Solarenergie ist die günstigste erneuerbare Energiequelle. Doch Photovoltaik-Anlagen benötigen viel Platz. Deshalb wird mittlerweile immer häufiger nach Technologien gesucht, die es ermöglichen, Solarmodule in anderweitig genutzte Flächen zu integrieren – beispielsweise auf Gebäuden, landwirtschaftlichen Flächen oder Seen. Ein noch relativ neuer Ansatz ist die Installation von Solaranlagen über Flüssen und Kanälen.
Bei der Fluss- oder Kanal-Photovoltaik (PV) werden Solarmodule über die volle Breite des Gewässers gebaut, sodass die Panele dieses überdecken. Neben der effizienten Flächennutzung für die regenerative Stromerzeugung bringt diese Art der Installation hat noch einige weitere Vorteile, zeigte eine Studie der University of California, Merced (UC Merced) (Link in Englisch).
Nicht nur die Solarsysteme profitieren von dieser Technologie, auch für die Kanalinfrastruktur bringt sie einige Vorteile mit sich: Der Schatten, den die Solarmodule über dem Gewässern spenden, führt laut der Studie unter anderem dazu, dass weniger Wasser verdunstet. Verdunstung ist besonders in warmen, trockenen Gebieten mit vielen Sonnenstunden – also mit idealen Voraussetzungen zur Solarstromerzeugung – ein großes Problem, da diese Regionen häufig mit Wasserknappheit zu kämpfen haben.
Umgekehrt kühle das Kanalwasser, das unter den Solarmodulen fließt, die Module stärker ab, als bei Landinstallationen, da sich Wasser langsamer erwärmt als Erde, so die Experten. Das führe dazu, das die Stromerzeugung um bis zu drei Prozent steige.
Einen weiteren Vorteil sehen die Autoren in einem Anstieg der Wasserqualität, denn durch die zusätzliche Beschattung gehe das Algenwachstum in den Kanälen zurück. Der Aufwand der Kanalwartung könne dadurch sinken.
Natürlich ist jede neue Technologie auch mit Herausforderungen verbunden: Bisher sind die Kosten für die Infrastruktur noch höher als die Kosten für Freiflächen-PV-Anlagen. Auch ist die nutzbare Fläche auf den Kanälen häufig durch Instandhaltungsprozesse eingeschränkt. Doch die Vorteile wiegen den Experten nach die Herausforderungen auf.
In der Praxis wird die Technologie momentan in verschiedenen Pilotprojekten, unter anderem in Indien, Spanien und Kalifornien, getestet. Dort gibt es umfangreiche Kanalnetze und viel Sonne, aber auch große Probleme mit Trockenheit. Hier könnte Kanal-PV Abhilfe schaffen.
Das erste Projekt dieser Art wurde im indischen Bundesstaat Gujarat auf dem Narmada-Kanal realisiert. Das asiatische Land bietet mit über 300 sonnigen Tagen im Jahr beste Bedingungen für die Nutzung von Solarenergie. 2021 waren dort bereits Solaranlagen mit einer Kapazität von 52 Gigawatt (GW) (Link in Englisch) installiert. Außerdem verfügt Indien über ein gut ausgebautes Kanalnetz, um auch die ländliche Bevölkerung flächendeckend mit Wasser zu versorgen.
Auf einem Teilstück nahe der Metropole Ahmedabad wurde 2012 das Kanal-Solarstrom-Projekt gestartet. Hier wurden bis 2014 eine 750 Meter lange Pilotanlage mit einer Kapazität von einem Megawatt (MW) installiert. Die Module wurden dabei auf quer über den Kanal gespannten Trägern montiert.
Auf den Piloten folgten bereits einige weitere PV-Projekte über Kanälen – unter anderem eine 10-MW-Anlage über einem Teil des Vadodara-Zweigs des Kanals. Das zukünftige Potenzial ist gewaltig: Insgesamt verfügt Gujarat über mehr als 80.000 Kilometer Kanäle. Wenn nur auf etwa 30 Prozent der Kanallänge Solarmodule installiert werden, könnten nach Angaben der Gujarat State Electricity Corporation 18 GW Strom erzeugt werden. Dabei würden – im Vergleich zur gleichen installierten Leistung an Land – 90.000 Hektar Land eingespart.
Im Februar 2022 kündigte das Unternehmen Sardar Sarovar Narmada Nigam Ltd (SSNNL), welches das Kanalnetz besitzt und wartet, ein 100-MW-Solarprojekt auf insgesamt 40 Kilometern an, das etappenweise an verschiedenen Stellen der Zweigkanäle des Narmada-Flusses installiert werden soll.
Das Kanal-PV-Projekt in Indien war Vorbild für Kalifornien. Die Technologie könnte auch hier großes Potenzial entfalten – und gleichzeitig noch bei einer anderen Problematik helfen: Kalifornien hat laut US Drought Monitor mit extremer Trockenheit und sinkenden Pegelständen zu kämpfen.
In der Studie von 2021 untersuchte das Forscherteam der UC Merced auch das Potenzial des westamerikanischen Bundesstaates. Mit vielversprechendem Ergebnis: Wenn alle 6.500 Kilometer der kalifornischen Kanäle mit Solarmodulen bedeckt wären, könnten jedes Jahr mehr als 246 Milliarden Liter Wasser eingespart und 15 GW Erneuerbare Energie erzeugt werden.
Basierend auf den Ergebnissen der Studie entstand das Solarprojekt „Nexus“: Im Bewässerungsbezirk Turlock (Turlock Irrigation District; TID) im San Joaquin Valley werden testweise Solarplatten über mehreren Abschnitten eines Kanals installiert. Insgesamt ist eine Kapazität von fünf MW geplant. Im Rahmen des Projekts werden verschiedene Arten von Solarmodulen installiert, um sie auf ihre Effizienz und Leistung zu testen. Auch Energiespeicher sollen in das Projekt integriert werden.
Der Baubeginn soll Anfang 2023 erfolgen, die Fertigstellung ist für 2024 vorgesehen. Finanziell unterstützt wird das Projekt durch den Staat Kalifornien und kostet etwa 20 Millionen US-Dollar.
Auch in Spanien genehmigte die Regierung der Region Navarra 2021 ein Kanal-PV-Projekt, das vom lokalen Verband der Photovoltaik-Energieerzeuger (Anpier) geplant wird. Die Anlage soll auf dem Kanal von Navarra errichtet werden – mit 198 km Länge einer der größten künstlichen Bewässerungskanäle des Landes. Das Projekt könnte nach Angaben der Regierung eine Kapazität von bis zu 160 MW haben. Als erste Pilotanlage soll anfänglich eine Strecke von neun Kilometern überbaut werden und etwa 30 MW Kapazität realisieren.
Sollten die Piloten erfolgreich sein, ist Kanal-PV eine vielversprechende Technologie, die auch in anderen Ländern in Europa und auf der ganzen Welt eingesetzt werden kann.