Sektor für 2022 mit einer Steigerung des Umsatzes. Die Umfrage prognostiziert auch eine wachsende Zahl an Mitarbeitenden, insbesondere Festangestellten.
Die zunehmende Bedeutung der Offshore-Windenergie belegt auch eine aktuelle Studie des Energieforschungs- und Business-Intelligence-Unternehmens Rystad Energy: Die Analysten stellten fest, dass die Ausgaben für Offshore-Windkraft jene für Öl und Gas im Jahr 2020 übertrafen (Link in English). Obwohl sich die Investitionen der beiden Branchen schon früher überschnitten, markiert 2021 einen Wendepunkt, von dem aus sich die Richtung nicht mehr ändern wird.
Zwar sind das Vereinigte Königreich und Dänemark Vorreiter in der Entwicklung, allerdings wird diese immer mehr zu einem globalen Phänomen.
Für Europa wird erwartet, dass die Ausgaben für die Offshore-Windenergie im Jahr 2026 jene für Öl und Gas übertreffen werden. In den USA, die bis 2030 anstreben, Offshore-Windkraftkapazitäten mit einer Leistung von 30 Gigawatt zu errichten (zurzeit sind es 42 Megawatt), ist von ähnlichen Entwicklungen auszugehen: Ab 2023 dürften die Investitionen in den Öl- und Gassektor auf unter 10 Milliarden US-Dollar jährlich sinken. Dieser Wert entspricht laut der Studie dem, was zwischen 2025 und 2030 an Investitionen im Offshore-Windenergie-Sektor erreicht wird.
Weltweit betrachtet sollen aber die Ausgaben für Öl und Gas bis zum Ende des Jahrzehnts zunächst leicht auf 140 Milliarden US-Dollar ansteigen. Parallel dazu rechnen die Experten damit, dass die Investitionen in die Offshore-Windenergie, die einen wesentlichen Teil der Gesamtausgaben für Erneuerbare ausmachen, bis 2030 von aktuell 50 Milliarden US-Dollar auf 87 Milliarden US-Dollar zunehmen werden. Das wäre eine Steigerung um 70 Prozent.