Am 24. April 2023 wurde beim „North Sea Summit“ in Belgien die Ostende-Erklärung der Energieminister (Link in Englisch) unterzeichnet. Dabei traten Frankreich, Irland, Luxemburg, Norwegen und das Vereinigte Königreich dem bereits seit Mai 2022 bestehenden Bündnis aus Belgien, Dänemark, Deutschland und den Niederlanden bei, um gemeinsam neue Ziele für die Nordsee-Windenergie festzulegen.
Gemeinsam haben sich diese neun Länder zum Ziel gesetzt, bis 2030 Windräder mit einer Gesamtkapazität von rund 120 Gigawatt (GW) zu installieren. Langfristig sollen bis 2050 in der Nordsee mindestens 300 GW Windstrom erzeugt werden können.
Die Gründe für das ehrgeizige Vorhaben sind klar: Klimawandel und Versorgungssicherheit. Denn Offshore-Windenergie kann sowohl große Mengen grünen Stroms liefern als auch die Erneuerbaren Energien an Land mit ihrem Erzeugungsprofil ergänzen. Damit kann sie einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung des Stromsystems leisten.
Und im windigen Norden Europas scheint die Ressource Wind unerschöpflich zu sein. Einigen Ländern – wie beispielsweise Irland – wird sogar das Potenzial bescheinigt (Link in Englisch), mit Offshore-Windkraft das Vielfache ihres eigenen Stromverbrauchs erzeugen zu können.
Durch den Einsatz von höheren Windrädern könnten stärkere Winde genutzt werden, während schwimmende Windparks die geeigneten Gebiete für Offshore-Windparks deutlich erweitern würden.
Die technischen Möglichkeiten für den Energiesektor übersteigen demnach selbst die von den Regierungen gesteckten, ehrgeizigen Ziele. Theoretisch könnte grüner Strom also auch exportiert werden – entweder direkt oder in Form von nachhaltigen Energieträgern wie Wasserstoff.
Die Entwicklung eines engmaschigen Offshore-Netzwerks soll dazu beitragen, dass die Kapazitätsziele erreicht werden. In Belgien, Dänemark, Deutschland und den Niederlanden haben die Übertragungsnetzbetreiber bereits die ersten Maßnahmen in diese Richtung eingeleitet. Die Betreiber der neuen Mitgliedstaaten schließen sich nun den Bemühungen an.
Gegenwärtig laufen eine Reihe von großen Übertragungs- und Energieinselprojekten, die das Offshore-Netz bilden werden. Die Schaffung von Clustern von Offshore-Windparks (Link in Englisch) mit einer vernetzten Übertragungsinfrastruktur, die mehrere Märkte miteinander verbindet, dürfte die Kosten senken und den Austausch von Strom zwischen Ländern verbessern.
Außerdem werden Vorhaben umgesetzt, die die Rentabilität der Wasserstofferzeugung aus Offshore-Windkraft demonstrieren sollen. Deutschland plant groß angelegte Demonstrationsprojekte mit einer Kapazität von 1 GW, während die Niederlande bis 2030 ein Pilotprojekt mit einer Leistung von unter 100 MW und bis 2031 ein Demonstrationsprojekt mit 500 MW anstreben.
Die Zielvorgaben der Ostende-Erklärung zu erreichen, dürfte kein leichtes Unterfangen sein. Bis 2030 ist ein durchschnittlicher jährlicher Zubau von 13 GW an Offshore-Windkraftanlagen in den neun Unterzeichnerstaaten vorgesehen, während nach Angaben der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) der bisher höchste jährliche Zubau in ganz Europa im vergangenen Jahr bei 4,2 GW lag.
99 Prozent der gegenwärtig in Europa installierten Kapazität befindet sich in den neun Mitgliedstaaten – sie vereinen also quasi den kompletten europäischen Offshore-Windsektor.
Der Branchenverband WindEurope (Link in Englisch) geht auf Grundlage der vergebenen Pachtflächen und bereits laufender Projekte davon aus, dass sie zwischen 2023 und 2027 weitere 34,1 GW Offshore-Windkapazität installieren werden. Das hätte zur Folge, dass drei Jahre vor Ablauf der Zielvorgabe für 2030 noch rund 53,5 GW an Kapazitäten ausstünden.
WindEurope erwartet jedoch, dass in den kommenden Jahren mehr Offshore-Windräder gebaut werden. Besonders zwischen 2028 und 2030 werden die Neuinstallationen demnach zunehmen. Deshalb seien kurzfristige Maßnahmen wichtig: Um Projekte in diesem Zeitraum rechtzeitig abzuschließen, müssten die Bauarbeiten nämlich mehrere Jahre im Voraus beginnen.
Ob das Ziel für das Jahr 2030 erreicht werden kann, hängt laut dem Branchenverband von verschiedenen Faktoren ab: Regierungen und Behörden müssten den Entwicklern ausreichend Flächen durch Pachtverträge zur Verfügung stellen und die Genehmigungsverfahren beschleunigen, damit Projekte vorangetrieben werden könnten. Außerdem müssten insbesondere für schwimmende Windkraftanlagen wirtschaftlich tragfähige Rahmenbedingungen für die Finanzierung geschaffen werden.
Des Weiteren sei es elementar, die Wertschöpfungsketten für Offshore-Windräder deutlich auszubauen. Nur so könne die steigende Anzahl an Aufträgen und die erhöhte Belastung der kritischen Infrastrukturen – von Häfen bis hin zu den Installationsschiffen – bewältigt werden.
Eine weitere Herausforderung bestehe in den immer größer werdenden Offshore-Windturbinen, die Kosteneinsparungen versprechen. WindEurope stellt fest (Link in Englisch), dass die derzeitigen Lieferketten für Offshore-Windkraftanlagen eine große Lücke zwischen Produktionskapazität und der steigenden Nachfrage nach den größten Turbinenmodellen aufweisen. Der Verband erwartet ab Mitte des Jahrzehnts zudem Engpässe bei modernen Installationsschiffen, die diese schwereren Turbinen transportieren können.
Sollten diese Hürden überwunden werden, könnte der Offshore-Ausbau Fahrt aufnehmen und maßgeblich zur Dekarbonisierung des von Industrie und Wärmeerzeugung benötigten grünen Stroms beitragen.
Das Beratungsunternehmen Rystad Energy erwartet zudem, dass sich die weltweite Beschäftigung im Offshore-Windsektor bis 2030 auf fast 900.000 Vollzeitstellen verdreifachen wird (Link in Englisch). Die Zahl der Arbeitsplätze im europäischen Offshore-Windsektor soll von 110.000 im Jahr 2020 auf rund 350.000 steigen.