Die Europäische Investitionsbank (EIB) hat Ende 2019 eine neue Energiefinanzierungspolitik beschlossen, um die Vergabe neuer Kredite bis Ende 2020 in Einklang mit den Pariser Klimazielen zu bringen. Bis 2022 sollen alle Finanzierungen für Projekte zur Nutzung fossiler Energiequellen ohne Emissionsminderung auslaufen. Auch für Öl- und Gasgewinnung sowie den Ausbau der konventionellen Gasinfrastruktur soll es keine Gelder mehr geben.
Auch bei der konventionellen Stromerzeugung zieht die EIB die Zügel an: Damit Investoren einen EIB-Kredit erhalten können, darf die Emissionsintensität einer Anlage dann 250 Gramm CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde (kWh) nicht mehr überschreiten – bisher waren dies 550 g/kWh.
Diese Kriterien schließen eine Förderung verschiedener Technologien aus, die bisher als Grundbausteine einer emissionsärmeren und gleichzeitig sicheren Energieversorgung galten, darunter: Gas- und Dampfkraftwerke, LNG-Terminals und Anlagen zur Dampfreformierung – der führenden Methode zur industriellen Gewinnung von reinem Wasserstoff.
Förderfähig wären weiterhin Projekte zur CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS), zur Kraftwärme-Kopplung oder solche, in denen einen Mischung aus fossilen und mit grünen Gasen genutzt werden.
Die Tendenz, auch die Nutzung von Erdgas stärker zu reduzieren, spiegelt auch die Liste der „Projekte von Gemeinsamem Interesse“ (PCI) vom Oktober 2019 wieder: Darin tauchen nur noch gut 30 statt wie zuvor 53 Erdgas-Vorhaben auf: Vielen fertiggestellten Projekten sind kaum noch neue gefolgt.
Die neuen Richtlinien markieren einen regelrechten Paradigmenwechsel, galt doch bisher eine umfassende Erdgasinfrastruktur als Garant der Versorgungssicherheit.
Die Erdgasversorgung in der EU rückte 2006 und 2009 in den Fokus der Politik, als Russland seine Gaslieferungen in die Ukraine zeitweise einstellte, nachdem sich beide Länder nicht auf neue Lieferverträge hatten einigen können. Da zu dieser Zeit etwas Zweidrittel bis Dreiviertel aller russischen Gaslieferungen in die EU über Pipelines durch die Ukraine geleitet wurden, kam es auch zu Engpässen in mehreren Mitgliedsländern.
In der Folge versuchten Regierungen die Abhängigkeit ihrer Länder sowohl von den ukrainischen Gasleitungen als auch von russischen Gaslieferungen zu reduzieren. Neben neuen Pipelines förderten sie auch die Lieferwege für Flüssiggas. Die LNG-Terminals in Klaipeda (Lithauen) und Swinemünde in Polen wurden mit Unterstützung der EIB errichtet. 2016 sagte die EIB eine Finanzierung von 339 Millionen Euro für ein LNG-Projekt auf der kroatischen Insel Krk zu, das sich auch auf der PCI-Liste findet.
Ein weiterer Schwerpunkt galt dem Ausbau des EU-internen Gasnetzes. So stellte die EIB 70 Millionen Euro für die Pipeline zwischen der Slowakei und Polen zur Verfügung. Das Projekt ist Teil der „Baltic Pipe“, durch die ab Anfang der 2020er Jahre norwegisches Erdgas via Dänemark nach Osteuropa fließen soll. Das „Ostseerohr“ wird aus Mitteln des EU-Infrastrukturfonds CEF (Connecting Europe Facility) kofinanziert. Bisher war die EU-Förderung ein wesentlicher Faktor bei der Stabilisierung der Gasinfrastruktur zwischen den Mitgliedstaaten.
Mit ihrer neuen Energiefinanzierungspolitik definiert die EIB ihr Verständnis von Versorgungssicherheit um. Statt auf Erdgas soll sie bald auf Strom basieren. Dafür will die EIB die Elektrizitätssysteme stärken, um wiederum den Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung zu beschleunigen.
Umweltorganisationen kritisieren den steigende Gasverbrauch vehement. Die Nichtregierungsorganisation „Friends oft the Earth“ etwa bemängelt, der geplante LNG-Terminal in Kroatien werde den Erdgasverbrauch in Südosteuropa erhöhen und Erdgas langfristig als Energieträger etablieren.
Die Erdgas-Industrie argumentiert dagegen, dass der Rohstoff neben Versorgungssicherheit auch Emissionsvorteile bringe, wenn das Erdgas in der Strom- und Wärmeerzeugung Öl oder Kohle als Primärenergieträger ersetzt.
Polen etwa, wo bislang Kohlekraftwerke die Stromerzeugung dominieren, hat die Stromerzeugung mit Gas zwischen 2015 und 2018 verdoppelt. Dank der Diversifizierung seiner Gasimporte kann Polen den Fuel-Switch von Kohle auf Gas vollziehen, ohne sich in die Anhängigkeit von einem Lieferanten zu begeben. Gleichzeitig versprechen Gaskraftwerke Versorgungssicherheit, während das Land seine erneuerbaren Energien ausbaut – zum Beispiel durch Offshore-Windkraft.
Auch im Transportsektor zu Lande und zu Wasser könnte Erdgas – auch in der Flüssigvariante LNG – emissionsintensivere Brennstoff wie Diesel, Schiffsdiesel und Schweröl ablösen. Verschiedene Studien – sowohl branchennahe, als auch universitäre – kommen zu dem Schluss, dass Erdgas insbesondere in den schwer zu elektrifizierenden Bereichen des Transportsektors helfen könnte Emissionen zu senken.
Die Konzentration von LNG-betriebenen Schiffen ist nirgendwo so hoch wie in der europäischen ECA (Emission Control Area). ECAs sind Sonderzone der Schifffahrt, die europäische umfasst Ost- und Nordsee inklusive Ärmelkanal. Die geplanten LNG-Terminals in Deutschland könnten die Bedeutung Flüssiggas im Transportsektor weiter erhöhen, in dem sie zum Beispiel den Wechsel von Schiffsdiesel auf LNG für Reedereien noch attraktiver machen.
Die Bedeutung des Gasnetzes für die Energiewende dürfte auch aus einem weiteren Grund wachsen, indem sie ein bedeutender Faktor zur Speicherung, Verteilung und Nutzung nachhaltiger Gase wie Biomethan, grünem Wasserstoff oder Synthesegas wird, die – wenn auch in geringem Maße – schon heute durch Beimischung zu fossilem Erdgas die Emissionsintensität der Gasnutzung senken.
Auch wenn Erdgas als Übergangslösungen gilt, bleibt das bestehende Gasnetz also langfristig eine nutzbare Infrastruktur – auch für emissionsneutrale Energieträger. Damit sie auch nach 2021 noch von der EIB gefördert werden, müssen sie aber dann schon deutlich weniger fossiles Kohlendioxid freisetzen als bisher.