Der Anschluss des ersten saudi-arabischen Windparks Dumar al-Jandal an das Stromnetz Ende 2021 markiert einen Wendepunkt (Link in Englisch) in der Energieversorgung des Landes. Bis 2024 will das Königreich die Erneuerbaren Energien in einer Größenordnung von 27,3 Gigawatt (GW) und bis 2030 von 58,7 GW ausbauen.
Dies ist in jeder Hinsicht eine Herkulesaufgabe. Denn Ende 2020 verfügte Saudi-Arabien über lediglich 412 Megawatt (MW) an installierter Leistung, wovon 409 MW aus der Solarenergie stammten. Dazu kommen nun immerhin weitere 400 MW, die der Windpark Dumar al-Jandal produziert.
Dass Saudi-Arabien sich ambitionierte Ziele hinsichtlich Erneuerbarer setzt, wird sich nicht nur für die Emissionsbilanz des Landes, sondern auch für die heimische Wirtschaft auszahlen (Link in Englisch). Denn die Preise für Solarenergie und Onshore-Windkraft sind in der Region extrem niedrig.
Der Ausbau Erneuerbarer ist umso interessanter, da das Land bisher vorrangig als Ölgigant bekannt ist. Nach den USA ist es nämlich der zweitgrößte Ölproduzent weltweit. Und als größter Ölexporteur spielt es eine zentrale Rolle bei der Bereitstellung flüssiger Treibstoffe, die die Welt in Bewegung halten.
Allerdings wird sich die Bedeutung des Erdöls in Zukunft verändern. Denn die E-Mobilität wächst. So wurden beispielsweise in der ersten Jahreshälfte 2021 2,65 Millionen Elektrofahrzeuge verkauft, 168 Prozent mehr als im selben Zeitraum in 2020, was auf eine starke Erholung nach dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie hindeutet. Auch in der Schiff- und Luftfahrt wird nach nachhaltigen Alternativen zum Öl gesucht.
Infolgedessen prognostizieren die Internationale Energieagentur und große Ölgesellschaften, dass die weltweite Ölnachfrage nach ihrem Höhepunkt irgendwann nach 2030 sinken wird.
Für Saudi-Arabien bedeutet das: Langfristig kann das Land nicht mehr auf die Öleinnahmen als Antrieb für die Wirtschaft zählen. Stattdessen werden erneuerbare Energien eine führende Rolle bei der Anpassung des Königreichs an eine sich rasch verändernde globale Energielandschaft spielen.
Jedes Land beginnt die Energiewende von einem anderen Punkt aus. Während Staaten mit reichlichen Kohlevorkommen wie Deutschland, China oder die Vereinigten Staaten vor allem auf Kohlekraftwerke setzten, nutzte Saudi-Arabien seine großen Öl-Ressourcen als Energiequelle für die heimischen Versorgung.
Allerdings hat das Land seinen Ölverbrauch zur Stromversorgung stetig reduziert und greift stattdessen dafür auf Gas zurück. Die Stromerzeugung von Gaskraftwerken hat sich in den vergangenen zehn Jahren auf über 200 Terrawattstunden (TWh) im Jahr 2020 verdoppelt, während die ölbefeuerte Stromerzeugung von einem Höchststand von 183,7 TWh im Jahr 2015 um 28 Prozent auf 132,8 TWh in 2020 gesunken ist.
Die Umstellung von Öl auf Gas war vor dem Hintergrund der rasch steigenden inländischen Energienachfrage die wichtigste Triebkraft für den Rückgang der Kohlendioxidemissionen im Land seit 2016. Nach Angaben von BP sanken die Kohlendioxidemissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe in Saudi-Arabien zwischen 2016 und 2020 um 5,7 Prozent.
Der Ausbau der EE-Technologien wie Windkraft, Photovoltaik und solarthermische Kraftwerke bietet nun eine nachhaltige Energiequelle.
Fakt ist: Saudi-Arabien wird zusätzliche Stromerzeugungskapazitäten benötigen, auch wenn das Wachstum der Stromnachfrage in den kommenden zehn Jahren etwas abnehmen wird. Berechnungen des King Abdullah Petroleum Studies and Research Centers zufolge (Link in Englisch) soll sich die Stromnachfrage von 2019 bis 2030 auf durchschnittlich 1,6 Prozent pro Jahr erhöhen. Zum Vergleich: Zwischen 2009 und 2018 waren es 5,3 Prozent.
Auf Wasserkraft, die in nicht wenigen Ländern eine wichtige nachhaltige Energiequelle ist, kann das Land allerdings nicht zurückgreifen. Im Nahen Osten ist eine steigende Energienachfrage immer mit Wasser- und Ernährungsversorgungssicherheit verbunden. Der Bedarf an Trinkwasser für den menschlichen, industriellen und landwirtschaftlichen Verbrauch macht die Verwendung von Wasser zur Stromerzeugung nicht möglich.
Zudem werden große Strommengen in Saudi-Arabien für die sehr stromhungrigen Entsalzungsanlagen verwendet. Denn vier der zehn weltweit größten Anlagen, die sich allesamt im Nahen Osten befinden, sind in Saudi-Arabien (Link in Englisch), einschließlich der weltgrößten Anlage Al Khair. Und auch die Anlage Rabigh 3, für die 2021 die Bauaufträge vergeben wurden, wird nach ihrer Fertigstellung zu den Top-Ten gehören.
Daher hat sich Saudi-Arabien beim Ausbau insbesondere in der Solar- und Windenergie ehrgeizige Ziele gesetzt, die es nach und nach realisieren will. Das Königreich sieht in der Entwicklung der Erneuerbaren ein wichtiges Mittel zur Diversifizierung sowohl der Wirtschaft als auch der Energieversorgung und investiert damit in eine nachhaltigere Zukunft.
Ein Beispiel für diese Entwicklung sind der schon erwähnte Windpark Dumat al-Jandal sowie ein 300-MW-Photovoltaikpark, der 2019 fertiggestellt wurde. Sie wurden beide als Projekte in der ersten Runde des nationalen Programms für erneuerbare Energien (National Renewable Energy Programme – NREP) des Landes vergeben.
Im Anschluss daran erhielt das einheimische Energieunternehmen ACWA Power im Jahr 2020 den Zuschlag für den Bau des 1,5 GW starken Photovoltaik-Projekts Sudair, das bisher größte des Landes. Darüber hinaus wurden im Rahmen der zweiten Runde des NREP sieben weitere Photovoltaik-Projekte mit einer Gesamtkapazität von 1,47 GW bewilligt.
Bei diesen Aufträgen wurden im weltweiten Vergleich die niedrigsten Gebote abgegeben. ACWA Power zum Beispiel bot 12,4 US-Dollar pro Megawattstunde (MWh) für Sudair und etwas mehr als 10 US-Dollar pro MWh für das 600 Megawatt starke Projekt Al-Fasiliyah. Die Auswahlliste der Bieter für die dritte NREP-Runde wurde im Oktober 2021 bekannt gegeben und umfasste 1,2 GW an Photovoltaik-Projekten, die sich auf insgesamt vier verschiedene Projekte verteilen. Das niedrigste Angebot für das 700 Megawatt starke Kraftwerk Ar Rass lag bei etwa 15 US-Dollar pro MWh. Auch im Bereich Windenergie wurden niedrige Preise erzielt: So lag der Preis für den Windpark Dumat al-Jandal zum Abschluss der Finanzierung bei nur 19,9 US-Dollar pro MWh.
Dass eine Vielzahl an Projekten vergeben werden kann, liegt auch an den geographischen Gegebenheiten in Saudi-Arabien: Angesichts der klimatischen Bedingungen mit hoher Sonneneinstrahlung und der riesigen, dünn besiedelten Landfläche hat das Land ein riesiges Potenzial bei der Solarenergie, welch es erst ansatzweise nutzt. Aber auch die Möglichkeiten der Windenergie sind beträchtlich. Mit ihrem ergänzenden Erzeugungsprofil wird die Windenergie den Ausbau der Solarenergie unterstützen.
Die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten liegen in weiten Teilen des Königreichs zwischen sechs und acht Metern pro Sekunde, wobei im Nordosten, im Zentrum, nahe der westlichen Bergregionen und an den Küsten des Arabischen Golfs sowie des Roten Meeres höhere Windgeschwindigkeiten erreicht werden.
Das Ziel des Landes für den Ausbau der Windenergie liegt bei 10 GW bis zum Jahr 2025. Das technische Potenzial von Onshore-Windanlagen wurde auf über 200 GW in sieben Regionen geschätzt, mit durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten von 6,7 bis 7,9 Metern pro Sekunde in 100 Metern Höhe, so der Global Wind Energy Council.
Das Potenzial von Offshore-Windanlagen in Saudi-Arabien ist ebenfalls bemerkenswert. So könnten auf dem Meeresboden festinstallierte Windräder eine Gesamtleistung von schätzungsweise bis zu 28 GW erreichen, während die Kapazitäten schwimmender Offshore-Windturbinen auf 78 GW geschätzt werden (Link in Englisch).
Mit Inbetriebnahme des ersten Windparks hat das Königreich eine Entwicklung eingeleitet, die sich in den kommenden Jahrzenten zu einer tiefgreifenden Transformation entwickeln könnte.