Fast 675 Milliarden Euro haben die Regierungen der EU, des Vereinigten Königreichs und Norwegens seit September 2021 bereitgestellt, um Verbraucher und Unternehmen vor steigenden Energiepreisen in einem nie dagewesenen Ausmaß zu schützen (Link in Englisch).
Die Energiekrise verschärfte sich nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022, der zum Ausfall eines Großteils der regulären russischen Gasexporte nach Europa führte. Von den vier wichtigsten russischen Pipeline-Routen sind die Erdgaslieferungen durch die Jamal-Pipeline über Polen und die NordStream-Pipeline nach Deutschland seit Mai bzw. September gleich Null. Die Transitströme durch die vom Krieg zerrüttete Ukraine sind sehr gering.
Lediglich die südosteuropäische Turkstream-Pipeline ist bei normaler Kapazität in Betrieb. Allerdings liefert diese das Gas hauptsächlich in die Türkei und nach Ungarn. Die Ströme nach Bulgarien sind unterbrochen, die Erdgaslieferungen in das übrige Europa sind sehr begrenzt (Link in Englisch).
Die Verknappung des russischen Gases hat dazu geführt, dass Europa seine Importe von verflüssigtem Erdgas (LNG) deutlich erhöht hat, um Vorräte für den bevorstehenden Winter anzulegen. Das Sichern dieser LNG-Importe, die vorher hauptsächlich für den asiatischen Markt gedacht waren, hat gravierende Folgen für den Energiemarkt: Durch die Erwartung, dass es nicht genügend Angebot für die hohe Nachfrage im Winter geben könnte, sind die Gaspreise im Sommer 2022 auf ein ungewöhnlich hohes Niveau getrieben worden.
Die hohen Preise für Erdgas werden die Heizkostenabrechnungen der Verbraucher und Verbraucherinnen in Europa erheblich steigen lassen. Außerdem haben sie auch einen Einfluss auf die Strompreise.
Wie wirkt sich dieser Einfluss aus? Auf dem europäischen Stromgroßhandel gilt ein Grenzpreissystem, bei dem die Erzeuger mit den niedrigsten Kosten die Nachfrage zuerst decken. Den endgültigen Preis legt jedoch derjenige fest, der als letztes gebraucht wird. Dadurch wird ein „Grenzpreis“ bestimmt, der dann auf alle Verkäufe angewendet wird.
Ein hoher Grenzpreis signalisiert somit dem Markt, dass mehr kostengünstige Erzeugungsanlagen benötigt werden und wirtschaftlich rentabel sind. Aber es dauert, bis neue Kapazitäten genehmigt und errichtet werden.
Unter den gegenwärtigen Umständen bestimmt die teure gasbasierte Stromerzeugung den Preis auf den europäischen Stromgroßhandelsmärkten. Verbraucher und Unternehmen sehen sich daher hohen Rechnungen für Strom sowie für Gas, sofern es zum Heizen verwendet wird, konfrontiert.
Um die Krise zu bewältigen, kommen sowohl kurz- als auch langfristige Maßnahmen zum Einsatz. In ganz Europa haben 27 Länder ihre Energiesteuern gesenkt. Ebenso viele Länder haben Unterstützungszahlungen an hilfsbedürftige Verbraucher erhöht, während insgesamt 22 Länder ihren Unternehmen finanzielle Unterstützung gewähren, um die steigenden Energiekosten zu decken.
Eine Reihe von Ländern, darunter das Vereinigte Königreich, Italien und Spanien, haben außerdem so genannte Übergewinnsteuern eingeführt oder geplant. Dabei werden Gewinne von Unternehmen versteuert, die über einen definierten „Normalgewinn“ hinausgehen.
Übergewinnsteuern können dem öffentlichen Haushalt helfen. Allerdings verringern sie den Marktanreiz und die finanzielle Kapazität für den Ausbau neuer kostengünstiger Kapazitäten, zu denen Wind- (On- und Offshore) und Solarkraft zählen. Kostengünstige Erzeuger, die den Marktpreisen unterliegen, profitieren hingegen von hohen Stromgroßhandelspreisen. Dadurch werden Sie ermutigt, mehr kostengünstige Erzeugungsanlagen zu bauen und können damit teurere Quellen aus dem Energiemix verdrängen.
Insgesamt 15 Länder, darunter Deutschland, die Niederlande, Belgien und Frankreich greifen auch auf eine Regulierung der Endkundenpreise zurück, um Verbraucher zu schützen. Die Regelungen der einzelnen Länder unterscheiden sich zwar im Detail, das Ergebnis bleibt gleich: Ein Preisdeckel für die Endkundenpreise für Gas und Strom.
Für Energieversorger, z.B. mit Gas betriebene Kraftwerke und Gaslieferanten, bedeutet das, dass ihren Kosten durch die Preisobergrenze bestimmten Einnahmen nicht mehr decken können. Diese Differenz muss dann von Staat ausgeglichen und in der Regel durch eine Erhöhung der Schulden finanziert werden.
Die meisten Preisobergrenzen sind im Vergleich zu den Preisen vor der Krise hoch angesetzt und sollen die Verbraucher in erster Linie vor weiteren Erhöhungen schützen. Im Vereinigten Königreich beispielsweise liegt die neue Energiepreisgarantie, die am 1. Oktober 2022 in Kraft trat (Link in Englisch), bei einer Obergrenze, die 27 Prozent höher als die Preise im Sommer und 96 Prozent höher als im Winter 2021/22 ist.
Zu den längerfristigen Maßnahmen und Lösungen gehören der Ausbau der Gasimportkapazitäten in Europa sowie die Verringerung der Abhängigkeit von russischem Gas im Allgemeinen.
Ein Ausbau der Erneuerbare Energien, unterstützt durch kurz-, mittel- und langfristige Stromspeicher, wird als Schlüssel zur Bewältigung der Energiekrise gesehen. Im REPowerEU-Plan der Europäischen Union (Link in Englisch), der im Mai als Reaktion auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine veröffentlicht wurde, spielt dieser Ausbau eine zentrale Rolle.
Die Förderung der kostengünstigen Stromerzeugung aus Erneuerbaren ist nicht nur der kostengünstigste Weg hin zu einer stärkeren Versorgungssicherheit (Link in Englisch), sondern auch eine Strategie, die mit den vorrangigen Zielen der Energiewende in Europa im Einklang steht.
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